Die Familienministerin will ihren Gesetzentwurf zur Reform der Kinder- und Jugendhilfe noch im April ins Kabinett bringen, aber sie stößt auf Bedenken bei der Union.

Berlin - Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) möchte noch im April ihre geplante Reform der Kinder- und Jugendhilfe ins Kabinett bringen. Es ist eines ihrer letzten größeren Vorhaben in der zu Ende gehenden Wahlperiode. Die Zeit drängt. Aber sie hat mit einigen Widerständen zu kämpfen.

 

Die 88 Seiten des Entwurfs zeigen an, dass ihr „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen“ einen umfangreichen Katalog von Maßnahmen und Veränderungen umfasst. Viele davon dürften nicht mehr in den Parteienstreit geraten. Dass Schwesig ausdrücklich festschreibt, dass Ärzte, Psychologen oder Familienberater befugt sind, „bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen“ das Jugendamt zu informieren, um ihm die erforderlichen Daten mitzuteilen, ist politisch unstrittig. Ebenso, dass für die Mitarbeiter von Strafverfolgungsbehörden in solchen Fällen eine Informationspflicht an das Jugendamt eingeführt wird. Dass schließlich die behördliche Heimaufsicht mit wirkungsvolleren Handlungsmöglichkeiten ausgestattet und für Kinder und Jugendliche ein „uneingeschränkter Anspruch auf Beratung durch die Kinder- und Jugendhilfe“ begründet wird, ist auch alles konsensfähig.

Die Kontroversen entzünden sich am Recht der leiblichen Eltern

Die kontroverse politische Debatte wird an einem anderen Punkt einsetzen. Es geht um die Kinder, die aufgrund der evidenten Gefährdung des Kindeswohls aus der Obhut der Eltern genommen und in Pflegefamilien untergebracht worden sind. Es handelt sich um eine besonders verletzliche Personengruppe. Diese Kinder haben nicht nur häuslicher Leid in vielen Facetten erfahren, sondern müssen mit neuen Trennungsängsten leben und mit Beziehungsabbrüchen rechnen. Im Gesetzentwurf heißt es, für diesen Personenkreis müssten „Maßnahmen ergriffen werden, die der Familiensituation von Pflegekindern mehr Stabilität und ihren personalen Beziehungen mehr Sicherheit und Kontinuität verleihen“. Zugleich aber müssten „die verfassungsmäßigen Rechte der Eltern in vollem Umfang“ gewahrt bleiben.

Das kann im konkreten Einzelfall zu äußerst schwierigen Zielkonflikten führen. Es gibt Fälle, in denen Kinder seit ihrer Geburt bei Pflegeeltern leben, etwa weil die leibliche Mutter zum Zeitpunkt der Geburt minderjährig, alkoholabhängig und vielleicht zusätzlich obdachlos gewesen ist. Wenn der Mutter später ein Entzug gelingt und sie noch eine Ausbildung abschließt, hat sie gute Chancen, das Sorgerecht rückübertragen zu bekommen. Das Kind ist dann vielleicht neun oder zehn Jahre, hat einen liebevollen Kontakt zu ihren Pflegeeltern und nie Umgang mit seiner leiblichen Mutter gehabt. Nun wird es aus der Pflegefamilie herausgerissen. Womöglich entspricht das Gericht zusätzlich dem Antrag der Mutter, den Kontakt zu dieser Familie zu untersagen, damit Mutter und Kind einen emotionalen Kontakt aufbauen können.

Gerichte sollen Daueraugenthalt bei Pflegefamilien verfügen können

Kein Einzelfall ist gleich und Leid nicht mittels Gesetzen zu lindern. Aber es soll Veränderungen geben: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Familiengerichte die Möglichkeit erhalten, den dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie anzuordnen. Voraussetzung ist, dass eine Verbesserung der Situation in der Herkunftsfamilie nicht erreicht wurde und auch in Zukunft nicht zu erwarten ist. Wird ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht, sollen Jugendamt, Eltern und Pflegeeltern verpflichtet werden, von Anfang an die Frage in den Blick zu nehmen, ob das Kind dauerhaft oder nur vorübergehend in der Pflegefamilie blieben soll.

Dass hier ein sehr heikler Punkt berührt ist, leuchtet schnell ein. Marcus Weinberg, der familienpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, formuliert das so: „Die Rechte der leiblichen Eltern dürfen nicht einseitig geschwächt werden.“ Es bleibe Aufgabe des Staates, „die leiblichen Eltern durch Unterstützung wieder in die Lage zu versetzen, dass sie die Erziehung ihrer Kinder selbst gewährleisten können“. Weinberg sagt, er wolle nicht, „dass das ,Befristungsdogma’ durch ein ,Kontinuitätsdogma’ abgelöst wird“. Hier gehe „Sorgfalt vor Schnelligkeit“. Die Union werde sich „nicht treiben lassen“.

Das alles klingt zwar nicht nach unüberbrückbaren Schwierigkeiten. Schließlich erkennt Weinberg auch „Schieflagen in beiden Richtungen: keine Kontinuität in der Beziehung der Pflegeeltern zum Pflegekind genauso wie teilweise fehlende Rückkehrmöglichkeiten zu den stabilisierten leiblichen Eltern“. Aber die Zeit wird für Ministerin Schwesig nun zum Faktor.