Geplante Unterkunft in Korntal-Münchingen Platz für Geflüchtete dringend gesucht
Der Landkreis prüft eine Gemeinschaftsunterkunft in Korntal-Münchingen. Die Herausforderung im Ort schwindet dadurch nicht – die Kritik einiger Bürger auch nicht.
Der Landkreis prüft eine Gemeinschaftsunterkunft in Korntal-Münchingen. Die Herausforderung im Ort schwindet dadurch nicht – die Kritik einiger Bürger auch nicht.
Alexander Noak lässt Zahlen sprechen. Laut dem parteilosen Bürgermeister der Stadt sind derzeit 819 Geflüchtete im Ort untergebracht, sowohl in Flüchtlingsunterkünften als auch privat.
Jedes Jahr sind die Kommunen im Land verpflichtet, eine zugewiesene Anzahl von Geflüchteten auf ihrer Gemarkung unterzubringen. 25 waren es 2021, 42 im Jahr darauf. In diesem Jahr muss Korntal-Münchingen 89 Geflüchtete unterbringen. Für das nächste Jahr und darüber hinaus lägen noch keine Zahlen vor. Aber dass die Zahl der Geflüchteten zurückgeht, davon geht der Rathauschef nicht aus. „2023 erfüllen wir die Zuteilungsquote. Das schaffen wir“, sagt Noak – um dann anzufügen, die „ganz große Herausforderung“ werde das kommende Jahr. „Wir haben noch keinen so richtigen Masterplan für 2024.“ Man prüfe Optionen, parallel zudem die Unterbringung in Hotels, mit denen die Stadt in Kontakt stünde. Insgesamt hat die Stadt bisher 819 Geflüchtete untergebracht, darunter 217 Personen aus der Ukraine.
Vor diesem Hintergrund sieht er in den Pläne des Landratsamtes vor allem als „sehr interessante Option des Landkreises“. Die Kreisbehörde prüft derzeit im Ortsteil Korntal die Einrichtung einer Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 300 Personen in einer Gewerbeimmobilie in der Lilienthalstraße 2. Der Landkreis könne dies ohne Zustimmung der Kommune bestimmen, so Noak. Derzeit werden die Pläne baurechtlich geprüft. Wird die Unterkunft eingerichtet, werden die dort untergebrachten Geflüchteten jährlich angerechnet auf die neu unterzubringenden Personen. Letztlich würde das bedeuten, dass „wir uns über weitere Geflüchtete im Jahr im Umfang von 120 Personen keine weiteren Gedanken machen müssten, weil diese Menschen jedes Jahr auf die Quote angerechnet würden“.
Sollte die Gemeinschaftsunterkunft realisiert, wird man dennoch über die Errichtung weiterer Unterkünfte nachdenken. Daran ließ Noak keinen Zweifel, als er in der Bürgerversammlung vor einigen Tagen auf den Bedarf eines geplanten Gebäudes in der Frankenstraße in Münchingen angesprochen wurde. Dort regt sich seit geraumer Zeit Widerstand, zuletzt äußerte zudem eine Gruppe von Frauen ihre Skepsis. Geplant ist dort bisher ein Gebäude, das für 66 Personen ausgelegt ist. Das sei schon „eine sehr wuchtige Anmutung“, sagte Noak. Deshalb würden derzeit Alternativen in Bezug auf die Größe des Gebäudes geprüft. Gleichwohl machte er klar, dass die Kommune das Gebäude zur Unterbringung auf jeden Fall benötige, sollte die Gemeinschaftsunterkunft nicht eingerichtet werden. Doch selbst bei einer Realisierung, hat die Stadt Bedarf an zusätzlichem Wohnraum. Der Gemeinderat habe dann über den Bau zu befinden, sagte der Bürgermeister.
Ungeachtet dessen sieht sich die Kommune auch dann weiterhin vor Herausforderungen gestellt. Es sei „immer schwieriger, die Menschen gleichmäßig über die Stadtteile zu verteilen“, sagt der Bürgermeister Alexander Noak. Gleichwohl wolle man daran festhalten. Auch vor diesem Hintergrund sei ein funktionierendes Integrationsmanagement von großer Bedeutung.
