Der prominenteste Gast kam zum Schluss: Altkanzler Gerhard Schröder würdigte den 90-jährigen Erhard Eppler am Ende einer dreitägigen Veranstaltung in der Evangelischen Akademie Bad Boll – und setzt sich für eine bessere Beziehung zu Russland ein.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Bad Boll - Hätte sich der russische Präsident am Wochenende ins verschneite Bad Boll vorgewagt – er hätte Erstaunliches zu hören bekommen. Da bekannte die Hauptperson einer dreitägigen Tagung, der 90-jährige Sozialdemokrat Erhard Eppler: „Ich betrachte das Wort vom Putin-Versteher als ein Kompliment.“ Zwei Drittel seiner politischen Arbeit hätten daraus bestanden, „Filbinger zu verstehen“ – also den wegen seiner Nazi-Vergangenheit umstrittenen früheren Ministerpräsidenten Baden-Württembergs. Eine Pflicht und Schuldigkeit sei so etwas. Denn „wer nicht verstehen will, kann nur hassen“.

 

Gefreut hätte sich Wladimir Putin in jedem Fall über Altkanzler Gerhard Schröder, bekanntlich ein Putin-Versteher ersten Ranges. Vehement setzte sich dieser in der Evangelischen Akademie Bad Boll dafür ein, zwischen Deutschland und Russland auf allen Ebenen Brücken zu bauen. Eindringlich mahnte er, aufeinander zuzugehen. Gezielt plädierte er für einen „schrittweisen Abbau der gegenseitigen Sanktionen, damit das Vertrauen wieder wächst“. Und scharf kritisierte er die von den USA forcierte Absicht, die Ukraine und Georgien in die Nato aufzunehmen. „Hier sind die elementaren Sicherheitsinteressen Russlands bewusst missachtet worden – und die Europäer haben das geduldet.“

„Ein Lotse in schwierigen Zeiten“

Für die Amerikaner, sagte der Altkanzler, sei Russland eher eine geostrategisches Problem – Washington wolle kein starkes Moskau, weil man mit Peking genug zu tun hätte. Deutschland jedoch brauche Russland als starken Nachbarn mit all seinen Ressourcen und Märkten. Ein schwacher Partner sei schwieriger zu behandeln als eine selbstbewusste Nation, betonte Schröder. Im Kreise der 180 Tagungsteilnehmer, die vielfach der SPD oder der Kirche oder beiden Institutionen nahestehen, stieß er damit weitgehend auf Wohlgefallen.

Es war nicht Schröders erste Laudatio auf Eppler – doch sie hatte aktuelle Bezüge wie nie. Der Altkanzler nannte den Jubilar „einen Lotsen in schwierigen Zeiten“, der komplizierte Sachverhalte klar und kurz erkläre, ohne die Inhalte zu verfälschen. Als Gegengewicht zu den Populisten und Extremisten würden solche kämpferische Demokraten gebraucht, die die Menschen mit einer verständlichen Sprache erreichten. „Demokratisch verfasste Politik braucht Populismus nicht zu scheuen“, sagte Schröder. „Im Gegenteil: Wir sollten es wieder stärker als Stilmittel verwenden.“

Chancen für die SPD

Der Visionär Eppler hat es seit 25 Jahren kommen sehen: Ein funktionierender Staat verstehe sich im 21. Jahrhundert nicht mehr von selbst. Vor allem die „Entstaatlichung von Gewalt“ schaffe heute große Gefahren. Beide beschrieben die Aussichten für ihre Partei: Mit dem Bekenntnis zu einem „notwendigen“, starken Staat, der innere und soziale Sicherheit biete, könne die SPD denjenigen, die sich enttäuscht von Partei und Demokratie abgewandt hätten, Angebote machen. „Welch Chance für die Sozialdemokraten, wenn sie es richtig verstehen“, sagte Eppler.

Für das Lob des Altkanzlers revanchierte er sich noch mit dem Hinweis, Schröder werde wegen seines Neins zur Beteiligung am Irak-Krieg – der das heutige „Gewaltchaos“ erst ausgelöst hätte – und wegen der Agenda 2010 vielleicht als „der mutigste deutsche Kanzler in die Geschichte eingehen“. Die bisherigen drei Kanzler von der SPD – Brandt, Schmidt und Schröder – hätten alle das „Ganze der Gesellschaft und des Staates“ im Blick gehabt. Eppler: „Die Sozialdemokratie hat bewiesen, dass sie regieren kann.“

Eppler war fast 50 Jahre vor Kretschmann in Indien

Viel hochwertiger Geistesstoff wurde geboten in Bad Boll – von renommierten Rednern. Der Theologe Friedrich Schorlemmer, der Wissenschaftler Ernst Ulrich von Weizsäcker, der Soziologe Hartmut Rosa und SPD-Landeschefin Leni Breymaier deckten weitere Flanken Epplers ab: Friedens-, Umwelt- und Entwicklungspolitik sowie seine klare Verortung in der evangelischen Kirche. Zum Auftakt hatte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) an gemeinsame Zeiten im Stuttgarter Landtag erinnert. Und er gestand, dass Eppler als Entwicklungsminister schon vor fast 50 Jahren in Indien gewesen sei – wohin er, Kretschmann, erst Ende dieser Woche aufbrechen werde. „Sie haben schon damals den politischen Raum ausgemessen, in dem wir uns heute bewegen.“