Die Premiumanbieter marschieren beim Carsharing vorneweg – Daimler mit Car2go oder BMW mit Drive-Now. Welche Folgen das Wachstum des neuen Geschäftsfelds hat, ist allerdings noch nicht klar.

Stuttgart - Autokonzerne wollen Autos verkaufen. Das ist das Geschäftsmodell der letzten 130 Jahre gewesen. Doch inzwischen bieten die Konzerne ihre Gefährte nicht nur zur dauerhaften Nutzung, sondern auch für kürzere Zeiträume an. In großen Städten in aller Welt etablieren die Autokonzerne Carsharing nach dem Prinzip Freefloating. In einem definierten Stadtgebiet können Autos per Chipkarte oder Smartphone gebucht werden und nach Gebrauch überall wieder abgestellt werden. Abgerechnet wird im Minutentakt. Das hat den Carsharing-Markt in Schwung gebracht. Der Bundesverband Carsharing geht davon aus, dass die Zahl der Kurzzeitnutzer von Fahrzeugen in Deutschland jährlich um 20 Prozent zunimmt. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger wächst der weltweite Markt für gemeinsam genutzte Fahrzeuge bis 2020 jährlich um bis zu 30 Prozent.

 

Carsharing startete vor rund 20 Jahren und ist inzwischen ein

Erfolgsmodell. Der Bundesverband Carsharing zählte zum Jahresanfang 2015 1,04 Millionen Nutzer, die bei den 150 deutschen Carsharing-Anbietern angemeldet sind und damit ein Drittel mehr als ein Jahr zuvor. Davon sind 380 000 Kunden, die ihre Carsharing-Mobile an bestimmten Stationen übernehmen und dort auch wieder abgeben. Die stationsunabhängigen Systeme – Stichwort Freefloating – zählen 660 000 Nutzer und wachsen deutlich schneller. Für Thomas Beermann, Chef von Car2go Europe, hat „das Loslösen von festen Standorten das Carsharing in den vergangenen Jahren aus seinem Nischendasein geholt und weiten Bevölkerungskreisen zugänglich gemacht“.

Auch Audi denkt über Konzepte nach

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt will Carsharing-Fahrzeugen auf deutschen Straßen weiteren Schub geben und plant eine Gesetzesinitiative, die kostenfreie Parkplätze ermöglicht; auch über eine mögliche Nutzung der Busspuren wird nachgedacht. Der Bundesverband Carsharing hält diese Vergünstigungen für gerechtfertigt. In einem Gutachten für den Verband heißt es: „Da sich statistisch 40 Carsharing-Kunden ein Fahrzeug teilen und von 40 Carsharing-Neukunden knapp 25 Prozent mindestens ein eigenes Fahrzeug abschaffen, kann davon ausgegangen werden, dass der Stellplatzbedarf deutlich sinkt“. Der Hamburger Managementberater Stefan Weigele kritisiert die geringe Auslastung der Autos. Ein Carsharing-Mobil werde in Berlin beispielsweise nur eine Stunde am Tag bewegt, also kaum mehr als ein Privatauto. In Stuttgart werden die Elektro-Smarts nach Angaben von Car2go durchschnittlich fünf- bis zehnmal am Tag angemietet und legen bei jeder Fahrt zwischen fünf und zehn Kilometer zurück.

Daimler machte mit dem Car2go-Konzept den Anfang, BMW startete mit Drive-Now, und Volkswagen zog mit Quicar nach. Ford Carsharing kooperiert mit Flinkster, dem entsprechenden Angebot der Deutschen Bahn. Auch Audi denkt über Konzepte nach, wie der Autokonzern zum Mobilitätsanbieter werden kann. Nach Einschätzung von Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), haben „die Automobilhersteller mit ihren Angeboten wesentlich zum Carsharing-Boom in Deutschland beigetragen“.

Zwei Megatrends verstärken sich wechselseitig und zwingen die Autobauer umzudenken. Jedes Jahr ziehen weltweit rund 60 Millionen Menschen vom Land in die Stadt, und in den daraus entstehenden Mega-Cities sind intelligente Mobilitätskonzepte unabdingbar, weil Fahren und Parken immer schwieriger und oft wesentlich teurer wird. Hinzu kommt: Studien zeigen, dass der Traum vom Auto für immer mehr junge Menschen an Bedeutung verliert.

