An der Krailenshaldenstraße in Stuttgart-Feuerbach sollen bis zu 321 Flüchtlinge untergebracht werden. Der Freundeskreis fordert Hilfen.

Feuerbach - Wolf Dieter-Dorn macht sich ernsthafte Sorgen. Der Sprecher des Freundeskreises Flüchtlinge Feuerbach (FFF) beschrieb in der vergangenen Sitzung des Bezirksbeirates mit eindrücklichen Worten, was da für eine Herkulesaufgabe auf die rund 50 bis 60 ehrenamtlichen Helfer zukommt, die in dem sehr engagierten Kreis regelmäßig mitarbeiten. Es geht vor allem um die schwierige örtliche Lage und die Größe der Unterkunft an der Krailenshaldenstraße. Sie wird am Rande des Gewerbegebietes Feuerbach-Ost liegen, der Einzug der Flüchtlinge ist im Spätsommer 2016 vorgesehen. Dorn rechnet dort mit gravierenden sozialen Problemen: „Es gibt dort keine Kita, keine Schule, keine Einkaufsmöglichkeiten.“ Die Anbindung an Feuerbach fehle komplett.

 

Wenn 320 Menschen dort untergebracht werden, werde der eine den anderen nicht mehr kennen, sagt der Sprecher des FFF. Zudem befürchtet er, dass sich durch die Anonymität und Größe „Clanstrukturen“ innerhalb der Unterkunft bilden könnten. Er forderte, dass seitens der Stadt an diesem speziellen Standort nachgebessert werden müsse. Unter anderem schlug er die Einrichtung eines Gemeinschaftsgebäudes, Räume für die Mitarbeiter des Freundeskreises sowie Sportmöglichkeiten für die jungen Männer unter den Flüchtlingen vor. „Dafür möchte ich ein Votum des Bezirksbeirates haben.“

Zusätzliche Räume gefordert

Bündnis 90/Die Grünen, SPD und SÖS-Linke-Plus griffen seine Vorschläge auf und brachten noch während der Sitzung einen Antrag dazu im Gremium ein. Darin wurde gefordert, die Verwaltung solle prüfen, ob die geplanten Aufenthaltsräume an der Krailenshaldenstraße erweitert, Räumlichkeiten für den Freundeskreis geschaffen und angrenzende Gärten in das Betreuungskonzept einbezogen werden können. Zudem wurde beantragt, die personelle Ausstattung für die Betreuung der Flüchtlinge zu verbessern und einen besseren Betreuungsschlüssel als bisher einzuführen. Als fünfter Punkt wurde angeregt, den Bewohnern der Flüchtlingsunterkunft kostenlose „Ein-Zonen-Tickets“ zur Verfügung zu stellen. Doch trotz dem unmissverständlichen Appell von Dorn an alle Kommunalpolitiker in dem Feuerbacher Gremium, fiel der Antrag am Ende knapp durch. Die Bezirksbeiräte der CDU, FDP und Freien Wähler votierten mit sechs Nein-Stimmen dagegen. Grüne, SPD und SÖS-Linke-Plus kamen auf sechs Ja-Stimmen. Bei einer fehlenden Mehrheit gilt ein Antrag auch bei Stimmengleichheit als abgelehnt.

Auch noch Tage nach dem Beschluss können es die Antragsteller nicht fassen und schütteln den Kopf über das Abstimmungsverhalten einiger ihrer Ratskollegen: „Wie kann man froh sein, dass die Flüchtlinge möglichst weit weg von der Feuerbacher Mitte untergebracht sind, und gleichzeitig Maßnahmen zur Verbesserung der Betreuung ablehnen? Provoziert man damit, so wie es Herr Dorn ausgeführt hat, nicht Konflikte, die dann wieder als Argument gegen die fremde Kultur und die Zuwanderung ins Feld geführt werden“, fragt Roland Saur von SÖS-Linke-Plus. Ihn habe die Ablehnung des Antrags sehr geärgert.

Martin Härer (SPD) ist sehr enttäuscht. Vor allem von Gabriele Heise (FDP) hätte er sich erhofft, dass sie dem Antrag zustimmt, weil sie sogar Mitglied des Lenkungskreises des FFF ist. Ihr sollte bewusst sein, wie sich die Situation vor Ort darstellt, ergänzt Roland Saur. Die Liberale hält den Standort allerdings für nicht ganz so kritisch: „Die Anbindung nach Zuffenhausen ist gut, und auch nach Feuerbach kommt man mit der Bahn, wenn man einmal umsteigt.“ Es gebe an diesem Standort sicherlich Vor- und Nachteile, die sie auch gerne besprochen hätte – aber ohne Publikum. „Dann kann man offen diskutieren, ohne, dass jemand in der Öffentlichkeit politisches Kapital daraus schlagen möchte.“ Ein bis zwei Punkte des Antrages ihrer Kollegen könne sie auch durchaus unterstützen. Andere wiederum seien Wasser auf die Mühlen der Kritiker, die von einer Ungleichbehandlung beziehungsweise einer Bevorzugung von Flüchtlingen sprechen.

CDU, FDP und Freie Wähler lehnten den Antrag ab

Auch Jochen Heidenwag (Freie Wähler) lehnte den Antrag der Grünen, SPD und von SÖS-Linke-Plus ab. Er sei ihm in ein bis zwei Punkten zu weit gegangen. „Wir machen sehr viel für die Flüchtlinge und sollten die mittellosen Menschen, die hier leben, nicht vergessen“, sagt Heidenwag.

