Geplante Schließung im nächsten Jahr Bleibt die Notfallpraxis Herrenberg Streichkandidat?

Am Klinikum Herrenberg befindet sich noch die Notfallpraxis des Ärztliche Bereitschaftsdienstes. Viele stemmen sich gegen die Entscheidung, die Praxis dichtzumachen. Foto: /Stefanie Schlecht

Notaufnahmen laufen über, das Personal weg. Ab 2025 soll nun auch noch die Notfallpraxis Herrenberg schließen. Verschlimmert sich die Situation? Der Protest gegen die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung wird auch deshalb lauter.

Böblingen: Martin Dudenhöffer (dud)

Übervolle Notaufnahmen – schon jetzt ist das der Alltag in den Kliniken im ganzen Land. Auch im Kreis Böblingen klagt der Klinikverbund Südwest seit Jahren über eine Überbeanspruchung der Notfallkapazitäten. In Zukunft könnte sich diese Situation weiter zuspitzen, denn die Pläne der Kassenärztlichen Vereinigung (KV), wegen des Ärztemangels die Notfallpraxis am Klinikum Herrenberg zu schließen, könnte den Patientenandrang in den Ambulanzen erhöhen.

 

„Die Schließung der Notfallpraxen wird zu einem deutlichen Anstieg der Patienten in unseren Notaufnahmen führen“, heißt es vom Klinikverbund. Bereits heute würden mehr als 160 000 Notfälle pro Jahr in den Kliniken behandelt – „mehr als 60 Prozent davon ambulant“, so der Klinikverbund weiter.

Klinikmitarbeiter arbeiten bereits über dem Limit

Wenn das Bereitschaftsangebot vom kommenden Jahr an schrittweise eingestellt werde, verschärfe sich auch die Situation für das Personal, ist sich der Klinikverbund sicher: „Bereits heute arbeiten die Kollegen in den Notaufnahmen am Limit. Dies ist für uns als Arbeitgeber nicht akzeptabel, da gerade die aktuellen Entwicklungen mit dazu beitragen, dass immer mehr Menschen aus dem Gesundheitswesen aussteigen.“ Auch finanziell werde sich das Wegbrechen der Notfallpraxis auf den ohnehin klammen Verbund auswirken, wie der Klinikverbund sagt: „Das Defizit pro ambulantem Behandlungsfall liegt bei rund 88 Euro, was etwa zehn Millionen Euro jährlich ausmacht. Da die Notfallversorgung massiv unterfinanziert ist, wird sich dieses Minus weiter erhöhen.“

Sorgenvoll auf die Ankündigung der KV, im Laufe des kommenden Jahres insgesamt 18 Notfallpraxen in Baden-Württemberg dichtzumachen, reagieren auch andere Akteure im Kreis. Der Böblinger Landtagsabgeordnete Florian Wahl (SPD) zum Beispiel zeigt kein Verständnis für den Rückbau der ambulanten medizinischen Versorgung in der Gäumetropole: „Die KV hat rechtlich gesehen einen Sicherstellungsauftrag, den ich durch die geplante Schließung der Notfallpraxis nicht erfüllt sehe. Wir appellieren daher ganz klar an die Rechtsaufsicht der KV, das ist Landessozialminister Manne Lucha, die Entscheidung nicht zu akzeptieren.“

Florian Wahl (SPD) hofft darauf, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Unsicherheit bei den Bürgern ist groß

Nicht nur er sehe die Pläne kritisch, auch in der Bevölkerung mehrten sich die besorgten Stimmen, wie Wahl erklärt: „Es herrscht bei den Bürgern eine große Verunsicherung – schon alleine wegen des anstehenden Umbaus des Krankenhauses. Sie sehen die medizinische Versorgung aufs Spiel gesetzt.“ Der Protestwillen der Menschen äußere sich auch dadurch, dass in drei Wochen 20 000 Unterschriften landesweit zusammengekommen sind. In der vergangenen Woche übergab Wahl die Liste an den Grünen Landesgesundheitsminister und die KV.

Auf der politischen Ebene herrsche größtenteils Einigkeit, dass der Wegfall von Herrenberg ein „herber Schlag“ für die ärztliche Notfallversorgung sei. „Das ist unabhängig der Parteifarbe“, sagt Wahl und verweist sogar auf Parteifreunde des Ministers, die große Bauchschmerzen angesichts des Kahlschlags hätten. In Herrenberg äußerte sich OB Nico Reith verärgert: „ Es handelt sich dabei um eine deutliche Verschlechterung der Versorgung. Leidtragende sind die Bürger.“ Reith bemängelte auch die Kommunikationspolitik in Stuttgart: „Es kann nicht sein, dass eine Entscheidung solcher Tragweite hinter verschlossenen Türen und ohne die Einbeziehung der Betroffenen getroffen wird.“

Sind die Entfernungen zu weit oder nah genug?

Wie das Landessozialministerium auf eine Anfrage Wahls erklärt, nutzten im Jahr 2022 rund 6800 Patienten die Notfallpraxis in Herrenberg. Ein Jahr später waren es 6600 Menschen. Bis Juli dieses Jahres hätten etwas mehr als 2000 Patienten die Bereitschaftsdienstpraxis aufgesucht. Wahl ist überzeugt: „Das Angebot so massiv auszudünnen, ist eine Gefahr für die wohnortnahe Gesundheitsversorgung.“ Dem Argument widerspricht die KV allerdings: „Die KV stellt die ärztliche Versorgung in den Randzeiten auch abseits der großen Städte sicher. Auch wenn die Praxis in Herrenberg geschlossen wird, ist die Versorgung gewährleistet.“ Laut KV-Konzept steht 95 Prozent aller Menschen im Landkreis innerhalb von 30 Minuten eine der bestehenden Praxen zur Verfügung. Herrenberg sei daher verzichtbar, so der KV-Pressesprecher Kai Sonntag.

Damit will sich der Klinikverbund nicht zufriedengeben. Vielmehr hoffe man auf Gesprächsbereitschaft. „Wir brauchen eine gemeinsame Lösung, bei der alle Beteiligten ihrer Verantwortung und insbesondere ihrem Versorgungsauftrag nachkommen.“ Der Gesundheitspolitiker Wahl kündigt an: „Wir werden das ins Plenum im Landtag bringen und den Druck auf den Minister erhöhen. Ich bin auch vorsichtig optimistisch.“ 30 Prozent der Notfallpraxen im Land dichtzumachen, gleiche einem „Wahnsinn“.

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