Freundlichkeit war eine Zier: Viele Menschen haben am Anfang der Corona-Krise versucht, es den anderen, den Nachbarn zumal, ein bisschen leichter zu machen. Jetzt aber brechen die Verteilungskämpfe aus – und die Jungen werden die Zeche zahlen müssen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Heute ist der Tag des Nachbarn – lateinisch vicinus. „Geradezu der nächste“ steht im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, wenn in der Rubrik die Rede auf die Wortgeschichte des Begriffs kommt. Freilich muss, es ist ein Werk des neunzehnten Jahrhunderts, auch Friedrich Schiller zitiert werden, und da relativiert sich die zunächst ganz freundlich anmutende Geschichte schon etwas: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt“, heißt es nämlich im „Wilhelm Tell“. Sein Autor wusste sehr wohl, dass humanistische Ideale der brutalen Wirklichkeit und den Widersprüchen innerhalb der Sozialstruktur in der Regel nicht gewachsen sind.