Möglicherweise sind Erdwärmebohrungen daran Schuld, dass sich in Böblingen die Erde hebt. Mittlerweile sind mindestens 80 Gebäude beschädigt.
Böblingen - Bei Andreas Steinacker steht das Telefon nicht mehr still. Täglich melden sich bei dem Mitarbeiter des Wasserwirtschaftsamts im Landratsamt weitere Hausbesitzer, die über Risse in ihren Gebäuden klagen. Deren Zahl ist inzwischen auf mehr als 80 gewachsen. Für Jochen Weinbrecht, den Leiter des Wasserwirtschaftsamts, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Ursache Geothermiebohrungen sind, bei denen möglicherweise Wasser in die Gipskeuperschicht eingedrungen ist, das den Boden aufquellen lässt. Allerdings weigern sich die Grundstücksbesitzer noch, die Bohrlöcher untersuchen zu lassen.
Bisher hatten sich Geschädigte aus dem Gebiet südlich der Stuttgarter Straße – aus der Altinger Straße, der Gauß- und der Röntgenstraße – gemeldet sowie aus dem Osten Böblingens – aus der Feldberg- und der Kniebisstraße sowie dem Hans-Thoma-Weg. Nun seien noch einige Bewohner aus Nachbarstraßen hinzugekommen, sagt Weinbrecht. Die Wasserwirtschaftler waren bisher davon ausgegangen, dass zehn Bohrungen in den Wohngebieten als Ursache für die Schäden in Frage kommen. Nun gehen sie von insgesamt 19 Bohrlöchern aus.
Nutzer von Geothermie lassen Experten nicht auf ihr Grundstück
Anfang September, als das Landratsamt erstmals öffentlich über die Erdhebungen informierte, hatte Weinbrecht noch davon gesprochen, dass ein ganzes Bündel von Ursachen für die Risse in Frage komme, und nannte nicht fachgerechte Gründungen der Gebäude auf unterschiedlich tragfähigem Boden oder Spannungen zwischen Baustoffen als Beispiele. Auch Baumwurzeln, die an den Häusern lägen, könnten verantwortlich sein, meinte er. Und nicht zuletzt Kanalarbeiten, die in einigen Straßen durchgeführt worden seien. Doch davon muss Weinbrecht nun abrücken: „Die Ursache kommt von etwas anderem, das mehr in die Tiefe reicht.“
„Wir können aber nicht einfach auf die Grundstücke spazieren, um die Löcher der Erwärmebohrungen zu prüfen“, erklärt der Amtsleiter. Er sei mit den betreffenden Hausbesitzern in engem Kontakt, es seien schon zahlreiche Gespräche geführt worden. „Wenn sie uns nicht auf ihr Areal lassen, müssen wir uns die Erlaubnis im Zuge einer Duldungsverfügung erstreiten“, so Weinbrecht. Bisher hofft er jedoch noch auf den guten Willen und die Kooperationsbereitschaft. Freilich werde der Aufwand in manchen Fällen sehr groß sein, wenn die Erwärmesonde etwa unter einer Terrasse liege. Und in dieser Jahreszeit müsse zudem jeweils für eine Ersatzheizung gesorgt werden.
Sollten sämtliche Bohrlöcher überprüft werden, könnten die Kosten dafür leicht bei einem hohen vierstelligen Betrag liegen. „Wir müssen das Geld dafür vorstrecken, bis eine Versicherung zahlt“, sagt Weinbrecht. Dabei sei es nicht einmal sicher, dass man in 100 Metern Tiefe – soweit reichen die Löcher in einigen Fällen – auch die Stellen finde, in die Wasser eingedrungen sei, um sie danach mit Zement abzudichten. Zumal eben nicht einmal feststehe, dass es schadhafte Bohrungen gebe.
„Man kann auch durch den Gipskeuper durchbohren, der unter dem gesamten Stadtgebiet von Böblingen liegt, ohne dass eine Katastrophe passiert“, sagt Matthias Franz, der Leiter des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau im Regierungspräsidium Freiburg. Allerdings müsse man sich dafür Zeit lassen. Eine Erdwärmesonde sollte nicht an einem Tag versenkt werden. Wenn zwei Wochen für eine Tiefe von hundert Metern angesetzt würden, „wären die Dinger dicht“, meint Franz. Doch dann sei die Wirtschaftlichkeit der Erdwärme in Frage gestellt.
Am 25. Oktober will das Wasserwirtschaftsamt die betroffenen Hausbesitzer über die weiteren Messungen der Erdhebungen informieren, die seit Juli durchgeführt werden. Seitdem vergrößern sich die Risse monatlich um zwei bis sechs Millimeter. Manche Häuser weisen schon zwei Zentimeter breite Fugen auf.