Geht es in den Ställen von Kleinbauern tatsächlich besser zu als in den Großanlagen der Konzerne? Ein Beispiel aus Gerlingen zeigt: regional bedeutet nicht automatisch gut.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Gerlingen/Stuttgart - Die Peta-Ermittlerin Kathrin Bosler* und ihre beiden ehrenamtlichen Helfer ziehen wieder mal ins Feld. Die Nacht- und Nebelaktion ist durchgeplant wie ein Bankraub in einem Hollywood-Film, die technische Ausrüstung griffbereit im Rucksack verstaut. „Lasst uns noch schnell die Funkgeräte checken“, sagt Kathrin Bosler. „Eins, zwei, eins, zwei: Anke*, kannst du mich hören?“ – „Ja.“ – „Eins, zwei, eins, zwei: Gerd*?“ – „Alles klar, ich höre dich.“ Los geht’s.

 

Das Einsatzfahrzeug ist ein dunkelblauer Renault mit Böblinger Kennzeichen, das Zielobjekt ein Hühnerhof am Gerlinger Ortsrand. Die letzten zweihundert Meter geht es zu Fuß über einen Feldweg. Es wird nicht gesprochen, jeder weiß, was zu tun ist. Anke steht südlich des Stalls Schmiere, Gerd passt am gegenüberliegenden Ende des Gebäudes auf. Kathrin Bosler schlüpft in einen Schutzanzug, wie ihn Kriminalisten bei der Spurensicherung nach einem Mord tragen, Mund und Nase verschwinden hinter Atemmasken.

Alles, was nun geschieht, ist streng genommen verboten. Doch wie sollte man Missstände in einem Hühnerstall dokumentieren, ohne den Stall heimlich zu betreten? Das Veterinäramt schaut in Betrieben mit mehr als 1000 Legehennen nur ein Mal jährlich zur routinemäßigen Salmonellen-Probeentnahme vorbei – und meldet die Kontrolle vorher bei dem Landwirt an.

Ein bestialischer Gestank

Die Stalltür ist unverschlossen. Drinnen sieht man die Hand vor den Augen nicht, es stinkt nach Ammoniak. Die Verbindung aus Stickstoff und Wasserstoff, die entsteht, wenn tierische Ausscheidungen zu Gülle werden, raubt einem fast die Luft zum Atmen. Leise gurren die Hühner vor sich hin, als wollten sie sagen: Wer stört unsere Nachtruhe? Jetzt bloß keine hektische Bewegung machen, damit die Tiere nicht aufschrecken und herumflattern.

Kathrin Bosler schaltet die Kamera ein, der Scheinwerfer wirft ein grelles Licht auf ekelerregende Zustände: Die Gitter, auf denen die Legehennen stehen, sind voller Kot. Das schaut widerwärtig aus, ist aber gang und gäbe in der sogenannten Bodenhaltung von Geflügel, die aktuell innerhalb der EU die zweitniedrigsten Anforderungen an den Tierschutz stellt. Etwas besser haben es die Hühner in der Freiland-, den höchsten Standard erfüllt die Biohaltung.

Eier aus sogenannten Legebatterien sind seit drei Jahren europaweit verboten. Das bedeutet jedoch nicht, dass alles, was die Brüsseler Bürokratie noch erlaubt, annähernd artgerecht wäre. Hühnereier mit einer aufgedruckten „3“, die für Käfighaltung steht, sind mangels Nachfrage zwar aus den Regalen der Supermärkte so gut wie verschwunden. Verzehrt werden sie allerdings trotzdem noch: verarbeitet in Kuchen, Keksen, Nudeln und ähnlichen Produkten – sie sind also überall dort versteckt, wo kaum einer drauf achtet.

Neun Tiere auf einem Quadratmeter

Vieles ist in der Nutztierhaltung vorschriftsmäßig, was der Verbraucher, sofern er einmal genauer hinschauen könnte, als abstoßend empfinden würde. So ist es normal, dass Hühner, die unter optimalen Bedingungen sieben bis neun Jahre alt werden, in der Massenhaltung häufig im Alter von wenigen Monaten eingehen.

In dem Gerlinger Hühnerstall ist die Grenze zum Rechtsbruch indes überschritten. Überall liegen tote, verweste Legehennen herum, etwa 60 Kadaver, plattgetreten und angefressen von den Artgenossen. Kannibalismus ist eine verbreitete Verhaltensstörung in der Massenhühnerhaltung, in der sich laut der EU-Norm neun Tiere einen Quadratmeter Grundfläche teilen. Nach Angaben des Ludwigsburger Veterinäramts ist der Gerlinger Stall mit 4000 Legehennen der Rassen Lohmann weiß und Lohmann braun maximal belegt. Eine Folge der Enge: Manchen Hühnern fehlt das Schwanzgefieder, weggepickt von den Mitbewohnerinnen. Man sieht das blanke Fleisch. Unter diesen Bedingungen werden also Eier produziert.

Ein Besuch beim Landwirt Dieter M.

