Das Projekt „Hinter den Grenzen“ ist eine Spurensuche mit Musik, Lyrik und Tanz von Künstlerinnen aus Georgien. Der Auftritt im Linden-Museum zeigt die Einflüsse von Tradition und Moderne in Europa.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Stuttgart - Es war nicht einfach, in Georgien in der Sowjet-Zeit mitteleuropäische Avantgarde-Musik zu hören. Russudan Meipariani erinnert sich: „In der Hauptstadt Tiflis gab es gerade mal einen Kellerraum, da konnte man etwa die Musik von Karlheinz Stockhausen oder Jannis Xenakis hören, entweder über einen Lautsprecher oder Kopfhörer, beide meist mit Wackelkontakt.“ Deshalb hat Meipariani, 1975 in Tiflis geboren, wie viele andere in solch isolierten Ländern aus der Not eine Tugend gemacht: Was eben nicht direkt gehört oder erlebt werden kann, wird durch die Imagination ersetzt.

 

Seit 1999 lebt Meipariani nun in Deutschland. Was sie damals komponiert und gespielt hat in ihrer georgischen Heimat, welche Einflüsse sich seit ihrer Emigration auf ihr Schaffen ausgewirkt haben – überhaupt: Wie die Musik von Russudan Meipariani heute klingt, zeigt sie jetzt in zwei Auftritten am 11. November in der Schorndorfer Versöhnungskirche um 18 Uhr sowie am 12. November um 20 Uhr im Linden-Museum. Und das in ziemlich großer Besetzung: Die Komponistin, Pianistin und Sängerin wird begleitet von ihrer Schwester Natalie an der Violine und dem Cellisten Giga Khelaia. Direkt aus Georgien kommen der Lyriker Rati Amaglobeli, von dem hier einige Texte vertont wurden, sowie ein modernes Tanzensemble der Choreografin Mariam Aleksidze.

Heimat, Migration und Transformation

„Hinter den Grenzen“ lautet das Motto der Begegnung, die die Themen Heimat, Migration und Transformation umzirkelt, zu denen die Beteiligten jeweils andere Lebensentscheidungen und -erfahrungen beisteuern. Russudan hat als 23-Jährige bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe Komposition studiert, ist seitdem hier fest verwurzelt und hat viele Jahre an der Musikschule Winterbach gearbeitet. Amaglobeli, dessen Gedichte im In- und Ausland hoch geschätzt werden. ist in Georgien geblieben.

Georgien ist ein kleines Land – etwa so groß wie Bayern – und mit etwas mehr als drei Millionen Einwohnern eher dünn besiedelt. Doch diese und ihre Kulturschaffenden sind sehr rege und machen auf sich aufmerksam, was zuletzt im Rahmen der Frankfurter Buchmesse mit Georgien als Gastland offensichtlich wurde. Andere werden da auch aufmerksam, etwa das Literaturhaus Stuttgart, das Ende Oktober die Uraufführung der Musik zu „Hinter den Grenzen“ ermöglichte.

Kriege und gescheiterte Revolutionen

Doch jetzt im Linden-Museum gibt es die umfassende Version mit sieben Tänzerinnen aus Tiflis. „Die Choreografin ist im vergangenen Jahr auf mich zugekommen“, so Meipariani, „da entstand die Idee, dass wir etwas gemeinsames machen in dieser Thematik. Wir haben geprüft, was so augenscheinlich verschiedene Welten wie Georgien und Europa verbindet und was sie trennt. Das Zusammenspiel von Tanz, Musik und Sprache hat sich da angeboten.“

Künstlerisch kennen sie ihr Schaffen freilich schon viel länger: „Mariam Aleksidze hat meine Musik schon mal vor zehn oder 12 Jahren gehört, ich kenne ganz gut die Geschichte des Tanzensembles“, so Meipariani. Und inzwischen hat das von Kriegen und mehr oder weniger gescheiterten Revolutionen auch wieder etwas Mittel, um Künstlerbegegnungen wie diese in Tiflis oder in Deutschland teilweise finanzieren zu können.

Aus den Bergen zur Buchmesse

Wer wissen will, wie die Musik von Meipariani klingt, greift am besten zur aktuellen CD der Komponistin. Zum Lyriker Amaglobeli bemerkt sie: „Er hat eine sehr bildhafte Sprache und einen sehr rhythmischen Vortrag. Er lebt zurückgezogen in den Bergen. Jetzt, seit seinem Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse, sind alle an ihm sehr interessiert. Er hat sehr viele neugierig gemacht.“ Und zum Tanz fügt sie hinzu: „In Georgien war er sehr lange von Stereotypen geprägt: Die Männer sind Krieger, die Frauen sind zärtlich und schwach. Die Bewegungen waren sehr reduziert und haben sich in Variationen wiederholt. Diese Tradition ist immer noch sehr vorhanden, zugleich ist auch viel aufgebrochen“.

Ulrike Bohnet, die dieses Kulturprojekt organisiert hat, schwärmt: „Es ist eine tolle Zeitmaschine. Man erlebt einige Experimente, aber auch viel Eingängiges und Melodisches, typische georgische Elemente – die Genregrenzen werden aufgelöst.“