Das Banner, mit dem die Industrie- und Handelskammer für das Bahnprojekt wirbt, ist rechtswidrig. Jetzt muss es abgehängt werden.

Stuttgart - Nur ein paar Hundert Meter sind es vom Geschäftsgebäude der Industrie- und Handelskammer in der Jägerstraße bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof. Eine Nähe, die sich nicht nur aufs Geografische beschränkt: eng fühlt sich die IHK auch dem Bahnprojekt Stuttgart 21 verbunden. "S 21, mehr Jobs, mehr Tempo, mehr Stadt, mehr Zukunft", hat sie sich deswegen sprichwörtlich auf die Fahnen geschrieben: Seit vergangenem Herbst wirbt die öffentlich-rechtliche Körperschaft mit einem Riesenbanner für den neuen Tiefbahnhof samt allem, was dazugehört.

 

Die Sandsteinfassade darunter dürfte allerdings bald wieder zum Vorschein kommen. Denn das Verwaltungsgericht Stuttgart hat gestern entschieden, dass das Banner rechtswidrig ist. Zwar dürfe die IHK sich generell zu politischen Themen wie Stuttgart 21 äußern - allerdings nicht in dieser plakativen Form. Die Aussage über das Projekt, das auch innerhalb der IHK kontrovers diskutiert wird, sei einseitig positiv. Das widerspreche dem Grundsatz der Objektivität, von der eine öffentlich-rechtliche Zwangskörperschaft ein "höchstmögliches Maß" gewährleisten müsse, urteilte das Gericht. Auch ein Foto mit dem Werbebanner darf nicht mehr - wie bereits geschehen - im Magazin der IHK veröffentlicht werden.

Nicht mit der IHK-Vollversammlung abgestimmt

"Ich hatte dieses Urteil erwartet", sagt Clemens Morlok, er klingt zurückgelehnt. Der 52 Jahre alter Betreiber eines Callcenters in Ditzingen, Pflichtmitglied bei der IHK und S-21-Gegner der ersten Stunde, hatte die Klage Mitte November eingereicht - und sich schon nach der mündlichen Verhandlung am Donnerstag zuversichtlich gezeigt, als Gewinner aus dem Rechtsstreit hervorzugehen. Nicht zuletzt, weil der Vorsitzende Richter der 4. Kammer, Richard Rudisile, im Rahmen der anderthalbstündigen Sitzung Bedenken zur Legitimation der Plakataktion geäußert hatte: Sie sei nicht mit der IHK-Vollversammlung abgestimmt gewesen.

Rund 110 gewählte Vertreter der Versammlung tagen regelmäßig, um im Namen der 155.000 Mitglieder einen Minimalkonsens herzustellen. "Sie legen die politische Richtung fest. Aber sie entscheiden nicht über einzelne Projekte. Die operative Umsetzung ist Aufgabe des Hauptamtes und des Präsidenten", erklärt Andreas Richter, der Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart. An einer Legitimation für das Plakat mangelt es aus seiner Sicht nicht. Schließlich dominierten bei den Vollversammlungen stets die Befürworter des Bahnprojekts Stuttgart 21.

Richter geht es um mehr als ein Banner

Die IHK steht unverändert zu S 21 und der Neubaustrecke nach Ulm. Man prüft, in die nächste Instanz zu gehen. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung nicht zugelassen; den Beteiligten steht sie also nur zu, wenn sie vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zugelassen wird. Spätestens einen Monat nach Eingang des schriftlichen Urteils muss die Zulassung dort beantragt werden. So oder so bleibt das Plakat vorerst hängen - bis es ein rechtskräftiges Urteil gibt.

Dabei geht es dem Hauptgeschäftsführer Richter um viel mehr als ein Banner. Er sieht die Rechte der IHK in Gefahr, wenn er juristisch dafür belangt wird, die "Interessen der gewerblichen Wirtschaft zu vertreten". Ein Infrastrukturprojekt von bislang nicht da gewesener Größe zu bewerben gehört für ihn dazu.

"In einer politisch zugespitzten Situation ist so ein Vorstoß indiskutabel", hält der Kläger Clemens Morlok dagegen. Das Gerichtsurteil ist Wind auf seine Mühlen - eine drohende Berufung würde er aussitzen, die (finanzielle) Unterstützung von 900 organisierten Unternehmern gegen Stuttgart 21 hinter sich wissend. "Das Urteil betrifft auch alle anderen IHK-Standorte im Land sowie die Handwerkskammern", teilen die Unternehmer in einer gemeinsamen Pressemitteilung zum gestrigen Urteil mit: "Wir werden weiter für ein korrektes Verhalten der Kammern eintreten."