Stuttgarter Engländer lassen sich vermehrt einbürgern. Das ist nur eine Folge des Brexits, die in Stuttgart spürbar ist. Auch auf der Urlaubsmesse CMT ist die unklare Situation auf der Insel Thema.

Stuttgart - Kommt der ungeordnete Brexit? Diese Frage treibt auch viele Stuttgarter um: von Engländern, die hier leben, über Mittelständler, die Handelspartner in Großbritannien haben, bis zu Touristen, die ihre nächste Reise planen. „Es ist eine Katastrophe“, kommentiert Christian Hazlewood, der mit seiner Frau Lynn den English Tearoom führt, die aktuelle, verfahrene politische Lage in seiner Heimat. Wirtschaftlich wäre für die Inhaber auch ein harter Brexit zu verkraften, den Tee beziehen sie nicht aus England. Die Kekse und die Schokolade aus dem Sortiment würden sich zwar verteuern, aber „was sind Kekse gegen ein ganzes Land“, meint der gebürtige Londoner. Persönlich haben er und seine Frau vorgesorgt – sie haben seit Oktober 2018 zwei Pässe und sind nun auch deutsche Staatsbürger. Doch Hazlewood setzt noch Hoffnungen auf die englischen Politiker: „Sie werden den harten Brexit verhindern“, glaubt er.

 

Formulare für die Einbürgerung liegen zuhause

Peter Sondheim, der Inhaber des Piccadilly English Shops und des Stuttgarter Whiskey Shops, machen die Entwicklungen rund um den Brexit dagegen auch wirtschaftlich Sorgen. „Wenn der harte Brexit kommt, wird es schwer, den Piccadilly Shop zu halten“, sagt er. Es werde teurer, die Produkte einzuführen. Die Ungewissheit zurzeit sei belastend. Vor dem 29. März, dem offiziellen Austrittsdatum aus der EU, habe er vor, noch einige Großbestellungen zu tätigen, um einen Vorrat an Waren zu haben, aber bei Lebensmittellieferungen sei das aufgrund der Haltbarkeit nur begrenzt möglich. Ohne Brexit-Abkommen werde er das Geschäft zudem wohl seiner deutschen Frau überschreiben, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein. Und auch er überlegt, einen Antrag auf die deutsche Staatsbürgerschaft zu stellen. Die Formulare hat er schon zuhause. Leicht macht er sich die Entscheidung nicht: „Ich liebe es, in Deutschland zu wohnen, aber ich bin trotzdem Brite“, sagt der 57-Jährige.

Tatsächlich lassen sich viele Stuttgarter Briten einbürgern. Seit der Brexit-Entscheidung am 23. Juni 2016 wurden bei der Einbürgerungsbehörde 218 Anträge auf den deutschen Pass gestellt – die meisten (91 Anträge) im Jahr 2018. Zum Vergleich: im gesamten Zeitraum 2006 bis 2016 waren es 40 Anträge. „Wir haben weiter sehr viele Anfragen und empfehlen allen, jetzt den Antrag zu stellen“, sagt der Behördenleiter Andreas Deuschle. Wer das vor dem 29. März mache und die Voraussetzungen für die Einbürgerung erfülle, könne noch die doppelte Staatsbürgerschaft erhalten.

Statt nach Liverpool geht es nach Holland

Das Brexit-Thema beschäftigt auch viele Besucher auf der Reisemesse CMT. Am Stand von Travelling Britain muss sich Geschäftsführer Tim Bennett schon den ganzen Tag Fragen zur künftigen Einreise nach Großbritannien anhören. „Das Thema Brexit beschäftigt unsere Tourismusbranche schon seit sechs Monaten, und es reißt nicht ab“, sagt Bennett.

So mancher Tourist ändert wegen des Brexits seine Reisepläne. Das Ehepaar Schmitt aus Karlsruhe wollte zum Beispiel in den Osterferien eigentlich nach Liverpool und Manchester. Nun geht’s nach Holland. „Wir haben beide gerade keinen gültigen Reisepass und wissen nicht wie die Einreisebestimmungen sich bis dahin verändern“, sagt Andreas Schmitt. Irland statt England heißt es auch bei Renate Geiger aus Murrhardt, die mit ihrer Freundin eigentlich im Herbst nach London reisen wollte. „Aber wer weiß, ob man nicht plötzlich ein Visum benötigt“, sagt Geiger.

An den Einreisebestimmungen ändere sich für Touristen nichts, sie seien bis 2025 gesetzlich festgezurrt, so Bennett. Da England noch nie dem Schengen-Abkommen angehörte und neben Urlaubern auch vermehrt Migranten einreisen würden, müssten sich Reisende aber auf deutlich längere Passkontrollen einstellen. Er glaubt trotz der Abwertung des Pfunds gegenüber dem Euro nicht daran, dass England künftig ein Schnäppchenland wird. Einige Produkte seien von jeher in Euro fixiert.