Herr des Hühnerhofs ist der staatlich geprüfte Landwirt Dieter M., 48. Auf seiner Website erklärt er, dass seine Familie seit vier Generationen passioniert dem Bauerntum fröne. Ursprünglich gab es auch Milchvieh, Schweine und Weinbau, heute produziert Dieter M. nur noch Kartoffeln, Karotten, Soja, Getreide, Mais, Zuckerrüben – und eben Eier. 1997 wurde die Hühnerhaltung an den Gerlinger Ortsrand ausgesiedelt. Laut Eigenwerbung legt Dieter M. „Wert auf das Wohlbefinden der Hühner“, dafür sorge eine „kontrollierte Haltung und regelmäßige Gesundheitsprüfung“. Auf einem Foto sind Hennen zu erkennen, die auf einer Wiese scharren, darunter steht: „Uns geht’s gut.“ Als Großabnehmer werden 15 Betriebe genannt, vom Malmsheimer Dorfladen über ein Stuttgarter Feinkostgeschäft bis zum Korntaler Edeka-Markt. Einen guten Teil seiner Ware bringt der Landwirt aber direkt unter die Leute.

Das Schild an der Straße ist kaum zu übersehen: „Frische Eier. 100% eigene Herstellung.“ Im Hofladen von Dieter M. herrscht ein reges Kommen und Gehen. Die Hauptklientel sind mittelalte Frauen, die ihre Einkäufe in Weidenkörben tragen und für ein Hühnerei gerne mehr ausgeben, als es gleich nebenan bei Lidl kostet. Dafür, glauben sie, können sie sicher sein, dass es von einem lokalen Erzeuger stammt, der seine Tiere anständig behandelt. Offensichtlich vertraut die Kundschaft Dieter M., dem alteingesessenen Gerlinger, der sich bei den Freien Wählern und im Posaunenchor des CVJM engagiert. Und sie verlässt sich auf die Expertenmeinung des Nabu-Kreisverbands Ludwigsburg, der den Hofladen unter der Rubrik „Gutes aus unserer Region“ auflistet. Die Naturschützer und Konsumenten ahnen ja nicht, wie es hinter den Kulissen des kleinbäuerlichen Betriebs aussieht.

Selbstverständlich will man erfahren, was der Landwirt zu den toten und verletzten Hennen in seinem Stall sagt. Dieter M. ist nicht da, aber seine Frau. Sie erzählt, dass sie gerade sehr mit der Erweiterung des Hofladens beschäftigt sei. Dafür würden die Scheune und der einstige Kuhstall umgebaut, wo künftig auch Kaffee, Kuchen und kleine Snacks angeboten werden sollen. „Es ist gut, dass Sie mit uns wegen der Hühner sprechen wollen und nicht einfach irgendwas in der Zeitung schreiben“, sagt Frau M. „Ich ruf mal meinen Mann an.“ Zwei Minuten später kommt Dieter M. mit seinem Transporter angerauscht, steigt schwungvoll aus und schießt auf den ungebetenen Besucher zu. „Wie heißen Sie? . . . Was hatten Sie in meinem Hühnerstall zu suchen? . . . Ich werde Sie anzeigen!“ Der Reporter legt seine Visitenkarte auf den Tisch und fährt ins drei Kilometer entfernte Weilimdorfer Gewerbegebiet.

Die Arbeit der Tierrechtsorganisation Peta

Im Konferenzraum von Peta, Deutschlands größter Tierrechtsorganisation, giert Edmund Haferbeck bereits darauf, seine Sicht der Dinge darzustellen. „Für Landwirte wie Dieter M. sind Hühner eine Wegwerfware“, sagt er. Haferbeck, 58, wollte einst selbst Bauer werden, bis er auf einem Hof damit konfrontiert wurde, „wie Ferkeln ohne Betäubung die Schwänze und die Hoden abgeschnitten wurden“. Der Agrarwissenschaftler wechselte die Seiten, ernährte sich fortan vegan und stieg mit den Jahren zum Leiter der Peta-Rechtsabteilung auf. Haferbeck hat unzählige Prozesse gegen die Großen der Branche angezettelt. So wurden Mitarbeiter des Geflügelmassenproduzenten Wiesenhof zu Geldstrafen verurteilt, weil sie Puten getreten und umhergeworfen hatten. Das Beweismaterial hatten Undercover-Ermittler von Peta geliefert, die ARD machte den Skandal in einer Fernsehreportage öffentlich.

Peta steht für „People for the Ethical Treatment of Animals“ – Menschen für den ethischen Umgang mit Tieren. In den USA, dem Stammland der Organisation, werden regelmäßig Ermittler in Betriebe eingeschleust. Ein Peta-Mann arbeitete fast ein Jahr lang unerkannt in einem Labor der Firma Convance, dem weltgrößten Unternehmen für Tierversuche, und dokumentierte die erbärmlichen Lebensbedingungen der Affen, die in dieser Einrichtung gefangen sind. Auch die Fastfood-Kette Kentucky Fried Chicken oder die Luxusmarke Hermès, die für die Produktion von Handtaschen Alligatoren schlachten lässt, wurden unterwandert und als üble Tierquäler öffentlich angeprangert.

