Germany’s next Topmodel Schuldig!

Man muss sie leider ein bisschen bewundern: Heidi Klum (Mitte, mit Schauspielerin Milla Jovovich und Designer Julien MacDonald). Foto: ProSieben/Richard Hübner

Unsere Autorin ist eine jener mittelaltern Akademikerinnen, die sich freiwillig Heidi Klums Model-Show anschauen. Aber warum? Die Antwort ist ihr selbst unheimlich.

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

Stuttgart - Menschen, die das Dschungelcamp schauen, haben es gut. Die RTL-Sendung, die offiziell „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ heißt, hat es geschafft, das Unterhaltungsformat für ansonsten nur Kulturteil-lesende und Arte-guckende Intellektuelle zu werden. Was haben Feuilleton-Journalisten nicht alles hineingeschwurbelt in dieses Stelldichein der abgehalfterten Prominenten. Klassische Heldenreisen, griechische Tragödien und ein kathartisches Narrenspiel wurden aus Stierhoden-Snacks, Kuh-Pipi-Drinks und intimen Lagerfeuergeständnissen exzerpiert. Ibes, so die Kurzform, ist das Laster, das „Guilty Pleasure“, mit dem man auf Twitter seine Ironiefähigkeit unter Beweis stellen kann, bevor man sich wieder dem Manufactum-Katalog zuwendet.

 

Wie viel schwerer hat es da die „Germany’s Next Topmodel“-Guckerin! Spätestens seit der Metoo-Debatte darf man die Castingshow, die angeblich das nächste deutsche Topmodel sucht, eigentlich gar nicht mehr anschauen. „Die Sendung ist von Feministinnen, Kolumnistinnen, Pädagogen und Psychologen so anhaltend und vollumfänglich vernichtet worden, dass man sich schon beim Einschalten schuldig fühlt“, schrieb Tanja Rest in der „Süddeutschen Zeitung“. Und wenn man es doch tue, dann koste es nahezu „körperliche Mühe, all den Empörungsballast kurz beiseite zu wuchten“.

Der Empörungsballast zusammengefasst: „GNTM“, wie die Sendung genannt wird, ist sexistisch und turbokapitalistisch (die Frau wird zur Ware). Die Show transportiert alte Geschlechterklischees und feiert die formbare, unterwürfige Frau. Außerdem fördert sie ein unrealistisches Schönheitsideal, was junge Zuschauerinnen in die Essstörung treibt.

Die zweitgrößte Zuschauergruppe sind 30- bis 59-Jährige

Das mag alles richtig sein. Und trotzdem sahen durchschnittlich rund zwei Millionen Menschen, mehrheitlich Frauen, auch 2019 wieder zu, wie das 46-jährige Altmodel Heidi Klum aus teils minderjährigen „Meeeedchen“ bestenfalls Werbegesichter, mindestens aber potenzielle Ibes-Kandidatinnen oder sogenannte Influencerinnen modellierte. Um die 20 Prozent Marktanteil hat die Sendung regelmäßig bei den 14- bis 49-Jährigen, wobei Teenager gar nicht die Mehrheit ausmachen. Die größte Gruppe der Zuschauer bilden 20- bis 29-Jährige. Dicht gefolgt von Frauen in ihren 30ern, 40ern und 50ern. Das hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ermittelt.

Eine dieser mittelalten Zuschauerinnen ist die Autorin dieses Artikels. Und mit ihr gar nicht so wenige Frauen, die sie kennt. Frauen um die 40, Akademikerinnen, die sich als emanzipiert und mitunter auch als feministisch bezeichnen, die natürlich Simone de Beauvoir gelesen haben und sich über die neue Diversity-Strategie ihres Unternehmens freuen. Und die sich empören, wenn ein Hersteller von Küchengeräten mit einer fast nackten Frau für Bratpfannen wirbt.

Da kann, ja sollte man sich – mit scharfem Unterton – die Frage stellen: Warum, bitte schön, gucke ich mir das an? Allein mit Feindbeobachtung ist das ja nun nicht mehr zu rechtfertigen, schon gar nicht im 15. Ausstrahlungsjahr der Sendung. Und auch das professionelle Interesse der Sozialwissenschaftlerin M.A. nimmt man sich irgendwann selbst nicht mehr ab. Die Antwort ist kompliziert – oder, wie es die Kulturjournalistin Anja Rützel in dem ebenso witzigen wie klugen Reclam-Band „Trash-TV. 100 Seiten“ schreibt: „Es gibt einen Satz, den Trash-TV-Freunde immer und immer wieder hören: Warum schaust du dir diesen Müll an? Die Vielschichtigkeit der Antwort könnte den Fragesteller überraschen.“

So wie Kate Moss wollten Kleinstadtmädchen auch sein

Wie immer, wenn es um verstörendes Verhalten und dessen Ursachen geht, muss man wohl in der Kindheit und Jugend beginnen, in den achtziger und neunziger Jahren, mit der stillen Bewunderung der sogenannten Supermodels: der noblen Linda Evangelista, der elfenhaften Christy Turlington, der kratzbürstigen Naomi Campbell, der reinen Claudia Schiffer. Und der coolen Kate Moss. So wie Kate wollten damals Kleinstadtmädchen mit Landfluchtgedanken sein. Kates Welt lag Lichtjahre entfernt.

