Sechs Jahre Haft wegen Missbrauchs von zwei Chorknaben – noch nie wurde ein so ranghoher Kardinal verurteilt wie George Pell. Die einzige Hoffnung des ehemaligen Papst-Vertraute bleibt nun: Freispruch in der Berufung.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Melbourne - Der Ex-Finanzchef im Vatikan, George Pell, muss wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern für sechs Jahre in Haft. Der Kardinal müsse mindestens drei Jahre und acht Monate seiner Strafe absitzen, ehe ein Antrag auf Bewährung möglich sei, ordnete Richter Peter Kidd am Mittwoch in Melbourne an.

 

Pell hatten bis zu 50 Jahre Haft gedroht. Ein Geschworenengericht hatte ihn bereits im Dezember für schuldig befunden, sich Ende 1996 kurz nach einer Messe an zwei Chorjungen vergangen zu haben. Der 77-Jährige hat die Anschuldigungen bestritten. Er will in Berufung gehen, das Verfahren soll im Juni beginnen.

Ranghöchster Geistlicher

Pell ist der bisher ranghöchste katholische Geistliche, gegen den Vorwürfe des Kindesmissbrauchs erhoben worden sind. Er war ein enger Berater von Papst Franziskus und Präfekt des Wirtschaftssekretariats der Römischen Kurie – so sein offizieller Titel als Finanzchef. Den Posten behielt er nach Bekanntwerden der Vorwürfe zunächst, doch wurde sein fünfjähriges Mandat im Februar nicht verlängert.

Pell zeigt keine Emotionen während der Anhörung

Pell wurde zur Last gelegt, 1996 in der Sakristei der St. Patrick’s Kathedrale in Melbourne zwei damals 13-jährige Chorjungen missbraucht zu haben, nachdem er sie dabei erwischt hatte, wie sie den Messwein tranken. Pell war damals 55 Jahre alt und wenige Monate zuvor zum Erzbischof der zweitgrößten Stadt Australiens berufen worden. Die Geschworenen befanden Pell auch für schuldig, eines der Opfer mehr als einen Monat nach dem Übergriff in einem Korridor der Kathedrale bedrängt und dessen Penis gedrückt zu haben. Insgesamt gab es fünf Anklagepunkte.

„Erschütternde Arroganz"

Richter Kidd fand bei der Anhörung im Amtsgericht des Bundesstaates Victoria harsche Worte für den Verurteilten. „Aus meiner Sicht war ihr Verhalten von erschütternder Arroganz durchsetzt.“ So habe der Geistliche seine Machtposition missbraucht und keine Reue für seine Verbrechen gezeigt.

Die Übergriffe seien ungeheuerlich, erniedrigend und demütigend für die Opfer gewesen. Als strafmindernd wirke sich für Pell aber dessen Alter und die Tatsache aus, dass er sonst keine Vorstrafen habe. Dass Risiko, dass er zum Wiederholungstäter werde, sei gering.

Pell zeigte während der Anhörung im Amtsgericht des Bundesstaats Victoria keine Emotionen und keine äußerliche Regung. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen nahm er ruhig das Urteil auf. Dann setzte er seine Unterschrift unter Dokumente, die ihn auf Lebenszeit als Sexualstraftäter ausweisen. Vier Gefängnisbeamte führten ihn dann ab.

Schuldspruch just nach Römer Missbrauchsgipfel

Eines der Missbrauchsopfer Pells nannte dessen Strafe in einer von seiner Anwältin verlesenen Erklärung „gewissenhaft und wohlüberlegt.“ Doch falle es ihm schwer, die Tragweite der Urteilsverkündung zu spüren. „Es ist fürs Erste schwierig für mich, Trost aus diesem Ergebnis zu ziehen. Ich weiß zu schätzen, dass das Gericht anerkannt hat, was mir als Kind widerfahren ist. Allerdings gibt es für mich keine Ruhe. Alles ist vom kommenden Berufungsverfahren überschattet.“

Der Vater des anderen Opfers zeigte sich enttäuscht über das Urteil gegen Pell, wie dessen Anwältin sagte. Sein Sohn war 2014 an einer Überdosis Heroin gestorben. Seine Anwältin hatte Pell daher zuletzt vorgeworfen, „Blut an den Händen“ zu haben. Der Vater erwägt, nicht nur Pell, sondern auch die Kirche zu verklagen.

Der Schuldspruch im Fall Pell war just nach dem Abschluss des ersten Gipfels zum Thema Missbrauch im Vatikan bekannt geworden, den Franziskus selbst angesetzt hatte. Kirchenobere erörterten in Rom über mehrere Tage hinweg Wege, wie Kinder vor pädophilen Priestern geschützt und Missbrauch verhindert werden können.