Die Bilder von geschundenen Kreaturen, die Peta multimedial verbreitet, überschreiten häufig die Grenze des Erträglichen – und erzielen gerade deshalb die gewünschte Wirkung: Wer die heimlich aufgenommenen Videos ansieht, dem vergeht garantiert der Appetit auf tierische Erzeugnisse.

Ein Beispiel für viele Kleinbauern?

Doch warum beschäftigen sich global operierende Tierrechtler ausgerechnet mit dem schwäbischen Bauern Dieter M.? „Der einzelne Landwirt interessiert uns weniger“, antwortet Haferbeck. „Bei allem, was wir tun, geht es uns darum, auf das abartige System der Tierproduktion aufmerksam zu machen.“ Es sei eben nicht so, dass – wie häufig behauptet – der regionale Erzeuger und Direktvermarkter ethisch besser handle als ein Lebensmittelkonzern. Dieter M. stehe exemplarisch für alle Kleinbauern, die mit Huhn, Schwein, Schaf oder Rind nicht so umgehen, wie es das Gesetz verlangt. „Das trifft auf die meisten zu“, meint Haferbeck. „Der ruinöse Wettbewerb führt zwangsläufig zu Tierquälereien.“

Die Ermittlungen der Peta-Mitarbeiterin Kathrin Bosler gegen Dieter M. begannen im Hochsommer nach einem anonymen Hinweis. Über ein „Whistleblower-Formular“ auf der Website hatte der Informant gemeldet, dass es auf dem Gerlinger Hühnerhof extrem stinke. Kathrin Bosler erkundete den Ort zunächst tagsüber, schlich um den Hof und machte sich auf die Suche nach Zugängen, die nicht gewaltsam geöffnet werden müssten.

In der Nacht zum 25. August drang sie erstmals nachts mit der Kamera in den Stall ein. Bereits diese gut zwei Monate alten Videoaufnahmen zeigen zahlreiche tote und verletzte Hühner, die gleichen Zustände fand Kathrin Bosler am 8. September und am 2. November vor. Warum der Landwirt Dieter M. die Kadaver nicht beseitigt, ist ein Rätsel: Täglich muss er in den Stall, um die Eier einzusammeln sowie die Futtertröge nachzufüllen – und gemäß der Rechtsnorm müsste er tote Tiere ebenfalls täglich aus dem Stall entfernen und in einem Kühlcontainer sammeln, bis sie von einem speziellen Entsorger abgeholt werden. „Die Hühner müssen wohl krank gewesen sein, sonst wären sie nicht gestorben“, sagt Kathrin Bosler. Denn viele Jahre, bevor eine Legehenne an Altersschwäche stirbt, wird aus ihr ein Suppenhuhn.

Erschütternde Szenen

Die gelernte Erzieherin Kathrin Bosler benötigt eine seltene Mischung von Eigenschaften, um ihren Job als Peta-Frontkämpferin ausüben zu können: Mitgefühl für alle Lebewesen unter Gottes Himmel, Furchtlosigkeit gegenüber den teilweise rabiaten Tierhaltern sowie biologisches und technisches Fachwissen.

Vergangenes Jahr filmte sie durch ein Fenster in einem nordbadischen Schlachthof erschütternde Szenen. Das Videomaterial zeigt, wie Arbeiter quiekende Schweine prügeln und sie offensichtlich nicht immer fachgerecht betäuben. Viele am Schlachtband aufgehängte Tiere rudern mit den Beinen, versuchen sich aufzurichten und erleben ihre Tötung augenscheinlich bei Bewusstsein. „Wenn man so etwas miterlebt, ist das kaum zu ertragen“, sagt Kathrin Bosler. „Ich muss mir in solchen Situationen immer wieder selbst bewusst machen, dass es die Tiere sind, die leiden, und nicht ich. Ich muss dieses Leid nur aufdecken und dokumentieren.“ Und wofür der Aufwand? Der Leiter des Schlachthofs musste 500 Euro Bußgeld bezahlen.

Mehr wird Dieter M. wohl auch nicht für die Missstände in seinem Stall bezahlen müssen. Peta hat in dieser Woche bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart Strafanzeige gegen den Gerlinger Bauern gestellt wegen „fortgesetzter Tierquälerei durch Vernachlässigung und fehlende Pflege beim Halten von Hühnern, die sich zum Zwecke der Eierproduktion in den Ställen befinden“. Vom Veterinäramt, dem die Ergebnisse der Recherchen bereits mitgeteilt wurden, heißt es: „Den beschriebenen Zuständen werden wir selbstverständlich nachgehen.“

Auf eine Aufforderung der Stuttgarter Zeitung, schriftlich zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen, hat Dieter M. nicht reagiert. Derweil hat der Landwirt bei der örtlichen Polizei die Tierrechtlerin Kathrin Bosler wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Die Frage nach der Henne und dem Ei muss nun also die Justiz klären.