Wäre die Geschichte anders gelaufen, wären Gerlingen und Fellbach längst nach Stuttgart eingemeindet. Nun, Jahre später, zahlt sich der Widerstand der Altvorderen aus. Das Fahrverbot bleibt in Stuttgart, lästert Lokalchef Holger Gayer.

Chefredaktion : Holger Gayer (hog)

Stuttgart - Aus gegebenem Anlass muss der Heimatkunde-Unterricht in diesem Jahr bereits zwei Tage vor dem regulären Schulbeginn starten. Grund sind die seit dem 1. Januar 2019 geltenden Fahrverbote für ältere Diesel in Stuttgart. Vollkommen überraschend hat diese Maßnahme nämlich offenbart, dass der Verkehrsraum der Stadt mit dem Richtzeichen 310 aus dem Verkehrszeichenkatalog (VzKat) der Straßenverkehrsordnung (StVO) markiert ist. Das sind die gelben Ortsschilder mit der Aufschrift „Stuttgart“. Von dort an gilt die sogenannte Umweltzone, aus der Euro-4-Diesel ebenso ausgesperrt sind wie die Selbstzünder der Kategorien Euro 1 bis 3.

 

Die Umweltzone wiederum umfasst das gesamte Stuttgarter Stadtgebiet. Selbiges besteht nach verschiedenen Eingemeindungen seit 1956 aus 23 Stadtbezirken. Nur fünf davon bilden das Zentrum im Kessel: Mitte, Nord, Süd, West und Ost. Die anderen – von Bad Cannstatt bis Zuffenhausen – sind drumrum gruppiert, gehören trotzdem zur Stadt und sind daher in Sachen Fahrverbot mitgehangen, mitgefangen.

Die tapferen Heslacher wehren sich

Dabei lehrt die Geschichte, dass die Schwaben durchaus fuchsig werden können, wenn ihnen die Obrigkeit quer kommt. So wehrten sich bereits 1729 die tapferen Heslacher dagegen, von den Stuttgartern zu Wachdiensten verpflichtet zu werden. Von den 306 Einwohnern des Fleckens (darunter neun Witwen, ein Ausländer und ein Katholik) hatten nach einer Überlieferung des Historikers Paul Sauer zwar 74 Männer die Stuttgarter Bürgerrechte. Dass sich daraus auch die Pflicht zum Schutz der Stadtgrenzen ergeben könnte, sahen sie aber nicht ein. In einer gemeinsam mit den Freunden aus Gablenberg verfassten Beschwerde machten die Heslacher geltend, dass sie schon am Jagen und am Bau von Wildzäunen beteiligt seien. Weitere Aufträge seien unverhältnismäßig – auch weil sie ihren Pfarrern jeweils 30 Gulden pro Jahr aus dem eigenen Säckel zahlten. Die Sache landete vor Gericht. Und tatsächlich entschied der Herzog am 28. Januar 1730 im Sinne der aufmüpfigen Vorstädter.

Fast 250 Jahre später zeigten die wackeren Bürger von Gerlingen, wie man standhaft bleibt. Nachdem der Stuttgarter Gemeinderat am 17. Mai 1973 im Zuge der von der Landesregierung geplanten Gemeindereform mit 54 Ja-Stimmen beschlossen hatte, Gerlingen (und nebenbei auch Korntal und Kemnat) einzugemeinden, marschierte der Gerlinger Bürgermeister Wilhelm Eberhard umgehend in den Landtag, um „die Fresslust der Stuttgarter“ zu geißeln. Mit Erfolg: Stuttgart ging bei der Gemeindereform leer aus.

Fellbach hat sein Territorium verteidigt

Nicht einmal Fellbach konnte der Stuttgarter OB Arnulf Klett seinerzeit erobern. Und es war nicht das erste Mal, dass eine Offensive aus dem Nesenbachtal hinter dem Kappelberg abgewehrt wurde. Obwohl die französische Militärregierung am 2. Juni 1945 sogar verfügte, dass „die Gemeinde Fellbach vorläufig zum Gebiet Gross-Stuttgart“ gehören soll, ging die Sache immer wieder schief. Laut einem Bericht des Polizeiinspektors Hermann Reck kam es am 7. Juni 1945 sogar zu einer dramatischen Begegnung: Ein Trupp von sieben Kriminalbeamten aus Stuttgart habe mit schussbereiten Pistolen das Fellbacher Rathaus aufgesucht und dabei versucht, den Bürgermeister Alfons Meyer zu verhaften und die Stadtkasse zu beschlagnahmen. Doch schon im Treppenhaus sei es zu einem Tumult gekommen. Schüsse seien zwar nicht gefallen, wohl aber Worte wie Lump, Schuft und Verbrecher. Schließlich habe der Truppenführer aus Stuttgart „verwirrt und schreckensbleich“ den Rückzug befohlen.

Womit geklärt wäre, warum Fellbach immer noch nicht Stuttgart ist – und Euro-4-Diesel auch 2019 dort fahren dürfen.