Ganz anders war das bei Heidi Klum, die irgendwann um das Jahr 2000 omnipräsent wurde. Vielleicht ist dieser Zeitpunkt auch nur ein gefühlter. Denn die Jahrtausendwende markiert eben den Abschied von einer Zeit, in der Prominenz noch unerreichbar schien. Im dritten Millennium sollte sich endlich Andi Warhols berühmte Prophezeiung von den 15 Minuten Ruhm für jedermann erfüllen.

Klum gewann Gottschalks putzigen Schönheitswettbewerb

Heidi Klum war, wenn man so will, so etwas wie eine Vorbotin dieser Zeit. Ihr Aufstieg zur millionenschweren Aufmerksamkeits-Unternehmerin begann 1992, als sie in Gottschalks Late-Night-Show einen aus heutiger Sicht geradezu putzigen Schönheitswettbewerb gewann. Fortan arbeitete sie sich mit Hartnäckigkeit und Chuzpe durch die Niederungen (Katalog-Shootings, verratzte Model-WGs) des Modegeschäfts bis auf den Laufsteg des Unterwäscheherstellers Victoria’s Secret.

Heute gehört Heidi Klum zu den bekanntesten Frauen der Welt. Und zu den beliebtesten bei einer jungen Zielgruppe: Auf die Frage, welche prominente Frau sie gern zur Mutter hätten, antworteten 2016 die meisten Sechs- bis Zwölfjährigen in einer repräsentativen Studie: Heidi Klum (Wunschvater war übrigens Jogi Löw). Da darf man sich schon ein bisschen gruseln.

Mit „Germany’s Next Topmodel“ goss Heidi Klum ab 2006 ihr Lebensprinzip in ein Sendeformat. Das Versprechen war ein sehr amerikanisches: Jede konnte es schaffen und ein Klum’sches Leben führen, wenn sie gut aussah und eine gewisse Gnadenlosigkeit an den Tag legte, anderen, vor allem aber sich selbst gegenüber. Eine Eigenschaft, die Klum übrigens im Lauf der Jahre als eine Schattenseite ihrer penetranten rheinischen Frohnatur perfektioniert hat.

Das Versprechen, Schöheit sei lernbar

„GNTM“ war – neben dem inszenierten Blick hinter die Kulissen des Modezirkus mit Castings, Stylings und Partys, also dem Blick in die Welt der bewunderten Naomis, Lindas und Kates – auch das Versprechen, Schönheit sei in gewisser Weise lernbar. Und das ist doch eine sehr beruhigende Vorstellung. Um noch einen Schritt weiter zu gehen: Gut auszusehen und womöglich damit noch Geld zu verdienen, das ist offenbar ein Kleinmädchen-Traum, von dem man sich auch als in die Jahre gekommene Durchschnittsfrau offenbar nur schwer lossagen kann. Und den mittlerweile ein ganzes Heer von so genannten Beauty-, Mode- und Fitness-Influencerinnen auf den Sozialen Medien weiter befeuert.

Das wichtige Motiv der Verwandlung betont Trash-TV-Rezensentin Anja Rützel in ihrem Buch. Sie sieht „Germany’s Next Topmodel“ als „eine zeitgenössische Bearbeitung von George Bernard Shaws ,Pygmalion‘, in der Musicalfassung als ,My Fair Lady‘ bekannt: ein einfaches zerzaustes Strubbelmädchen wird zur feinen Dame umgemodelt. Angeleitet von einem strengen Lehrmeister muss sie manch schwere Aufgabe und Übung bewältigen.“

Die „GNTM“-Kandidatinnen leben stellvertretend diesen Vom-Entlein-zum-Schwan-Traum. Beides – ihr Erfolg und ihr Scheitern – hat etwas unheimlich Entlastendes für die Zuschauerin. Sie folgt damit allerdings einem toxischen Skript, das unter anderem die Autorin Leora Tanenbaum in „Catfight – women and competition“ beschreibt: Frauen würden auch heute noch so sozialisiert, dass sie sich in ständiger Opposition zueinander befänden, in ständigem Wettkampf, in dem es auch darum geht, gut auszusehen, vor allem besser als andere. „GNTM“ hat dieses Skript ganz sicher nicht erfunden, aber es schreibt es weiter und bedient es gekonnt.

