Der Europäische Gerichtshof könnte die Flüchtlingspolitik des Kontinents radikal verändern. Die Frage, ob Syrer bereits in ihrem Heimatland ein Visum beantragen können, soll geklärt werden.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Luxemburg - Flüchtlingshelfer weisen schon lange darauf hin: Wenn man wirklich verhindern wollte, dass Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben tausendfach im Mittelmeer ertrinken, dann muss man ihnen schon im Herkunftsland ein Visum erteilen und ihnen so eine geregelte Einreise ermöglichen. Und es sind nicht nur die Flüchtlingshelfer, die am Dienstag gebannt nach Luxemburg sehen. Der Europäische Gerichtshof wird da nämlich genau darüber urteilen, ob die Flüchtlinge einen Anspruch darauf haben.

 

Aus dem Recht soll eine Pflicht werden

Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Flüchtlingen ein humanitäres Visum auszustellen, wenn die Gefahr besteht, dass diese Folter oder einer anderen unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sind. Das ist die Ansicht von Paolo Mengozzi. Der Italiener ist Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof, was einer Art Gutachter entspricht. Seiner Entscheidungsempfehlung muss das Gericht zwar nicht folgen, sehr oft geschieht das aber. Und Mengozzi hatte sich Anfang Februar klar festgelegt.

Geklagt hat eine christliche Familie aus Aleppo. Das Ehepaar hatte in der belgischen Botschaft in Beirut Visa für sich und ihre drei kleinen Kinder beantragt, um einen Asylantrag in Belgien stellen zu können. Sie argumentierten, dass ein Familienmitglied schon einmal von einer Miliz entführt und misshandelt worden sei, und verwiesen auf die Sicherheitslage in Aleppo, vor allem für Christen. Die Botschaft lehnte mit der Begründung ab, dass Belgien nicht verpflichtet sei, alle Menschen aufzunehmen, die eine katastrophale Situation erlebten. Gegen diese Entscheidung klagte die Familie vor einem belgischen Gericht. Das Gericht hat die Frage dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt.

Deutschland hat eine andere Meinung

Die Familie könne nur illegal ohne Schutz im Libanon bleiben oder unter Lebensgefahr mithilfe von Schleusern nach Europa gelangen, was „unzumutbar“ sei, argumentiert Mengozzi. Aus dem EU-Visumkodex und dem Folterverbot der europäischen Grundrechtecharta ergebe sich, dass Verfolgten die Einreise gewährt werden müsse, wenn ihnen sonst eine unmenschliche Behandlung drohe.

Wie zahlreiche andere EU-Staaten hatte Deutschland in dem Verfahren eine gegenteilige Ansicht vertreten. Die Argumentation des Generalanwalts bedeutet, den Geltungsbereich der EU-Grundrechte über die Grenzen der EU hinaus auszudehnen. Das könne nicht juristisch, sondern nur politisch geregelt werden.