Totenkopfschwärmer wandern mithilfe eines körpereigenen Navis über die Alpen bis zum Mittelmeer und weiter. Dabei nutzen sie Wind und Wetter so aus, dass sie möglichst schnell und energiesparend vorankommen. Ein Forscher fliegt mit, um zu sehen, wie das funktioniert.

Schon als Junge träumte Martin Wikelski davon, Zugvögel auf ihrem Weg nach Süden zu beobachten. Heute fliegt er eine Cessna 172 hinter Totenkopfschwärmern her, an denen er vorher einen 0,2 Gramm schweren Telemetriesender befestigt hat. Das sind zwar keine Vögel, aber trotzdem ist es, „wie wenn ein Kindheitstraum in Erfüllung geht“, sagt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Radolfzell und Professor an der Universität Konstanz. Das Besondere daran sind aber die Ergebnisse dieser Flugzeugverfolgungsjagd: Die Nachtfalter nutzen offenbar ein inneres Navigationssystem, das sie zuverlässig an ihr Ziel bringt. Diese Erkenntnisse hat Wikelski gerade mit seinem Team im Fachblatt „Science“ geschildert.

 

Totenkopfschwärmer schaffen es bis in die Sahara

Das Ziel der Falter liegt manchmal viertausend Kilometer entfernt. Die in Deutschland geschlüpften Totenkopfschwärmer fliegen im Herbst nämlich bis ins Mittelmeergebiet und erreichen von dort aus auch Regionen südlich der Sahara. Im nächsten Frühjahr fliegen Motten dieser Art dann wieder aus dem Süden nach Mitteleuropa und legen ihre Eier sehr gern auf Kartoffelpflanzen, von deren Blättern sich die daraus schlüpfende gelbgrünen Raupen ernähren. Diese werden zwölf Zentimeter lang und 20 Gramm schwer. Nach dem Verpuppen schlüpfen Falter, die laut Wikelski im Durchschnitt 2,6 Gramm wiegen.

Totenkopfschwärmer sind also für die Insektenwelt sehr große Tiere, die daher auch einen der superleichten, nur 0,2 Gramm wiegenden Telemetriesender samt kleiner Antenne tragen können. 14 dieser Nachtfalter rüsteten Martin Wikelski und sein Team mit solchen Minigeräten aus, um ihre Reise nachzuverfolgen. Allerdings reichen deren Signale nicht weit. Zu Fuß oder per Auto sind die Tiere schwer zu verfolgen. Martin Wikelski hatte also gute Gründe, den Pilotenschein zu machen und die Flüge der Nachtfalter mit einem leichten Cessna-Flugzeug zu verfolgen.

Peilung mit gewagten Flugmanövern

„Zum Glück kennen mich die Fluglotsen in der Region gut und unterstützen meine ungewöhnlichen Flugvorhaben toll“, freut sich der Verhaltensbiologe. Schließlich sind Nachtflüge, bei denen der Pilot im Alpenraum alle paar Minuten direkt über einem Insekt fliegt, um dessen Lage zu peilen, alles andere als Routinemanöver. Nur so aber lassen sich die Flüge der Falter beobachten.

Die Verhaltensweisen der beobachteten Tiere ähneln sich bei dieser Forschung zum Teil verblüffend. „Vögel und Fledermäuse scheinen zum Beispiel auf Abende mit günstigen Bedingungen zu warten, an denen sie dann losfliegen“, erklärt Martin Wikelski. Entpuppt sich das Wetter in der Flughöhe der Tiere als unerwartet widrig, kehren sie manchmal auch um und fliegen sogar zu ihrem Startplatz zurück. Nicht anders machen es auch heute noch Verkehrsflugzeuge und eben auch die Totenkopfschwärmer.

Mit bis zu 70 Sachen unterwegs

Unterwegs legen diese großen Insekten durchschnittlich 33,8 Kilometer in einer Stunde zurück. Und erreichen damit fast das Tempo des menschlichen Sprintweltrekords über hundert Meter. Als Spitzengeschwindigkeit wurde ein Tempo von 69,7 Kilometern in der Stunde gemessen – auch wenn da wohl Rückenwind die Tiere ein wenig angeschoben hat. Und dabei steigen die Insekten nicht etwa, wie es viele Biologen erwartet hatten, bis in die Höhen auf, in denen der Rückenwind am stärksten schiebt, sondern sind oft nur 300 Meter über dem Boden bei schwächeren Winden unterwegs.

Sehr häufig flogen die Totenkopfschwärmer aber auch bei Gegenwind los und hielten dann schnurstracks auf ihr Ziel zu. Das war von Konstanz aus oft der 2067 Meter hohe San-Bernardino-Pass, der seit Langem für die riesigen Scharen von Zugvögeln bekannt ist, die dort im Herbst nach Süden fliegen. Unterwegs waren die Motten mindestens eine, manchmal aber auch mehr als dreieinhalb Stunden. Start war meist einige Minuten nach Sonnenuntergang. Dann strahlt der tagsüber aufgeheizte Untergrund oft noch Wärme ab, die Aufwinde erzeugt. Die nutzen die Insekten gern aus, um Energie zu sparen. Und das tun sie so erfolgreich, dass auch Martin Wikelski etwas davon hatte, der sie in seiner Cessna verfolgte: „Ich war offensichtlich in ähnlichen Windverhältnissen unterwegs, und mein Tank war einige Male nach sechs Flugstunden noch halb voll, obwohl ich dann eigentlich bereits meine maximale Reichweite erreicht haben sollte.“ Die Taktik der Insekten hilft also auch, Sprit zu sparen.

Wenn die Wärme nach wenigen Stunden abgestrahlt ist, und die Aufwinde nachlassen, landen die Totenkopfschwärmer meist wieder. Zwei dieser Motten aber flogen in einer Nacht etwa 170 Kilometer weit über den San-Bernardino-Pass und landeten dahinter. Um den genauen Landepunkt der Tiere zu finden, startete Wikelski mit dem Auto samt Antennen und Empfänger und konnte die Tiere tatsächlich orten. Sie waren in Bienenstöcken untergeschlüpft. „Dort tarnen sie sich mit einem Bienengeruch, werden daher nicht von den Bienen angegriffen und können sich so mit ihrer Leibspeise aus Honig und Nektar stärken“, erklärt Wikelski.

Wie die Nachtfalter in der Nacht genau navigieren, weiß der Verhaltensbiologe zwar nicht, aber er hat einen dringenden Verdacht: „Ähnlich wie Vögel besitzen die Insekten wohl einen im Organismus vorhandenen Magnetkompass, um ihre Richtung zu bestimmen“, vermutet der Forscher. „Gleichzeitig helfen ihnen aber auch ihre nachts hervorragend sehenden Augen, das Gelände gut auszunutzen.“

Das Magnetsinn-Navi der Vögel

Auge
 Zugvögel navigieren, weil sie das magnetische Feld der Erde wahrnehmen können – mit dem sogenannten Magnetsinn. Damit das funktioniert, muss etwas in den Tieren magnetisch reagieren. Verantwortlich dafür ist das Eiweiß Cryptochrom 4 unter der Netzhaut der Vögel, wie Forscher im Fachmagazin „Science“ im Vorjahr berichteten.

Elektronen
 In den Eiweißmolekülen im Auge befinden sich Elektronen, die vom Erdmagnetfeld gestört werden. Daraus ergeben sich Signale, die von Vögeln vermutlich wahrgenommen werden.