An einem heißen Sommervormittag öffnet Frau Timme die Tür zu ihrem Haus. Sie sieht aus wie eine Diva: schwarzes langes Kleid, Perlen um den Hals und in den Ohrläppchen.

Degerloch - An einem heißen Sommervormittag öffnet Frau Timme die Tür zu ihrem Haus. Sie sieht aus wie eine Diva: schwarzes langes Kleid, Perlen um den Hals und in den Ohrläppchen. Frau Timme, die mit vollem Namen Margrit Timme heißt, bittet in ihr durch und durch mit Holz vertäfeltes Arbeitszimmer in dem Holzhaus, das eine spannende Geschichte hat.

 

Zunächst aber spricht Frau Timme über ihr spannendes Leben. Ihre grünen Augen unter der Kurzhaarfrisur strahlen wie die einer 20-Jährigen, als sie zu erzählen beginnt. Und auch was ihren Elan angeht, könnte Frau Timme locker 20 sein. Jeden Morgen schließt die 71-Jährige die benachbarte Versöhnungskirche auf und abends wieder ab, samstags richtet sie den Blumenschmuck am Altar. „Das macht mir viel Spaß“, sagt sie. Für sie ist diese Aufgabe ein Klacks. Verglichen mit der vielen Arbeit, die sie 30 Jahre lang im Kirchengemeinderat hatte, dem sie 18 Jahre vorstand.

Dieses Ehrenamt ist Vergangenheit. Aktiv ist sie immer noch: Im Café La Strada in der Innenstadt ist sie im Einsatz, es ist ein Treffpunkt für Prostituierte und Stricher. Dort werden medizinische Versorgung, Essen und Gespräche angeboten. Frau Timme berichtet, wie sie die köstlichsten Speisen zubereitet und drapiert, als würde sie ein Buffet für einen Staatsempfang vorbereiten. Nur in einem kurzen Nebensatz erwähnt sie, dass die Nahrungsmittel von der Tafel kommen. Das scheint nebensächlich: Wer es mit Überzeugung tut, macht Essen von der Tafel würdig für einen Staatsempfang.

Frau Timme macht zudem bei der Stolperstein-Initiative mit, bei einem Besuchsdienst der Kirche und bei der Hausaufgabenbetreuung an der Schule, an der sie einst Religion und Deutsch unterrichtete. An der Schule ihrer beiden Söhne war sie im Elternbeirat, und zwölf Jahre lang war sie Schöffin am Amtsgericht. Frau Timme hat immer gegeben. Ihren kranken Mann, der im Rollstuhl saß, hat sie über Jahre gepflegt. Vor vier Jahren ist er gestorben, plötzlich bekam sie etwas, was sie nicht kannte: Zeit.

Das hatte sie zunächst irritiert; doch dann hat sich die pensionierte Lehrerin in neue Aufgaben gestürzt. Immer hat sie sich für die Geschichte ihres Hauses interessiert. Als sie mit ihrem Mann und den beiden Söhnen im Jahr 1978 in das nach nordischem Vorbild gebaute Holzhaus zog, wusste sie nichts über dessen Geschichte. Nur, dass sie die Besitzerin mitkaufen sollte. Zwei Jahre wohnte diese bis zu ihrem Tod mit den Timmes unter einem Dach. Die erfuhren durch sie erst von der Besonderheit des Hauses.

Im Brockhaus von 1933 ist es unter dem Stichwort Holzhaus als mustergültig abgebildet. Denn das von 1926 bis 1927 erbaute Gebäude war eine Pionierleistung des Architekten Hans Zimmermann. Regelmäßig stehen bis heute Architektur-Studenten vor der Tür, erzählt Frau Timme.

Über den jüdischen Architekten Zimmermann forscht Timme nun seit einiger Zeit mit anderen Interessierten. Die Gruppe hat viel herausgefunden. 2014 soll es eine Ausstellung mit Publikation geben. Die Recherchen haben Frau Timme zu einer weiteren Person geführt, die sie sofort fasziniert hat. Seit zwei Jahren versucht sie alles über die Degerlocher Malerin Maria Lemmé herauszufinden. Sie wohnte in der Nachbarschaft, in dem Haus, in dem heute Fredi Bobic lebt. Die Jüdin starb in Theresienstadt, durch Frau Timme lebt sie weiter: Sie schreibt derzeit an einer Biografie über Lemmé.