Herr Stamatelopoulos, bei der Europawahl gab es einen Rechtsruck. Beunruhigt Sie das?
Beunruhigen ist nicht das richtige Wort. Es ist auch noch zu früh, um zu sagen, ob und wenn ja, welche Auswirkungen das Wahlergebnis auf die offizielle Energiepolitik der Europäischen Union haben wird. Wir müssen als Energieunternehmen so oder so damit umgehen: Statt Emotionen brauchen wir gerade jetzt sachliche Diskussionen über die Energiewende.
Das dürfte schwierig werden. Rechtspopulistische Parteien wie die AfD stellen die menschengemachte Erderwärmung infrage…
Der Klimawandel ist ein Faktum. Das sagt die große Mehrheit der in Klimafragen spezialisierten Wissenschaftler. Ich denke, ein Schlüssel, um wieder mehr Menschen für die europäische Idee zu gewinnen, ist der Abbau von Bürokratie und eine klare Politik mit konkreten Zielen und konsequenten Entscheidungen.
Die Strompreiserhöhung der EnBW von fast 16 Prozent im April hat hohe Wellen geschlagen. Viele ihrer Kunden konnten das nicht nachvollziehen…
Zweidrittel dieser Preiserhöhung haben mit dem Wegfall von staatlichen Hilfen zu tun, die im Rahmen der Energiekrise nach der Invasion in die Ukraine gewährt wurden. Bis Ende 2023 hatte die Bundesregierung Verbraucher entlastet – das ist nun vorbei. Man kann nicht erwarten, dass die EnBW als privatwirtschaftliches Unternehmen eine Subvention des Staates ersetzt.
Und das restliche Drittel?
Das sind unsere langfristigen Beschaffungskosten. Wir kaufen den Strom für unsere Kunden in der Regel bis zu drei Jahre im Voraus, um die Strommengen zu sichern. In der Energiekrise konnten wir dadurch die Preise für unsere Bestandskunden stabil halten, als die Kurse an den Strombörsen explodierten. Bei den aktuell sinkenden Börsenpreisen wie in den vergangenen Wochen ist es umgekehrt. Durch unsere Einkaufsstrategie kommen die Preisschwankungen zeitverzögert und gedämpft bei den Kunden an.
Ihr Vorgänger Andreas Schell warf das Handtuch nach 16 Monaten. Er ist an der Zukunftsstrategie gescheitert. Haben Sie den Masterplan für die Energiewende in der Tasche?
Es kann nicht meine Aufgabe als Chef der EnBW sein, den Masterplan der deutschen Energiewende auszuarbeiten. Mein Anspruch ist es, gemeinsam mit dem Vorstandsteam einen Masterplan für die EnBW als Energieunternehmen, das in allen Bereichen der Energiewende aktiv ist, vorzulegen. Ich gehe davon aus, dass wir spätestens bis zum Jahresende eine abgestimmte Strategie für die EnBW 2030 haben werden.
Was wollen Sie anders machen als ihr Vorgänger?
Es besteht kein Grund für einen massiven Kurswechsel. Die EnBW ist strategisch gut aufgestellt und ausreichend profitabel. Die klare Ausrichtung auf die Energiewende stimmt: Wir investieren in den Ausbau der Erneuerbaren und der Stromnetze, in den Bau neuer wasserstofffähiger Gaskraftwerke, sowie in den Aufbau einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft und nicht zuletzt in Elektromobilität.
Schell wollte die EnBW zu einem reinen Stromkonzern machen. Kommt für Sie eine Abkehr vom Gasgeschäft infrage?
Ich bin überzeugt, dass die Energiewende ohne Moleküle nicht funktionieren kann. Das Gasgeschäft von heute ist das Wasserstoffgeschäft von morgen. Gas heute und Wasserstoff in der Zukunft geben uns die Energiedichte, die wir brauchen, um auch in Zukunft eine Industrie zu haben. Wir müssen bei der Wende von Gas zu Wasserstoff genauso mutig sein wie bei der Stromwende. Wir wollen als integrierter Versorger auch in Zukunft von der Erzeugung bis zur Nutzung in allen Teilen der Energie-Wertschöpfungskette aktiv bleiben. Das gibt der EnBW finanzielle Robustheit.
Mit der Abkehr vom Gasgeschäft hätten Sie sich auch vom Zukunftsthema Wasserstoff entfernt. Welchen Anteil hat der Wasserstoff in ihrer Strategie?