Carsharing-Wachstum geht zu Lasten des Nahrverkehrs

Inzwischen hat das Carsharing in den Großstädten längst einen Platz im Nahverkehr erobert. Doch fraglich ist, ob durch das Teilen von Autos die Emissionen von Kohlendioxid wirklich sinken, weil weniger gefahren wird. Nach Experteneinschätzung könnte das neue Angebot eher bewirken, dass weniger mit Nahverkehrsmitteln gefahren wird. Das würde bedeuten, dass der klassische Individualverkehr nicht schrumpft. Das Berliner Beratungsunternehmen für öffentliche Dienstleistungen Civity kommt in seiner Studie „Urbane Mobilität im Umbruch“ zu der Einsicht, dass mit den Free-Floating-Autos Mobilitätsbedürfnisse bedient werden, die häufig genauso gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad zurückgelegt werden können. Friedemann Brockmeyer, Mitautor der Studie, qualifiziert das als „motorisierte Bequemlichkeitsmobilität im Nahbereich“. Problematisch wäre das Wachstum des Carsharing zu Lasten des öffentlichen Nahverkehrs auch deshalb, weil diese Mobilitätsform mit vielen Milliarden Euro subventioniert wird.

Nach der Civity-Studie wird mit Free-Floating-Carsharing bis 2020 ein Umsatz von bis zu 1,4 Milliarden Euro pro Jahr erreicht. Doch ganz ohne Auto geht es manchmal nicht – oder es ist zumindest beschwerlicher. Aus dieser banalen Einsicht haben die Autokonzerne ein Geschäftsmodell entwickelt. Alle drei machen es auf gleiche Weise. Am Beginn steht die Registrierung als Nutzer mit einem moderaten Einstiegspreis. In einem festgelegten Stadtgebiet kann im Internet oder per Mobiltelefon der Standort des nächsten Autos gesucht werden. Mit einem Chip oder per Smartphone kann es geöffnet werden und man oder frau fährt los. Am Ziel stellt der Nutzer das Auto auf einen ausgewiesenen Parkplatz ab. Die Abrechnung erfolgt minutengenau. Der Betrag wird vom Konto abgebucht. Im Minutenpreis von üblicherweise 29 Cent sind sämtliche Kosten enthalten, vom Treibstoff bis zur Parkgebühr.

BMW sieht sich als deutscher Carsharing-Marktführer

Im Jahr 2008 ging Daimler als erster Autokonzern an den Start. Mittlerweile fahren weltweit 12 500 Smart Fortwo für das weltweit größte Carsharing-Unternehmen. Elektro- oder benzingetriebene Smarts lassen sich beispielsweise in Austin/Texas teilen, in Berlin, Stuttgart, Rom und bald im chinesischen Chongqing, insgesamt an 30 Standorten in Europa und Nordamerika. Innerhalb des letzten Jahres haben sich die Mietvorgänge verdreifacht. Bis 2016 will Car2go an insgesamt 50 Standorten in der ganzen Welt präsent sein. Betrieben wird Car2go an den europäischen Standorten durch ein Gemeinschaftsunternehmen mit Europas größtem Autovermieter, Europcar. Der Autovermieter kümmert sich um die organisatorischen Belange. Daimler hat im letzten Jahr sein Mobilitätsangebot mit Car2go Black erweitert und bietet für längere Fahrten die B-Klasse an. Die Autos müssen an festen Stationen gebucht werden und dort auch wieder abgegeben werden, aber nicht an derselben.

Nach Ansicht von Daimler-Chef Dieter Zetsche ist Carsharing für den Konzern ein funktionierendes Geschäftsmodell. Nach seiner Einschätzung hat sich nicht bestätigt, dass Carsharing Kunden kostet. Tatsächlich hält es sich – so Zetsche – die Waage: „Die einen sagen, jetzt brauche ich meinen Smart nicht mehr, die anderen kaufen sich einen eigenen, weil sie ihn mit Car2go ausprobiert haben.“ Der Vorstandsvorsitzende freut sich: „In einigen Städten sind wir schon profitabel.“

BMW sieht sich als deutscher Carsharing-Marktführer und ergänzt jetzt seine Drive-Now-Flotte mit dem Elektromobil i3 im Laufe dieses Jahres in London, San Francisco, Hamburg, Berlin und München. BMW-Vorstandschef Norbert Reithofer erwartet: „Auf diese Weise erhöhen wir die Akzeptanz von elektrischen Fahrzeugen und erhalten Zugang zu jüngeren Generationen.“ Die Drive-Now-Nutzer sind im Durchschnitt 32 Jahre alt und damit deutlich jünger als der durchschnittliche weiß-blaue Premiumkäufer. Laut Reithofer ist Drive-Now in Deutschland bereits profitabel. Die Zahl der Nutzer steigt. Ende 2014 waren rund 390 000 Kunden bei Drive-Now registriert. In den ersten Monaten dieses Jahres sind 30 000 dazugekommen, und die Expansion geht weiter.

