Seine Beratung beim Schulranzen-Kauf war legendär und zog Kundschaft aus der ganzen Umgebung an. Ende Juni schließt der Einzelhändler Christoph Köhler den Spielwaren- und Geschenkladen „Die Vitrine“ in Ostfildern-Kemnat.

Seit 1987 führt Christoph Köhler seinen Geschenk- und Spielwarenladen mit viel Leidenschaft. Nun gibt der 69-Jährige das Geschäft bis Ende Juni auf. Seit Jahrzehnten zieht seine Beratung beim Schulranzenkauf Kundschaft aus der Umgebung an. „Mit den Kindern muss man sich Zeit nehmen“, sagt der Einzelhändler. Für Eltern gibt es auf der Homepage des Ladens eine Online-Buchung. Nicht nur der Vormarsch des Online-Handels mache das Geschäft gerade für den Einzelhandel immer schwieriger, sagt der studierte Lehrer. Außerdem sei durch die fast einjährige Großbaustelle in Kemnat der Umsatz zurückgegangen.

 

Gerade für die vielen Kundinnen und Kunden, die aus den anderen Ostfilderner Stadtteilen, aus Stuttgart und von den Fildern kommen, sei die Anfahrt im vergangenen Jahr oft zu schwierig gewesen. Das hat er gerade von den Älteren oft gehört. Weil es sich einfach nicht mehr rechne, gibt er sein Geschäft nun auf. „Schweren Herzens“, wie der 69-Jährige sagt. „Dass immer mehr lange etablierte Geschäfte schließen und sich keine Nachfolge findet, ist ein betrüblicher Trend.“ Nach dem Spielhansl und dem Süßwarengeschäft Haaga hört nun auch er auf. Nachfolger seien schwer zu finden.

Schulranzenberatung war eine Herzensangelegenheit

Die Kundschaft ist Christoph Köhler ans Herz gewachsen. Vor allem mit den Kindern arbeite er gerne. Eine Stunde nimmt sich der Experte Zeit, um die Schulranzen anzupassen. Das kommt bei Eltern und Kindern sehr gut an. „Zunächst probiert er mit den Kindern einen Schulranzen in Farben an, die ihnen gar nicht gefallen“, sagt Melanie Braun, die mit ihrer Tochter Mila aus Sillenbuch gekommen ist. Das funktioniert, „denn bei schicken Ranzen mit rosa Glitzer wären viele Mädchen sofort begeistert, auch wenn der Ranzen gar nicht passt.“ Um zu sehen, wie sich die Ranzen tragen, lässt Köhler die Jungen und Mädchen durchs Geschäft laufen. „Es ist wichtig, dass das Modell auch zum Körperbau passt“, ist der Experte überzeugt. Denn wenn die Kinder auf jedem Schulweg mit dem falschen Ranzen unterwegs sind, kann das zu Haltungsschäden führen.

Geschäftsaufgabe der „Vitrine“ fällt Köhler schwer

Solche Beratung „vom alten Schlag“, wie Köhler selbst sagt, gibt es immer seltener. Wer den Laden in der Hauptstraße 11 an der Ortsdurchfahrt betritt, spürt schnell, dass der Einzelhändler und sein Team ihren Job mit Liebe machen. Bei schönem Wetter ist schon der kleine Vorplatz liebevoll dekoriert. „Spielen und schenken“ steht unter dem kunterbunten Ladenschild „Die Vitrine“. Rucksäcke, Taschen und Spielzeug für den Sandkasten präsentiert Köhler draußen. Drinnen stehen Gesellschaftsspiele, Töpferware, Textilien und kleine Geschenke auf Regalen. Trendige Science-Fiction-Spielfiguren sind ebenso im Laden zu finden wie umweltfreundlich hergestellte Holz-Spielfiguren. Einige der Möbel hat Köhler selbst gezimmert. Dass er das alles bald abbauen muss, macht den Neuhausener traurig.

