Mutmacher, Kämpfer, Tröster – drei Beispiele aus Stuttgart. Jeder einzelne Bürger hat Beachtung verdient, findet Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Geschichten, die das Leben in dieser Stadt schreibt, sollte man in der Zeitung nachlesen können – zumindest die eindrücklichen. Das ist ein hoher Anspruch. Aus dieser Woche ragt die Geschichte der 28 Jahre alten angehenden Gesundheits- und Krankenpflegerin Lauriane Diraison heraus, die einem 81-Jährigen im Marienhospital den Lebensmut zurückgegeben hat. Der stark abgemagerte Mann hatte nach eigenen Worten schon mit allem abgeschlossen, als er auf die junge Französin traf – eine Frau, der das Lachen ins Gesicht geschrieben steht. Ihre Fröhlichkeit, ihre Fürsorge, ihr deutsch-französischer Singsang hielten den alten Mann am Leben. Unserer Redaktion sagt sie in zwei Sätzen mehr, als ein dickes Lehrbuch vermitteln kann: „Jeder Patient hat eine Geschichte, und ich höre sie gern. Ich arbeite mit ganzem Herzen.“ Über ihr Berufsverständnis als Krankenschwester meint sie: „Wir sind nicht die Freunde der Kranken, aber wir können trösten.“ Lauriane Diraison beschreibt ein Ideal.

 

Hoffen auf ein Happy End für Larissa

Von Krankheit und Mut handelt auch eine andere Lebensgeschichte – die von der achtjährigen Larissa aus Vaihingen, über die wir mehrfach berichtet haben. Auf dieses Wochenende nun konzentriert sich Larissas Hoffnung und die ihrer Familie. Denn an diesem Sonntag findet im Gazi-Stadion auf der Waldau von 11 bis 16 Uhr eine große Typisierungsaktion statt, mit der nach einem Stammzellenspender für Larissa gesucht wird. Das Mädchen leidet an einer seltenen Kochenmarkserkrankung, MDS, die verhindert, dass ihr Körper in normalem Umfang Blutbestandteile produziert. An Menschen, die Anteil nehmen, mangelt es nicht. Mehr als 100 Freiwillige helfen bei der Typisierungsaktion mit; viele Prominente werben dafür – von Jürgen Klinsmann bis Eric Gauthier. Was fehlt, ist ein genetischer Zwilling. Die Nadel im Heuhaufen. Je mehr danach suchen, umso größer die Chance, sie zu finden. Die Geschichte, die Larissas Leben schreibt, wird hoffentlich ein Happy End haben.

Drei von 611 213 Lebensgeschichten

Andere Geschichten haben keinen Namen, nicht mal ein Gesicht. Etwa die des unbekannten Mannes, der seit Jahren im Winter imKräherwald campiert. Tee und Schokolade an, mehr nicht. Ehrenamtliche Helfer, die ihn versorgen, sehen nur seine offene Hand, die er ihnen aus seinem Lager entgegenstreckt. „Ich habe alles – einen Schlafsack, warme Decken“, viel mehr sagt er nicht. Was ihn in seinem vielleicht 70-jährigen Leben bewegt hat und bewegt, behält er für sich. Vielleicht, weil ihm zu wenige Personen wie Lauriane Draison begegnet sind, die Zeit zum Zuhören aufbrachten. Vielleicht, weil er sich nicht anvertrauen will. Wer weiß. Es gibt viele Gründe, in sich gekehrt zu sein.

Das sind nur drei von 611 213 Lebensgeschichten, die aktuell in Stuttgart spielen. Nicht jede davon eignet sich für die Zeitung. Doch jede einzelne hat Beachtung und Wertschätzung verdient.

jan.sellner@stzn.de