Gut 20 Frauen aus dem Münchinger Westen haben sich zusammengetan, weil sie sich nach „unangenehmen Begegnungen mit Migranten“ unsicher fühlen. Sie fürchten um die Gleichberechtigung und Würde von Frauen. Von „jungen arabisch aussehenden Männern“ hätten die Frauen sich anhören müssen, dass jene sich von Frauen nichts sagen ließen. „Ihr Wertebild ist ganz anders.“ Die Frauen, Ende 20 bis Mitte 60, berichten nicht nur von Belästigung, Beleidigung und Bedrohung ihnen gegenüber, sondern auch von Sachbeschädigung, Vandalismus. Die Vorfälle würden sich rund um die Frankenstraße und im Täle Richtung Schwieberdingen ereignen. Einige Vorfälle seien bei der Polizei angezeigt worden, passiert sei aber wenig. „Wir fühlen uns hilflos und alleingelassen“, sagen die Frauen, die anonym bleiben wollen – und aktiv werden. Sie erzählen sachlich, sprechen von einem „gesamtgesellschaftlichen Problem“, über das sie auch bereits mit dem Bürgermeister geredet haben. „Wir haben uns ernstgenommen gefühlt und wünschen uns eine gute Zusammenarbeit.“ Politisch seien sie nicht, „aber wir sind auch Mütter. Wir wollen, dass wir und unsere Kinder ein sicheres, friedliches Leben haben und in Freiheit auf die Straße gehen können.“ Sie nehmen die Situation anders wahr, als die Stadt und Polizei es tun. Die Frauen sorgen sich, dass sich die Lage verschärft, wenn in der Frankenstraße eine Flüchtlingsunterkunft entsteht – in die viele Männer ziehen statt Familien, so ihre Befürchtung. Konfliktpotenzial sei schon deshalb gegeben, weil es nicht würdevoll sei, Flüchtlinge auf einer kleinen, von der Bahnlinie begrenzten Grünfläche unterzubringen. Bei einer geplanten Belegung von bis zu 66 Personen verdoppele sich die Bewohnerzahl in diesem Abschnitt der Frankenstraße. „Wer Hilfe braucht, soll sie bekommen, aber alles muss sozial verträglich und verhältnismäßig sein“, meinen die Frauen. Sie machen sich Gedanken. Zum Beispiel über Integration. „Sie kann nur gelingen, wenn Migranten in kleinen Wohneinheiten die Chance bekommen, sich zu integrieren“, sagen die Frauen. In ihrem Wohngebiet gebe es nicht wenige gut gelungene Beispiele von Menschen aus fremden Ländern. Besonders wichtig ist ihnen, dass sich Frauen vernetzen und in die Diskussion einbringen. Sie dürften keine Angst haben, sich zu äußern und für ihre Sicherheit einzustehen. „Wir wollen anderen Frauen Mut machen. Sie sind nicht allein.“ Gleichwohl sei nun jeder gefragt, sich der bundesweiten gesamtgesellschaftlichen Herausforderung zu stellen.
Angesprochen auf die von den Frauen geschilderten Vorfälle sagt die Rathaussprecherin Angela Hammer, die Thematik stehe nicht im Zusammenhang mit Flüchtlingen, sondern allgemein „mit einer Gruppe von Jugendlichen“. Und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge habe der Landkreis aktuell nur im Stadtteil Korntal untergebracht. In Korntal-Münchingen kümmert sich das Integrationsmanagement der Stadt um geflüchtete Personen. Das ersetzt die zentrale Betreuung durch das Landratsamt. Sieben Vollzeitstellen hat die Stadt geschaffen. „Das ist eine gute personelle Besetzung im Vergleich zu anderen Kommunen“, meint Angela Hammer. Die Vor-Ort-Betreuung der Zuwanderer direkt in den Unterkünften schaffe Beziehungen, ermögliche kurze Reaktionszeiten und leiste einen wertvollen Beitrag zur Integration und Regelkonformität. Die Rathaussprecherin betont, die Verwaltung nehme die Sorgen der Frauen sehr ernst. Zugleich verweist sie auf die Kriminalitätsstatistik für das Jahr 2022 – und eine „Diskrepanz zwischen gefühlter und tatsächlicher Sicherheit und Unsicherheit“: Die Zahlen würden eine hohe Sicherheit in Korntal-Münchingen bestätigen. „Es besteht kein Grund für Bürger, größere Sicherheitsbedenken zu haben.