Die Sendung hat sich weiter entwickelt

Dabei hat sich die Sendung im Laufe der Jahre durchaus verändert, dem Zeitgeist angepasst. Längst laufen zum Beispiel kaum noch erschreckend dünne Mädchen über den Bildschirm. Im Gegenteil: Für die Pariser Laufstege wären Klums Schülerinnen fast ausnahmslos zu füllig. Auch der Ton ist milder und das transportierte Schönheitsideal divers geworden. Mehrmals gewannen Mädchen mit dunkler Haut und Migrationshintergrund den Titel. Im Cast treffen Akademikertöchter auf Flüchtlingsmädchen. Spätaussiedlerkinder auf Transsexuelle. Und alle haben die gleichen Chancen auf Erfolg. Das ist nicht überall so in Deutschland im Jahr 2020.

Apropos divers. Man kann in dieser Sendung logischerweise Heidi Klum nicht ausblenden. „Heidi Klum ist der Teufel!“, sagte neulich eine Kollegin. Und das trifft es auch deshalb so gut, weil Teufel auch etwas sehr Anziehendes und Faszinierendes haben. Natürlich ist es ziemlich einfach, Frau Klum in ihrer selbstgefälligen und geistig recht schlichten Art bestenfalls nervig, schlimmstenfalls gefährlich zu finden. Andererseits hat diese Frau die kapitalistisch-chauvinistischen Strukturen der Mode- und Showwelt geschickt zu ihrem Vorteil gedreht und für sich persönlich äußerst clever ein gigantisches Geschäftsmodell entwickelt.

Dieses Umkehrprinzip nutzt sie auch für die Inszenierung ihres Privatlebens. Zum Beispiel, wenn sie in einem absurd kitschigen und nach den gängigen Konventionen ihrem Alter völlig unangemessenen Kleid einen sehr viel jüngeren Mann heiratet, dessen Karriere fortan durch die Liaison mit seiner älteren, mächtigen Frau profitiert – und die Rollen damit umgekehrt sind. Oder wenn die Klum so offen und prollig über ihre Sexualität plaudert wie Männer in besten Prä-Metoo-Zeiten. Oder wenn sie auf Instagram, wo ihr sieben Millionen Menschen folgen, ein altes Video von sich postet und darin beglückt und überfordert und ungeschminkt wie jede gewöhnliche Neu-Mutter ihr Kind stillt.

Blüte einer Gesellschaft, die sich permanent selbst optimiert

Es ist vielleicht das Perfideste überhaupt an der Person Heidi Klum, dass man sie trotz aller Bärendienste, die sie Frauen erweist, auch ein bisschen bewundern und gernhaben muss. So (und natürlich mit sicherlich recht üppigen Gagen) ist vielleicht auch erklärbar, dass in „GNTM“ viele mitwirken, die man eigentlich für klüger gehalten hätte: Naomi Campbell, Milla Jovovich und Toni Garrn zum Beispiel als Gast-Jurorinnen oder der Fotograf Rankin, aber auch Thomas Gottschalk und der Mode-Intellektuelle Wolfgang Joop.

Möchtegern-Philosoph Joop, der zwei Staffeln lang eine Art Coach für die Mädchen war, hat überhaupt einen eigentlich banalen, aber auch klugen Satz über „GNTM“ und seine Hauptperson gesagt, nämlich: „Heidi Klum ist ein Phänomen unserer Zeit.“ „GNTM“ könnte zugleich Ursache und schönste Blüte einer Gesellschaft sein, die sich rücksichtslos permanent selbst darstellt und optimiert, bis es nichts mehr zu optimieren gibt, weil nichts mehr übrig ist als, nun ja, Ödnis.

Warum also schaut man „Germany’s Next Topmodel“? Weil die Sendung – übrigens genauso wie das Dschungelcamp – offenbar Bedürfnisse befriedigt: nach Schönheit und Sich-Vergleichen. Nach Bewunderung und Schadenfreude. Nach Mitleid, Überheblichkeit und Abgrenzung. Vielleicht ist „GNTM“ auch tatsächlich einfach nur Unterhaltung. Ein peinliches Laster, ein Vergnügen, mit dem man sich schuldig macht. Ein „Guilty Pleasure“, in das die Autorin jetzt auch ziemlich viel hineingeschwurbelt hat.

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