Schiffe dienten früher dem Transport von Reisenden, niemand hielt sich zum Spaß an Bord auf. Bis Albert Ballin vor 125 Jahren die Kreuzfahrt erfand. Die „Vergnügungsreise“ wurde eine Erfolgsgeschichte.

Leben: Susanne Hamann (sur)

Unter großem Interesse der Öffentlichkeit legte die „Augusta Victoria“ a m 22. Januar 1891 in Cuxhaven ab. An Bord: 241 Menschen mit genug Geld, ausreichend Zeit und einer Portion Entdeckergeist, um sich fast zwei Monate auf eine Schiffsreise gen Italien und den Orient zu begeben. Der Plan war damals ebenso revolutionär wie verwegen. Zur See fuhr man um die Jahrhundertwende nicht freiwillig. Bevor es die Luftfahrt heutiger Ausprägung gab, dienten Schiffe als Transportmittel für größere Reisen. Bis Albert Ballin, Chef der Passage-Abteilung der „Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft“ (kurz Hapag), das notwendige Übel zum Abenteuer umdeklarierte - die Geburtsstunde der Kreuzfahrt. Die Hapag war damals neben der britischen Reederei Cunard einer der führenden Anbieter für Transatlantikreisen und beförderte Tausende Emigranten nach Übersee. Doch nur im Sommer waren die Passagierschiffe gut gebucht. Die strapaziöse Fahrt in eine ungewisse Zukunft wollte sich kaum jemand während der Wintermonate antun - zu kalt, zu stürmisch, zu ungemütlich. Auch die Schiffe der Hapag, darunter der hochmoderne Doppelschrauben-Schnelldampfer „Augusta Victoria“, lagen im Winter meist ungenutzt am Kai.

 

Warum die Leute nicht damit herumschippern, nur so zum Spaß? Die Idee stieß zunächst nicht gerade auf Begeisterung. „Es fehlte selbst in meiner allernächsten Umgebung nicht an Leuten, die glaubten, es sei in meinem Oberstübchen nicht ganz richtig“, wird Ballin zitiert. Gleichwohl war die Nachfrage enorm - obwohl die Tickets 1600 bis 2400 Goldmark kosteten (umgerechnet 28 500 bis 42 800 Euro). Damals entsprach der Preis ungefähr dem doppelten bis dreifachen Jahreseinkommens eines durchschnittlichen Arbeiterhaushaltes. Für diese Summe gab es eine 57-tägige Kreuzfahrt mit Vollverpflegung, die erste All-inclusive-Pauschalreise überhaupt. Die Route für die „Excursion“ führte von Cuxhaven einmal rund um Westeuropa. Via Gibraltar steuerte Kapitän Heinrich Barends den Schnelldampfer ins Mittelmeer, wo unter anderem die Hafenstädte Genua, Piräus, Alexandria, Beirut oder Konstantinopel angelaufen wurden. Der Orient galt seinerzeit als Mode- und Sehnsuchtsziel wohlhabender Weltenbummler. „Ich sehe viele Parallelen zwischen der modernen Kreuzfahrt und den Anfängen. Die Begeisterung der damaligen Passagiere für das Meer, das Erleben an Bord, ein gewisses Freiheitsgefühl, deckt sich durchaus mit dem heutigen Empfinden der Gäste. Die Kreuzfahrt ist nach wie vor ein ganzheitliches Erlebnis. Auch damals schon an Bord der ,Augusta Victoria‘ wurde auf gutes Essen, Unterhaltung und Landausflüge Wert gelegt.

An Bord der Augusta Victoria

Ballin erfand die Bordzeitung und brachte einen Zeichner mit auf die Reise, der die Impressionen vor Ort festhielt“, sagt Karl J. Pojer, Vorsitzender der Geschäftsführung von Hapag-Lloyd Cruises und damit so etwas wie Ballins Nachfolger. Bei der ersten „Vergnügungsreise zur See“ war eine illustre Gesellschaft an Bord - betuchte Herrschaften wie Bankiers, Konsuln, Kommerzienräte, dazu einige unternehmungslustige britische Damen. Auch Albert Ballin und seine Gattin Marianne reisten mit. Der Direktor kümmerte sich persönlich um wichtige Details: „Von den Veilchenbouquets für die Damen über die kurzweiligen Spiele an Deck bis hin zum Kaisertoast beim festlichen Diner am Geburtstag von Kaiser Wilhelm II.“, schreibt das Unternehmen Hapag-Lloyd Cruises. Die Passagiere ließen es sich derweil gutgehen. Aus einem Bordbericht geht hervor, dass „die Gäste Kaviarbrötchen verzehrten, als ob sie dafür bezahlt würden“. Am 21. März 1891 kehrte die „Augusta Victoria“ nach Cuxhaven zurück und wurde von Tausenden enthusiastisch begrüßt. Die Reederei nahm nach der gelungenen Premiere fortan Kreuzfahrten ins Programm. Ballin Erfolg inspirierte auch die Konkurrenz: So veranstaltete zum Beispiel John Burns, der damalige Präsident der Cunard-Line, kurz darauf vergnügliche Seereisen - der Beginn einer Erfolgsgeschichte.

125 Jahre später sind Kreuzfahrten kein elitäres Vergnügen der Oberschicht mehr, sondern ein für jedermann erschwingliches Massenphänomen. Die Branche boomt wie nie zuvor und entwickelt sich immer weiter. Es gibt mittlerweile Kreuzfahrten für jeden Geschmack und jeden Geldbeutel. Eine Hochseekreuzfahrt kostet im Moment durchschnittlich 173 Euro pro Person am Tag. 24 Millionen Passagiere pro Jahr gehen weltweit an Bord eines Kreuzfahrtschiffes. Europäische Gäste schätzen nach wie vor das Prinzip, auf eine Rundreise gehen zu können und nur einmal die Koffer packen zu müssen. US-Amerikaner haben eine etwas andere Philosophie: Für sie ist oft das Schiff selbst das Ziel ihrer Reise. Die „Augusta Victoria“, zur Zeit ihrer Indienststellung anno 1888 mit einer Länge von 145 Metern das größte Passagierschiff der Welt, sähe neben den heutigen Giganten der Meere wie ein putziges Beiboot aus. Der für Mai 2016 erwartete neue Meeresgigant „Harmony of the Seas“ der Reederei Royal Caribbean ist 66,5 Meter breit, 361 Meter lang und bietet Platz für rund 5500 Passagiere - ein Schiff der Superlative mit riesigen Rutschen, Eislaufbahn, 3-D-Kino und einer Bar, in der Roboter die Cocktails mixen. Größer, schneller, weiter - seit Albert Ballin hat sich die Kreuzfahrt enorm entwickelt. Mal sehen, wohin die Reise noch geht.