Markus Bott (CDU) sieht das ähnlich: „Man kann viel fordern, aber es muss auch jemand bezahlen. Ich finde, dass es ausreichend ist, was die Stadt derzeit macht.“ Er habe den Antrag so interpretiert, dass Wolf-Dieter Dorn, die Grünen, SPD und SÖS-Linke-Plus den Pächtern rund um die neue Flüchtlingsunterkunft ihre Gärten wegnehmen möchte. „Das ist etwas zu heftig“, sagt Markus Bott. Zudem sei der Standort Krailenshaldenstraße ja nicht „total ab vom Schuss“. Wenn man beispielsweise die Weinbergstraße hochlaufe, sei man schnell am Burgholzhof. Da gebe es dann auch Spielplätze.

Wolf-Dieter Dorn ist vom Abstimmungsergebnis „nicht begeistert“. CDU und FDP müssten sich auch vor Augen führen, was das für die Kundschaft und den Umsatz der umliegenden Firmen bedeuten könnte, wenn sich die Kinder aus den Flüchtlingsfamilien aus Langeweile die Nasen an den Scheiben der Autohäuser platt drücken werden. „Das ist von den Parteien einfach sehr kurz gedacht. Der Stadt zu signalisieren, dass alles gut ist, ist falsch. Dann braucht man sich später nicht wundern, wenn der Bezirk negativ in die Schlagzeilen gerät.“ Dorn betont, dass im Vorfeld mit allen Parteien und Fraktionen gesprochen wurde. Nur mit der CDU kam kein Gespräch zustande. Etwa eine Woche vor der Bezirksbeiratssitzung habe Dorn eine E-Mail an Markus Bott geschrieben, aber leider keine Antwort erhalten. Der Christdemokrat sagt, dass er nicht in Stuttgart gewesen sei. Jemand anders aus der Fraktion habe aber mit Dorn auch nicht gesprochen.

Trotz des Rückschlages stecken die Mitglieder des FFF den Kopf nicht in den Sand. „Mit der Ablehnung des Antrages ist noch nichts verbaut. Wir vom Freundeskreis werden weiterhin für die Verbesserungen eintreten“, sagt Bezirksbeirat Roland Saur.

Der städtischen Beschlussvorlage zur Flüchtlingsunterbringung (Tranche 5) stimmte der Bezirksbeirat bei 7 Ja-Stimmen und 5 Enthaltungen zu. Die Krailenshaldenstraße mit 321 Plätzen wird darin neben fünf weiteren Standorten vorgeschlagen. Zuvor hatte die CDU beantragt, die Vorlage lediglich zur Kenntnis zu nehmen. Diesen Antrag lehnte der Bezirksbeirat bei Stimmengleichheit ab.

Kommentar: Die Unterstützung wird verweigert

Torsten Ströbele

Die Fronten im Bezirksbeirat sind verhärtet. Das ist vor allem dann zu spüren, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht – wie zum Beispiel in der jüngsten Sitzung des Gremiums. Die Grünen, die SPD und SÖS-Linke-Plus stellten einen Antrag. Freie Wähler, FDP und CDU lehnten ihn ab. Hinter vorgehaltener Hand gibt der eine oder andere sogar zu, was offensichtlich ist: Hier geht es um Parteipolitik. Die offizielle Version lautet: Nein, natürlich geht es immer nur um den Inhalt eines Antrages. Nur: In diesem Fall ist kein einziger Bezirksbeirat zu finden, der alle fünf Punkte des Antrages inhaltlich in Frage stellt. Warum ist dann aber niemand auf die Idee gekommen, die Punkte einzeln abstimmen zu lassen? Auf Nachfrage sind die wenigsten Lokalpolitiker um eine Ausrede verlegen: Der Tagesordnungspunkt habe eh schon anderthalb Stunden gedauert. Oder: Der Antrag hätte lieber hinter verschlossenen Türen diskutiert werden sollen. Oder: Mit mir hat vorher aber niemand über den Antrag gesprochen. Sind das Argumente, die darauf schließen lassen, dass es um den Inhalt ging? Wohl kaum!

Die CDU stieß sich speziell an dem Punkt „Die Verwaltung prüft, ob angrenzende Gärten in das Betreuungskonzept mit einbezogen werden können.“ Da ginge es um Enteignung. Interessante Interpretation. Bei allen fünf Punkten stand zunächst einmal der Prüfauftrag im Vordergrund. Es wäre also überhaupt kein Problem gewesen, dem Antrag zuzustimmen und sich erst einmal die Ergebnisse anzuhören. Vielleicht gibt es ja Lösungen, die kein Geld kosten? Wer weiß? Aber wer schon im Vorfeld mit dem Argument kommt, dass für die Flüchtlinge genug Geld ausgegeben wird, will sich eigentlich überhaupt nicht mit der Situation an der Krailenshaldenstraße auseinandersetzen. Die ehrenamtlichen Helfer, ohne die eine Integration der Flüchtlinge nur sehr schwer möglich wäre, schlagen Alarm, werden abgebügelt und nicht ernst genommen.

Die Stadt mache schon genug, heißt es. Fakt ist, dass sich aktuell bei einem Betreuungsschlüssel von 1:136 noch nicht einmal drei Sozialarbeiter Vollzeit um die 320 Bewohner kümmern würden. Zudem wird ohne die Mitglieder des Freundeskreises von Freitagmittag bis Montagmorgen überhaupt niemand vor Ort sein, der sich kümmert. Wer all das weiß und denkt, dass unter diesen Voraussetzungen und an diesem Standort keine Probleme entstehen, muss sich auch nicht wundern, wenn die Situation an der Krailenshaldenstraße eskaliert. Wäre die Abstimmung auch so ausgefallen, wenn es sich um vier Systembauten am Hattenbühl, im Gebiet Schelmenäcker-Süd oder in einem anderen Wohngebiet in Feuerbach gehandelt hätte?