Mürrisch errechnet er seinen Geldwert als Rentner, schrill verwandelt er sich in einen indisch-katholischen Pfarrer; er gibt Ansagen im Idiom und Temperament anderer Länder von sich und zwitschert als Frau vom Radio, die einen bayrischen Alkoholsportler interviewt: Gerhard Polts Auftritt im Theaterhaus ist ein echtes kleines Hörspiel gewesen.

Stuttgart - Da steht er, längst ergraut, bebrillt, mit seinem Gesichtsausdruck von breitem Gleichmut; ein Hemdzipfel hängt ihm aus der Hose, er trägt Trachtenjacke, hält ein Glas Wein in der Hand, und schnuppert. Mit 76 Jahren ist Gerhard Polt eine Ikone des strengbayrischen Kabaretts, eine Laune der Menschennatur, ein Spötter, der singt und unverständliche Sprachen spricht, einer, der das Zwerchfell angreift, ohne mit der Wimper zu zucken, einer, der den größten Saal im Theaterhaus restlos füllt, am Montagabend.

 

Polt wird begleitet von den Brüdern, Christoph, Michael und Karl Well; zwei von ihnen spielten schon bei Biermösl Blosn. Karl Well hat in der neuen Formation den Well-Bruder Hans ersetzt; sie alle sind hervorragende Interpreten neuer, skurriler Volksmusik auf Harfe, Drehleier, Gitarre, Tuba. Die Well-Brüder reihen zarteste Preziosen und brachialen Bierzeltklang aneinander, jodeln, blasen in Alphörner und machen sich sehr böse Reime auf die jüngere bayrische Geschichte, in der Josef Strauss’ letzter Maßkrug als Reliquie verehrt wird. Sie spielen eine Feuerwehrmusik, angeblich von Händel auf der Reise durchs bayrische Dorf komponiert; die einzelnen Sätze tragen Widmungen, zum Beispiel: „Begrüßung der 70 Feuerwehrehrenjungfrauen.“

Stubenmusik für den Weltfrieden

Würden die Mächtigen ab und an ein bisschen Stubenmusik treiben, dann ginge es friedlicher zu auf der Welt – da sind sich diese Bayern sicher. Es wird in die Hände geklatscht im Theaterhaus und im islamverschreckten Volkston auf den „Schweinskram für Europa“ geschimpft. Die Brüder steppen, schuhplattlern, führen einen von Hopfen und Malz inspirierten Brautanz auf – perfekte Partner für Polt sind sie mehr denn je. Und der hat auch noch viel zu sagen. Manchmal fasst er sich dabei sehr kurz, manchmal nicht.

Mürrisch errechnet Gerhard Polt seinen Geldwert als Rentner, schrill verwandelt er sich in einen indisch-katholischen Pfarrer; er gibt Ansagen im Idiom und Temperament anderer Länder von sich und zwitschert als Frau vom Radio, die einen bayrischen Alkoholsportler interviewt. Ein echtes kleines Hörspiel ist sein Auftritt, in vielen Stimmen, die aus einer Kehle kommen. Selbstverständlich verschont Polt auch SUV-Fahrer nicht, Hochbegabte und ihre Musiklehrer, Markus Söder und sein Kreuz, den Diesel und seine Gegner. Schließlich enthüllt er auch die wahre Bedeutung der Abkürzung AfD, endlich.

Württemberger passt zu Aspirin

„Im Abgang nachtragend“ heißt das Programm, Polt und die Well-Brüder spielen es seit Monaten schon. Zuletzt im Stuttgarter Theaterhaus waren sie vor drei Jahren. Der Feinschmecker aus München erinnert sich noch gut daran, auch an den württembergischen Wein: anders als der französische, findet er, passe der eher zum Aspirin als zum Käse. „Avanti!“, sagt Polt und versenkt seine Hände in den Hosentaschen.