Wir werden dafür sorgen, dass der Wasserstoff nach Baden-Württemberg und in andere Bundesländer kommt. Eine absolute Voraussetzung dafür ist das Wasserstoffkernnetz, bei dem man von Investitionen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro ausgehen muss. Über unsere Tochterfirmen Terranets BW und Ontras wollen wir den Südwesten und Teile Ostdeutschlands an diese Wasserstoff-Autobahn anschließen. In den kommenden Wochen reichen die Gas-Fernleitungsnetzbetreiber ihre gemeinsamen Anträge bei der Bundesnetzagentur ein. Dann wissen wir, in welchem Umfang unsere Anträge genehmigt werden.
Warum kommen die geplanten Wasserstoff-Importe aus dem Ausland nicht richtig in Gang?
Unsere Szenarien sagen, dass wir etwa 70 Prozent des Wasserstoffs, den wir künftig in Deutschland brauchen, importieren müssen. Wir suchen deshalb weltweit nach Partnern, um uns grünen Wasserstoff zu sichern – aber wir sind nicht die einzigen. In Norwegen sind wir fündig geworden, aber die von uns dort bereits gesicherte Option über 650 Gigawattstunden wird nicht ausreichen. Projekte, in die wir guten Gewissens investieren können, sind leider sehr rar. Die Erfahrung der letzten Monate zeigt: Die Vorhaben werden immer teurer und unwirtschaftlicher.
Was treibt die Preise so stark?
Es gibt mehrere Gründe. Innerhalb der EU haben wir sehr rigide Vorschriften für den grünen Wasserstoff. Einige Regelungen sind aus meiner Sicht nicht zielführend. Deswegen suchen wir in anderen Regionen der Welt. Internationale Partner setzen auf kapitalintensive Großprojekte mit langen Abnahmeverträgen, die hohe Investitionen erfordern. Gute Kandidaten für Wasserstoff sind Länder mit einer hohen Sonnenintensität und viel Fläche, ideal für Solaranlagen. Von dort muss der Wasserstoff zu uns transportiert werden. Dafür brauchen wir eine Infrastruktur ähnlich wie beim LNG. Die Kosten summieren sich.
Kann man bestehende Gasleitungen für die Wasserstoffautobahn nutzen?
Alle Gasleitungen, die wir heute neu bauen, sind wasserstoffkompatibel. Ältere Leitungen müssen wir einzeln prüfen. Bei manchen lässt sich ein relativ großer Teil Wasserstoff beimischen. Es wird aber auch Fälle geben, wo man die alte Gasleitung gar nicht gebrauchen kann und neu bauen muss.
Apropos Bauen. Sie warten schon zermürbend lange auf ein Zeichen von Robert Habeck, unter welchen Bedingungen sie neue Gaskraftwerke bauen können. Wie viel Geduld haben Sie noch?
Über dieses Thema wird jetzt schon sehr lange diskutiert. Tatsächlich haben wir immer noch keine Details zur Kraftwerksstrategie. Die Politik hat versprochen, bis zur Sommerpause zu liefern. Es kursiert aber auch die Information, dass es dieses Jahr keine Auktion mehr geben könnte. Das wäre ein Rückschlag für den geplanten Kohleausstieg 2030.
Sollten diese Kraftwerke überwiegend im Süden gebaut werden?
Die Bundesregierung hat in ihrer Skizze zur Kraftwerksstrategie festgelegt, dass der Ausbau netzdienlich sein soll. In der Tat besteht ein Bedarf, die Anlagen dort zu bauen, wo es die Netzengpässe gibt. Und das ist in Süddeutschland.
Was passiert eigentlich, wenn die Gaskraftwerke nicht rechtzeitig kommen?
Die Versorgungssicherheit hat oberste Priorität. Ein kompletter Verzicht auf Kohle ohne den rechtzeitigen Aufbau eines ausreichenden Ersatzes in Form von Gaskraftwerken ist nicht möglich. Wir haben unsere ersten beiden Kohleblöcke im Jahr 2014 stillgelegt. Diese Anlagen wurden daraufhin als systemrelevant eingestuft und sind immer noch im Einsatz, wenn das Netz sie benötigt. Fehlen die neuen Gaskraftwerke, dann müssten auch künftig Kohlekraftwerke zur Verfügung stehen, wenn ein Übertragungsnetzbetreiber sie aus Netzgründen aufruft.