Mit Einführung des Bürgergeldes lohne es sich nicht mehr, arbeiten zu gehen. Diese Behauptung verbreitet sich stark in sozialen Netzwerken, auch die CSU mischt mit. Doch was stimmt wirklich? Die Details im Faktencheck.

Im Januar will die Bundesregierung das neue Bürgergeld einführen. Die Grundsicherung für Arbeitslose soll dann etwa 50 Euro höher sein als die bisherigen Hartz-IV-Leistungen und mit weniger Druck vom Jobcenter verbunden. Bereits vor den endgültigen Entscheidungen in Bundestag und Bundesrat wird diskutiert: Lohnt es sich dann überhaupt noch, arbeiten zu gehen?

 

Behauptung: Das Bürgergeld stellt mitunter Arbeitslose finanziell besser als Arbeitnehmer in Vollzeit.

Bewertung: Ein Vergleich von Bürgergeld allein mit dem Nettolohn einzelner Geringverdiener ist häufig irreführend. Denn finanzielle Ansprüche für Niedriglohnbezieher werden dabei nicht berücksichtigt.

Fakten: Mit diversen Beispielrechnungen wird unter anderem in sozialen Medien immer wieder argumentiert: Menschen, die arbeitslos sind und Bürgergeld empfangen, hätten künftig monatlich genauso viel Geld in der Tasche wie manch Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerin. Teils wird sogar behauptet, Arbeitslose hätten Hunderte Euro mehr.

CSU-Chef Markus Söder sagte zum Beispiel jüngst im ZDF, bestimmte Menschen in den unteren Einkommensgruppen würden „am Ende, wenn sie arbeiten, weniger haben, als wenn sie nicht arbeiten“. Zuvor hatte seine Partei die Kampagne „Leistung muss sich lohnen!“ initiiert.

Die CSU rechnet etwa vor: Ein Alleinstehender, der ab 2023 Bürgergeld empfange, habe am Ende vermeintlich genauso viel Geld zum Leben übrig wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von etwa 2500 Euro. Denn anders als der Arbeitslose bekomme der Arbeitnehmer weder Wohnung noch Heizkosten vom Staat finanziert, sondern müsse alles aus eigener Tasche bezahlen, so die These.

Die CSU übernimmt für ihr Beispiel haargenau dieselben Daten, die schon Wochen zuvor etwa die rechtskonservative Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und mehrere AfD-Kreisverbände verbreitet hatten.

Rechenbeispiele vielfach unvollständig

Häufig werden bei Beispielen wie diesen staatliche Leistungen verschwiegen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor zustehen: etwa Wohngeld, Kinderzuschläge, Unterhaltsleistungen oder Freibeträge - also zusätzliches Geld, das nur Erwerbstätige beantragen können. Durch die Unterschlagung dieser Zuschüsse fallen die Ergebnisse solcher Rechnungen für Beschäftigte im Niedriglohnsektor teils um mehrere Hundert Euro zu niedrig aus.

Die Differenz zwischen Bürgergeld und Gehalt zu berechnen, ist nämlich nicht so simpel, wie häufig suggeriert wird. Im Gegenteil: Berechnungen von Bedarfen auch bei Niedriglohnempfängern sind hochkomplex - und vor allem individuell. Ob staatliche Leistungen gezahlt werden, hängt von konkreten Faktoren wie Größe und Kosten der Wohnung, Wohnort oder Anzahl der Familienmitglieder ab.

Grundsätzlich haben in Deutschland Berufstätige mehr Geld zur Verfügung als heutige Hartz-IV- und künftige Bürgergeld-Empfänger. Zudem hat Arbeitslosigkeit auch im Alter Folgen. Beim Bürgergeld werden keine Beiträge an die Rentenversicherung abgeführt. Jeder Monat in der Grundsicherung schmälert also künftige Rentenzahlungen.

Welche Zuschüsse gibt es für die unteren Lohngruppen?

Menschen mit geringen Einkommen können verschiedene Zuwendungen erhalten - besonders Familien. Das wären zum Beispiel:

Wohngeld: Dessen Höhe hängt vom Netto-Einkommen des Haushalts, der Zahl der Haushaltsangehörigen und den Mietkosten ab. Der Betrag kann bei geringen Gehältern in einem Drei-Personen-Haushalt einer Alleinerziehenden durchaus mehrere Hundert Euro ausmachen. Ab Januar 2023 soll das Wohngeld nach Plänen der Ampel-Koalition erhöht und die Empfängergruppe um 1,4 Millionen Bürgerinnen und Bürger erweitert werden.

Kinderzuschlag: Über die Höhe dieser Zuwendung wird individuell entschieden je nach Einkommen, Wohnkosten, Größe der Familie und dem Alter der Kinder. Voraussetzung ist, dass eine Alleinerziehende oder ein Alleinerziehender ein Bruttoeinkommen von mindestens 600 Euro und Paare von mindestens 900 Euro haben. Beispiel: Eine Mutter mit zwei Kindern bekommt bei einem Bruttogehalt von bis zu 2100 Euro und einer Warmmiete von etwa 790 Euro bis zu 229 Euro monatlich pro Kind.

Unterhaltsvorschuss: Diese staatliche Leistung für Kinder von erwerbstätigen Alleinerziehenden wird gezahlt, wenn das andere Elternteil nicht regelmäßig oder in voller Höhe Unterhalt für seine Kinder beisteuert. Der Vorschuss beträgt (Stand: 1. Januar 2022) für Kinder zwischen 6 und 11 Jahren monatlich bis zu 236 Euro, bei älteren sogar bis zu 314 Euro.

Strom müssen auch Bürgergeld-Empfänger selbst zahlen

Wenn die CSU schreibt, ein Bürgergeld-Empfänger habe null Euro Energiekosten, ist das falsch. Strom muss nämlich aus dem zur Verfügung gestellten Regelsatz selbst finanziert werden.

Die Kosten für Wohnen und einen angemessenen Verbrauch bei der Heizung werden tatsächlich vom Amt übernommen. Gerade das sorgt angesichts steigender Mieten sowie Gas- und Ölpreise für viel Unmut aufseiten der Arbeitnehmer.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, etwa lenkt daher den Blick auf die Löhne. Ein gewisser Abstand zwischen Erwerbseinkommen und Bürgergeld müsse gehalten werden, erklärte sie jüngst im Deutschlandfunk. „In Branchen, wo dies nicht gegeben ist, muss dringend nachgebessert werden.“ Soll heißen: Nicht das Bürgergeld ist ihrer Ansicht nach zu hoch, sondern die Gehälter teils zu niedrig.