Gesellschaft Politiker können von Franziskus lernen: Die Kirchen müssen politisch sein

Zu Kriegen oder Flüchtlingskrise: Der verstorbene Papst Franziskus äußerste sich und handelte stets politisch. Foto: AP/Andrew Medichini

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat sich die Kirchen vorgeknöpft. Dabei können Spitzenpolitiker wie sie einiges vom verstorbenen Papst Franziskus lernen, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Tobias Peter.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Papst Franziskus war ein hochpolitischer Mann: von der kleinen Geste bis hin zur fordernden Anklage. Er trug schwarze Straßenschuhe statt der roten Papstschuhe, um ein Zeichen gegen den kirchlichen Pomp zu setzen. Er wusch Häftlingen die Füße, um Nächstenliebe zu zeigen. Und auf Lampedusa hielt er der Welt schonungslos den Spiegel vor, die er als zu gleichgültig gegenüber dem Leid von Flüchtlingen sah. Der Tod von Unschuldigen, vor allem von Kindern, „ist ein stummer, aber ohrenbetäubender Schrei“, so lautete Franziskus‘ Botschaft schon auf seiner ersten Reise als Papst überhaupt im Jahr 2013. Ein Plädoyer gegen das Weghören und Wegsehen.

 

Ist die Kirche zu beliebig?

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat – in einem Interview, das vor dem Tod des Papstes geführt wurde – jüngst gewarnt, die Kirche riskiere beliebig zu werden, wenn sie ständig zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgebe. Klar könne sich die Kirche zu Tempo 130 äußern, aber dafür zahle sie nicht unbedingt Kirchensteuer, sagte Klöckner. Sie glaube, von Kirche erwarte man sich „diese sinnhafte Begleitung, diese Antwort auf Fragen, die ich in meinem Alltag habe, vielleicht auch Trost und Stabilität“. Das stimmt. Und doch zeigt die CDU-Politikerin, eine gelernte Religionslehrerin, hier ein eingeschränktes Verständnis vom Christentum.

Wie falsch Klöckner liegt, versteht, wer sich zu den Anfängen begibt. Der Religionswissenschaftler Reza Aslan hat darauf hingewiesen, man müsse immer die eine historisch unumstrittene Tatsache über Jesus bedenken: dass er gekreuzigt wurde. So wurden Aufruhr oder Rebellion bestraft. Jesus sei ein Unruhestifter gewesen, der die Mächtigen nervös gemacht habe.

Dieser Mann war unbequem – auch wenn man ihn sich so vorstellt, wie die Bibel ihn zeichnet. Jesus setzte sich für die Armen ein. Er kritisierte die Mächtigen, doch er machte es auch dem Einzelnen nie bequem. „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“, heißt es im Evangelium nach Matthäus. Jeder soll den Fehler auch bei sich selbst suchen. Ein Anspruch, dem die Kirchen, auch Franziskus, bei der Aufarbeitung der Missbrauchsskandale nicht gerecht geworden sind.

Keine bloße Service-Stelle

Die katholische und die evangelische Kirche können, wenn sie sich selbst ernstnehmen, nicht einfach nur Servicestellen oder geistliche Wellnessbetriebe sein, an denen Menschen für ihre Kirchensteuer „Trost und Stabilität“ erhalten, wie Bundestagspräsidentin Klöckner es sich wünscht.

Kirche muss eine Zumutung sein – auch für die Politik. Die Aufgabe der Politik ist es, Kompromisse zu schließen und zu Lösungen zu kommen. Die Kirche muss und darf, etwa in der Flüchtlingspolitik, einseitig Partei für die Schwächsten ergreifen. Insbesondere, wer das Wort „christlich“ in seinem Parteinamen führt, muss das aushalten. So, wie Liberale und Linke damit klarkommen müssen, wenn Kirchen in der Frage der Schwangerschaftsabbrüche andere Haltungen einnehmen als sie.

Mit ihren politischen Einlassungen (und auch mit ihren vielen weltlichen Fehlern) dürfen und sollen natürlich auch die Kirchen Gegenstand von gesellschaftlicher Kritik sein. Bei der katholischen Kirche zum Beispiel drängt sich offensichtlich die Frage auf, ob diese in ihrem Umgang mit Homosexuellen nicht selbst gegen das Gebot der Nächstenliebe verstößt.

Spitzenpolitiker können vom verstorbenen Papst Franziskus lernen, dass vorbildliches Handeln die eigene Glaubwürdigkeit erhöht. Wer sparen will, fängt am besten bei sich selbst an. Franziskus schenkte mal ein Paar schwarze Schuhe, die er als Gabe erhalten hatte, an einen Obdachlosen weiter.

Weitere Themen