Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, einst Held, nun Antiheld der SPD, wird am 75 – und gibt noch keine Ruhe. Er hat auf vielerlei Art Anstoß erregt: durch seine umstrittenen Sozialreformen, fragwürdige Nebenjobs, unerbetene Kommentare, gelegentlich auch mit privaten Kapriolen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Politiker können dem Nachhall ihrer Worte nicht entfliehen. Ist ein Ausspruch erst in der Welt, lässt er sich nicht mehr einfangen, so unpassend er auch sein mag. Eine solche Floskel haftet dem Lebenswerk des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder an wie ein Webfehler im edlen Tuch eines Brioni-Anzugs. Der russische Autokrat Wladimir Putin verdankt seinem Männerfreund das Etikett, er sei ein „lupenreiner Demokrat“.

 

Das Werturteil an sich verrät schon viel über Schröders kumpanenhaftes Politikverständnis. Die Nonchalance, mit der er Kritik ausblendet, lässt erahnen, wie er die Unbarmherzigkeiten einer wechselvollen Karriere überstehen konnte. Von Putin ist inzwischen bekannt, dass er sich über die zweifelhafte Ehrbezeugung amüsierte. Schröder hält ein Dementi auch zehn Jahre später noch für unangebracht. „Ich finde, wenn man so etwas sagt, dann ist es eben gesagt“, bekundet er. „Ich denke gar nicht daran, mich für jede Sache zu entschuldigen. So bin ich nicht gestrickt.“

Unentschuldigt, bisweilen auch unentschuldbar bleibt vieles, womit Schröder bis heute von sich reden macht. So denken vor allem Genossen über den vorerst letzten SPD-Kanzler. Seiner Regentschaft von 1998 bis 2005 verdankten sie Wahlergebnisse, die seitdem wie eine Fata Morgana erscheinen. Der einstige Held ist der eigenen Partei zur Last geworden – was mit lästerlichen Kommentaren zu deren aktuellem Auftreten zusammenhängt. Jüngst mäkelte er über „Amateurfehler“ der SPD-Chefin Andrea Nahles, rügte „Schlampigkeit auch im Kleidungsstil“ und sprach ihr schlichtweg die Kompetenz ab, ihn dereinst zu beerben. „Ich glaube, das würde nicht einmal sie selbst von sich behaupten.“

Schröder, der als jüngster Bundeskanzler den Ruhestand antreten musste, hat auch seine Amtsnachfolgerin nie geschont – schon als sie es noch gar nicht war. Legendär sind seine Rüpeleien nach der Wahlniederlage 2005, als er die knapp überlegene, gleichwohl verdatterte Angela Merkel anblaffte, sie glaube doch wohl nicht im Ernst, mithilfe der SPD jemals Regierungschefin zu werden. „Wir müssen doch die Kirche im Dorf lassen“, grantelte der Machokanzler. Das waren die schmachvollsten Momente seines politischen Lebens. Vor einem Jahr, als Bundesinnenminister Horst Seehofer, damals noch CSU-Chef, Merkel das Leben schwer machte, spöttelte Schröder über deren Ohnmacht: „Aus einer Richtlinienkompetenz wurde Nichtlinienkompetenz.“

Sie wiederum hat dem Vorgänger schon in ihrer ersten Regierungserklärung bescheinigt, er habe sich mit seiner Reformagenda „um unser Land verdient gemacht“. Auf ein solches Resümee der Ära Schröders konnten sich die Sozialdemokraten nie verständigen. Deshalb hat er die eigene Partei jahrelang gemieden. Irritiert haben sie auch einige seiner Nebenjobs als Politpensionär, teils im Dienste Putins, mit denen er mehr Geld verdient als zu Kanzlerzeiten.

Seine nachhaltigste Leistung, die umstrittenen Sozialreformen, halten viele Genossen für eine Art Erbsünde, die sie nun schleunigst zu tilgen beabsichtigen. Nahles schafft das Kunststück, wortreich zum 75. Geburtstag zu gratulieren, ohne die Agenda 2010 nur zu erwähnen. Die trage Schröder mit sich herum, wie einen „Stein, der in seiner Seele hängt“, so ein Vertrauter. Er selbst sagt: „Die Agenda, das sind nicht die Zehn Gebote.“ Es ist jedoch der wichtigste Grund, ihn unter den deutschen Kanzlern als einen der mutigeren einzusortieren.

Schröder hat die Benimmregeln für emeritierte Staatsmänner stets ignoriert. Er ist bis heute mehr Abkanzler als Altkanzler. Er hat den Gossenjungen, der er war, den Aufsteiger mit nassforschen Manieren, nie hinter dem Amt versteckt. Lange schien es, als sei ein Politiker solchen Typs aus der Zeit gefallen. Aber stimmt das noch? Wenn er seine Sottisen twittern würde, wäre einer wie Schröder als deutsches Gegenmodell zu Donald Trump denkbar. Doch vom Twittern hält Schröder nichts: „Das ist mir zu hektisch.“