Für Schulranzen und ergonomische Rucksäcke gibt es umfassende Beratung. Foto: Ines Rudel

Vom Lehrerberuf in den Einzelhandel

Wie kam der Einzelhändler zu seinem Geschäft? „Als studierter Lehrer waren die Aussichten in den 1980er-Jahren nicht so rosig“, erinnert er sich. Deshalb entschloss er sich, einen Laden zu eröffnen. Angefangen hat er mit Antiquitäten. Dann konzentrierte er sich zunehmend auf Spielwaren und Geschenke. Bei schönem Wetter fahre er meist mit dem Fahrrad von der Fildergemeinde nach Kemnat. Um sich und sein Personal etwas zu entlasten, hat er die Öffnungszeiten angepasst. Jetzt hat „Die Vitrine“ montags bis freitags von 15 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 13 Uhr offen. „Morgens sind die meisten Eltern und Kinder in der Schule oder bei der Arbeit“, sagt Köhler. Das sei früher anders gewesen.

Nach der Schule schnell Süßigkeiten gekauft

An diese Zeiten erinnert sich Caroline Bechtle, die inzwischen in Denkendorf wohnt. Wenn sie in Kemnat ist, kaufe sie immer gerne in dem Laden ein: „Man findet immer was.“ Als ihre Kinder in der Grundschule waren, lebte die Familie noch in Kemnat. „Wenn sie von der Pfingstweideschule heimkamen, wurde erst mal im Spielzeugladen gestöbert“, erinnert sich die Mutter. Darauf habe sie sich bei den Mittagessenszeiten einstellen müssen, sagt sie und lacht. Viele Jungs und Mädchen haben bei Christoph Köhler vom Taschengeld Süßigkeiten gekauft. Der Ständer mit Lolli-Gläsern steht heute nicht an der Kasse. Ihr werde die gute Beratung fehlen, sagt Bechtle, „ebenso wie das liebevoll ausgesuchte Sortiment.“

Den engen Kontakt zu den großen und kleinen Kunden hat hat Köhler immer genossen. Besonders schön findet er es, „wenn Kinder kommen und hier ihre Geburtstagskörbe zusammenstellen.“ Die leuchtenden Augen, wenn die Jungs und Mädchen ihre Geschenke aussuchen, werde er vermissen. Für Köhler gehört es auch selbstverständlich dazu, „dass wir die Sachen schön einpacken“. Da lassen er und sein Team gerne die Fantasie spielen.

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Der Einzelhandel in Kemnat

Großbaustelle
Die Ortsdurchfahrt in der Heumadener Straße in dem Stadtteil mit rund 5400 Einwohnern hat die Stadtentwicklungsgesellschaft Ostfildern im vergangenen Jahr nicht nur saniert. Mit gezielten Umbauten wurde die Aufenthaltsqualität in der Ortsdurchfahrt gesteigert. Für die Selbstständigen in dem Stadtteil bedeutete der fast einjährige Umbau eine Durststrecke. Mit zahlreichen Aktionen versuchten der Bund der Selbstständigen und die Stadt Ostfildern, den Einzelhandel zu stärken.

Ladensterben
Im Juni 2024 schloss der Netto-Markt in der Hauptstraße für immer seine Pforten. Das war für die verbliebenen Einzelhandelsgeschäfte ein herber Schlag, denn der Discounter war ein Frequenzbringer. Bis es in Kemnat wieder einen Supermarkt gibt, werden noch zwei Jahre vergehen. Dann soll das neue Zentrum an der Ortsdurchfahrt fertig sein, das ein privater Investor baut. Dort wird es einen Rewe-Supermarkt geben, der 1000 Quadratmeter Fläche hat. „Dem Netto-Markt konnten wir nur 400 Quadratmeter anbieten“, sagt Christoph Ruth. Das war nach seinen Worten „einfach zu wenig, um eine Perspektive an dem Standort zu haben.“ Bereits in diesem Frühjahr hat in Kemnat auch die Tierhandelskette Fressnapf geschlossen.