“ Die Situation werde aber fortlaufend bewertet. „Gegebenenfalls werden weitere Schritte in Betracht gezogen.“ Laut der Statistik hat die Stadt in der Kriminalitätsbelastung eine Häufigkeitsziffer von 3745 Straftaten pro 100.000 Einwohner. „Damit liegen wir unter dem Schnitt des Landes von 4944 sowie 3927 des Kreises.“ Das Sicherheitskonzept der Stadt besteht aus drei Säulen: Der Vollzugsdienst und die Polizei seien regelmäßig im Einsatz. An „neuralgischen Punkten“ arbeitet die Stadt zudem mit einem Sicherheitsdienst zusammen. Er werde „sporadisch eingesetzt“. Zum Beispiel sei er in den Sommerferien unterwegs gewesen und habe am Abend schwerpunktmäßig Jugendtreffpunkte und Schulareale kontrolliert. Anlass waren demnach Beschwerden über Personen, die dort außerhalb der Nutzungszeiten „übermäßig Alkohol“ tranken. Der Sicherheitsdienst hat sie verscheucht. Im von der Frauengruppe genannten Münchinger Täle gebe es indes „keine Auffälligkeiten“. Die dritte und neue Säule sind Streetworker. Die Stadt wird eine halbe Stelle für die mobile Jugendarbeit besetzen. Der Streetworker soll eingreifen, wenn Jugendliche durch ihr Verhalten auffallen. Er soll sie an Orte bringen, „wo sie sein dürfen und ihnen damit Angebote in unserer Stadt bieten“.
Die Polizei kennt Bedenken, wie sie die Münchinger Frauen äußern. Aktuell sei die Unterbringung von Flüchtlingen überall ein Thema, sagt der Ludwigsburger Polizeisprecher Steffen Grabenstein. „In dem Zusammenhang werden auch wir immer wieder mit Ängsten aus der Bürgerschaft konfrontiert, dass sich die Sicherheitslage durch eine steigende Zahl von Flüchtlingen verschlechtern könnte – gerade auch im Umfel d von entsprechenden oder geplanten Unterkünften.“ Zustände, wie von den Frauen geschildert, seien aus polizeilicher Sicht objektiv nicht feststellbar. „Wir erleben nicht selten, dass das subjektive Sicherheitsempfinden nicht mit der objektiv messbaren Kriminalitätslage übereinstimmt“, so Grabenstein. Gerade Personengruppen, die sich immer an einer Örtlichkeit aufhalten, würden oft subjektiv als bedrohlich wahrgenommen, „auch wenn sie das vielleicht faktisch gar nicht sind“. Die Größe, Lautstärke oder Alkoholkonsum könnten das subjektive Empfinden zusätzlich negativ beeinflussen. „Das ist ein normales, häufig beobachtbares Verhalten.“ Steffen Grabenstein sagt, grundsätzlich sei immer damit zu rechnen, dass die Zahl der Straftaten steigt, allein wenn die Zahl der Menschen in einem Ort dies tut. Bei der Unterbringung von Flüchtlingen kommen in vergleichsweise kurzer Zeit viele Personen hinzu. Das kann sich zwar auch in der Kriminalstatistik niederschlagen. Die bisherigen Erfahrungen in der Zuständigkeit des Präsidiums – die Kreise Ludwigsburg und Böblingen – bestätigen laut Grabenstein aber dennoch nicht, dass sich die Sicherheitslage insgesamt durch die Unterbringung von Flüchtlingen verschlechtern würde. „Die Lage muss differenzierter betrachtet werden.“ Die leicht steigende Ausländerkriminalität betreffe weniger die Bevölkerung, sondern mehr die Flüchtlinge selbst. Ein großer Teil sind Straftaten unter Flüchtlingen wie Diebstahls- und Rohheitsdelikte. Zusammenfassend lässt sich für Korntal-Münchingen festhalten: Die Fallzahlen der Ausländerkriminalität insgesamt stiegen in 2022 „moderat“ an – wie generell in den Kreisen (plus 5,5 Prozent). Flüchtlinge seien schwerpunktmäßig mit Eigentumsdelikten sowie Auseinandersetzungen innerhalb von Unterkünften und im Familien-, Freundes- und Kollegenkreis auffällig gewesen. Ob Straftaten steigen, die das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung besonders betreffen, könne von mehreren Faktoren beeinflusst werden wie die Zahl, Größe, Lage und Anbindung der Unterkünfte, die Zusammensetzung der Bewohner, die Qualität der Integrationsarbeit.