Der Chef der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, wirft Bundesgesundheitsminister Spahn eine „merkwürdige Politik“ vor. Ob im Südwesten der Zusatzbeitrag sinkt, werde nächsten Mittwoch entschieden.

Stuttgart - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat die gesetzlichen Krankenkassen wegen des Hortens von Geld kritisiert. Am Dienstag warf Spahn ihnen vor, dass sie „das Vierfache ihrer Mindestreserven auf der hohen Kante haben“. Anlass für die Kritik waren die Finanzergebnisse für die ersten drei Quartale von 2018, wonach die rund 100 gesetzlichen Krankenkassen einen Überschuss von 1,86 Milliarden Euro verzeichnen.

 

Die Betriebsmittel und Rücklagen der Kassen seien bis September auf 21 Milliarden Euro gestiegen, berichtet Spahn. Das entspreche etwa 1,1 Monatsausgaben. Die Zahlen zeigten, dass es richtig sei, die Krankenkassen „zum Abbau ihrer Rücklagen zu zwingen“, indem sie von 2019 an nur noch eine Monatsausgabe als Finanzreserve haben dürften. „Es gibt keinen Grund, warum sie Beitragsgelder weiter horten. Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Rentner müssen endlich an den Überschüssen beteiligt werden.“ 2019, so Spahn, sollten die Kassen alle Spielräume nutzen, um Zusatzbeiträge zu senken.

Viele Krankenkassen haben den Zusatzbeitrag schon gesenkt

Auch beim Dachverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen in Berlin (GKV) spricht man von einer „insgesamt guten finanziellen Situation“. Allerdings weist die GKV-Vorsitzende Doris Pfeiffer darauf hin, dass im Gesundheitsfonds – aus dem zentral Gelder verteilt werden – derzeit ein Minus von 3,26 Milliarden Euro klaffe, das wegen des hohen Aufkommens der Weihnachtszulage im vierten Quartal aber wieder verschwinden werde. Auch hätten die Kassen schon reagiert auf die guten Zahlen, sagt Pfeiffer: „In diesem Jahr haben bereits gesetzliche Krankenkassen mit insgesamt 21,9 Millionen Versicherten ihren Zusatzbeitrag gesenkt.“

Insgesamt gibt es 72 Millionen gesetzlich Krankenversicherte. 2019 erwartet die GKV steigende Ausgaben, auch werde der durchschnittliche Zusatzbeitrag durch eine Verordnung des Gesundheitsministers auf 0,9 Prozentpunkte gesenkt, sagt Pfeiffer. Neben dem allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent können Kassen einen Zusatzbeitrag erheben.

Besonders hoch fällt laut neuen Zahlen der Überschuss der Allgemeinen Ortskrankenkassen aus: Er liegt seit Januar bei 920 Millionen Euro. Bei den Ersatzkassen sind es 534 Millionen, bei den Betriebskrankenkassen 190 Millionen Euro. Die Ausgaben wuchsen um 3,8 Prozent. Für das Gesamtjahr rechnet Spahn mit einem Überschuss von rund 2,5 Milliarden Euro.

AOK-Landeschef rüffelt „merkwürdige Gesundheitspolitik“ von Spahn

Der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg, Christopher Hermann, hat auf Anfrage unserer Zeitung dem Bundesgesundheitsminister eine „sehr merkwürdige Gesundheitspolitik“ vorgeworfen. Hermann kritisierte, dass Spahn zunächst in der „Bild“ über die gute Finanzlage der Krankenkassen berichtet habe, sie aber thematisch vermengte mit einer Kritik an zahlreichen Gerichtsverfahren, die derzeit die Krankenkassen gegen Krankenhäuser führen: „Es ist merkwürdig, die Krankenhausverbindlichkeiten sowie die Qualitäts- und Haftungsfragen willkürlich mit der Thematik der Finanzlage von Krankenkassen zu vermixen, wie am Mittwoch über ein Boulevardblatt kolportiert worden ist. Das sind mehrere paar Stiefel.“

Was die Finanzlage der AOK Baden-Württemberg anbelange, so Hermann, „werden wir das Geschäftsjahr 2018 mit einem guten Plus abschließen können. Hermann: „Seit Jahren ist unsere Geschäftspolitik davon geprägt, dass wir jeden erwirtschafteten Euro in die Versorgung und bessere Strukturen investieren.“ Das sei der AOK jüngst von Wissenschaftlern bestätigt worden. Darüber hinaus entlaste die Südwest-AOK ihre 4,4 Millionen Versicherten jährlich um rund 40 Millionen Euro durch Zuzahlungsbefreiungen bei Arzneimitteln.

Über die Höhe des Zusatzbeitrags für 2019 – derzeit liegt er bei ein Prozent – werde der Verwaltungsrat der AOK Baden-Württemberg am 12. Dezember entscheiden. „Dabei werden wir selbstverständlich die Finanzlage und die langfristige Stabilität des Unternehmens im Auge haben“, so Hermann.