Georg Niedermeier ist nicht der talentierteste Spieler – aber er holt das Maximale aus sich heraus und hat schon fünf Tore erzielt.

Stuttgart - Auf dem Weg in die Kabine hat sich Georg Niedermeier am Sonntagabend noch einmal umgedreht und zur Videotafel der Mercedes-Benz-Arena hinaufgeschaut. Darauf sah er einen Mann im weißen VfB-Trikot, der machtvoll in den gegnerischen Strafraum eindrang, mit einem Ausfallschritt einen hohen Steilpass unter Kontrolle brachte, den Ball mit einem satten Spannstoß ins linke Toreck drosch und anschließend vor lauter Jubel auf den Knien Richtung Eckfahne schlitterte. Und das Beste war: der Mann, der in der vierten Minute der Nachspielzeit diesen 1:1-Ausgleich gegen den VfL Wolfsburg erzielte, war Georg Niedermeier selbst.

 

Dem 1,89 Meter großen Verteidiger wurde ja so manches zugetraut. Brachiale Grätschen am Boden zum Beispiel, oder schonungslose Kopfballduelle in der Luft - kurzum: allerhöchsten Einsatz in allen Defensivbereichen. Dass Georg Niedermeier aber auch in der Lage ist, ein solch formvollendetes Tor zu erzielen, ein so ungemein wichtiges noch dazu - das hätte selbst sein Trainer Bruno Labbadia kaum für möglich gehalten: "Das war der Hammer, das war technisch sensationell", sagt der frühere Angreifer und weiß: "Es gibt nicht viele Stürmer, die zu so einem Treffer in der Lage sind."

Nicht nur im Eigeninteresse hat sich Labbadia über das späte Ausgleichstor gefreut, das den VfB Stuttgart davor bewahrt hat, die Länderspielpause auf Rang 16, und damit dem Relegationsplatz, zu verbringen. "Ich habe mich auch sehr darüber gefreut, dass gerade Georg getroffen hat", sagt der Trainer: "Es ist schön, wenn so einer für seine Arbeit belohnt wird." Niedermeier sei morgens meist der erste Spieler, der auf dem Clubgelände eintrifft, und abends nicht selten der Letzte, der sich in den Feierabend verabschiedet. Zuvor macht er Krafttraining oder lässt sich massieren. "Er ist einer, der den Profi vorlebt. Solche Spieler brauchen wir in unserer Situation", sagt Labbadia.

Ein Überflieger ist er nie gewesen

So groß die Wertschätzung des Trainers ist - so groß sind bei Teilen des Stuttgarter Publikums freilich auch die Zweifel an der fußballerischen Klasse des Innenverteidigers, der 2009 zunächst auf Leihbasis vom FC Bayern München zum VfB kam und im vergangenen Sommer schließlich für 3,5 Millionen Euro fest verpflichtet wurde. Niedermeier sei spielerisch zu limitiert, sagen viele und stöhnen auf, wenn dem 25-Jährigen unbedrängt die Bälle verspringen oder ein Diagonalpass wieder einmal meterhoch im Seitenaus landet.

Georg Niedermeier, das ist wohl wahr, ist nicht gesegnet mit einem Übermaß an fußballerischem Talent, ein Überflieger ist er auch nie gewesen. Aber niemand kann ihm auf der anderen Seite vorwerfen, dass er aus seinen Möglichkeiten nicht das Maximale herausholen würde. Er weiß, dass er mehr arbeiten muss als die Mannschaftskollegen, und das tut er auch.

"Talent", sagt Labbadia, "ist das eine - mit dem Talent entsprechend umzugehen das andere." Das müssten einige Spieler noch begreifen - und man ahnt, dass er mit solchen Aussagen VfB-Profis wie Daniel Didavi oder Ciprian Marica meint, die zwar über ein gewaltiges Potenzial verfügen, aber eben nicht hartnäckig und seriös genug an sich arbeiten. Und so ist der Trainer "ganz sicher, dass es viele Spieler gibt, die ein größeres Talent haben, wegen ihrer Einstellung aber lange nicht so weit kommen werden wie Georg".

"Er ist wichtig für das Team"

Der gebürtige Münchner hat in dieser Spielzeit zwar manchen Fehler begangen und das ein oder andere Gegentor verschuldet, er hat aber auch bereits fünf Treffer erzielt und ist genau das, was man einen mannschaftsdienlichen Spieler nennt. Wegen dieser Eigenschaft war er von dem früheren Trainer Christian Gross sogar zum stellvertretenden Kapitän ernannt worden. "Er ist unheimlich wichtig für das Team und springt immer ein, wenn Not am Mann ist", sagt der Mittelfeldspieler Christian Gentner. So groß war in dieser Saison die Not in der Innenverteidigung, in der Serdar Tasci und Matthieu Delpierre regelmäßig pausieren mussten, dass Niedermeier 22 der bisher 27 Bundesligaspiele bestritten hat.

Weitere werden folgen, auch wenn Georg Niedermeier niemals auf die Idee käme, nun öffentlich Ansprüche auf einen Stammplatz anzumelden. Auch bei seinem Tor am Sonntag gegen Wolfsburg habe er nicht zuerst an sich gedacht, sondern an das Team: "Der Treffer war ganz wichtig für die Moral der Mannschaft, denn wir haben nie aufgegeben und sind dafür belohnt worden", sagt er - und lässt sich dann doch noch zu einem klitzekleinen Eigenlob hinreißen: "Ich glaube, ich habe das Ding ganz nett reingemacht."