Der VW-Konzern ist eher halbherzig dabei

Im vergangenen Jahr startete die BMW-Carsharing-Tochter in London und Wien. Jetzt sollen zehn weitere Städte in Nordamerika und bis zu 15 in Europa dazukommen. Anfangs schickten die Bayern in Zusammenarbeit mit dem Autovermieter Sixt rund 300 Minis und Einser-Modelle auf Münchens und Berlins Straßen. BMW-Marketing- und Vertriebsvorstand Ian Roberts will so „neue potenzielle Kunden an unsere Marken heranführen“. Drive-Now ist ein Joint Venture mit Sixt, das unter anderem für eine Verteilung der finanziellen Risiken Sorge tragen soll.

Volkswagen bietet in Hannover 200 Golf- sowie 100 Caddy- und Beetle-Modelle an, die an festen Standorten angemietet werden können und auch dort wieder abgegeben werden müssen. 2013 übernahmen die Wolfsburger die Mehrheit an dem niederländischen Anbieter Greenwheels. Der VW-Konzern ist beim Carsharing zwar mit dabei, aber eher halbherzig. Christian Klingler, VW-Vorstand für Vertrieb und Marketing, sieht das Geschäft kritisch und zweifelt an der Profitabilität, obwohl die niederländische Beteiligung an Greenwheels einen Gewinn ausweisen kann.

Für Audi passt Free-Floating nicht zu einer Premiummarke

Für Audi-Marketing- und Vertriebsvorstand Luca de Meo passt Free-Floating-Carsharing nicht zu einer Premiummarke. Das Unternehmen mit den vier Ringen offeriert zwei Premiumlösungen: Im sogenannten Microsharing können sich vier Freunde, Kollegen oder Nachbarn einen beliebigen Audi teilen, und die Ingolstädter unterstützen das organisatorisch. Angeboten wird das System derzeit im schwedischen Stockholm. In San Francisco hat Audi den Versuch gestartet, dass ein Interessent ab Mindestalter 25 Jahre sich einen Audi vor die Tür stellen lassen kann, der dann nach Gebrauch wieder abgeholt wird.

Doch trotz der bisherigen Erfolge des Carsharing muss sich erst noch zeigen, ob zum Beispiel der aktuelle Car2go-Minutentarif ausreicht, um auf Dauer Gewinne einzufahren. Autos im Minutentakt vermieten, statt sie zu verkaufen, kann für die Autokonzerne zwar eine neue Art sein, Geld zu verdienen, aber es stellt sich die Frage, wie Daimler & Co. langfristig profitabel bleiben wollen, wenn sie nicht mehr Millionen von Autos pro Jahr verkaufen. Thomas Weber, im Daimler-Vorstand für die Forschung zuständig, hat keine Antwort auf diese Frage, aber für ihn ist klar: „Daimler wird kein Carsharing-Anbieter mit angeschlossener Automobilproduktion.“ Für den 60-Jährigen wenden sich Projekte wie Car2go an den „Teil der globalen Kunden, für den der Kauf von Autos nicht mehr in dem Maß attraktiv ist“.

In den USA ist der Autoabsatz geschrumpft

Ersatz:
Auf die Frage, wie sich Carsharing auf die Nutzung und den Kauf von Autos auswirkt, gibt es höchst unterschiedliche Antworten.Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ein Carsharing-Auto zwischen vier und zehn Privatwagen ersetzen könnte. Dann würde rein rechnerisch auch rund ein Zehntel der heutigen Autos ausreichen, um die individuellen Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen. Nach einem Bericht des Bremer Senats schafft jedes Carsharing-Auto fünf private Personenwagen ab. Wie sich das auf die Nachfrage nach Personenwagen niederschlägt, bleibt offen. Denn nach Experteneinschätzung wird Carsharing oft als ergänzendes Mobilitätsangebot genutzt, ohne das eigene Auto abzuschaffen; es könnte den eigenen Wagen aber möglicherweise später ersetzen. Die Unternehmensberatung Alix Partners hat errechnet, dass in den USA 500 000 Autos weniger verkauft wurden, seit es Carsharing gibt. Ein Carsharing-Auto ersetzt danach 32 Neuwagen. Auch in Europa könnte die steigende Zahl von Carsharing-Nutzern nach Ansicht der Unternehmensberatung dazu führen, dass der Autoabsatz sinkt.

Ballungsräume: Carsharing nach dem Prinzip Freefloating ist eine Mobilitätslösung für Ballungsräume mit mindestens 500 000 Einwohnern. Auf dem Lande verteilen sich die Carsharing-Mobile auf eine zu große, vergleichsweise dünn besiedelte Fläche und sind dadurch für die Nutzer schwer erreichbar. Das gilt auch für zu kleine Ballungsräume. So hat Daimler Car2go in Ulm, wo die Tochter einst startete, eingestellt, weil das Einzugsgebiet zu klein war. Auf dem flachen Land können Carsharing-Systeme punkten, die ihre Mobile an festen Stationen anbieten.