Gespräch mit dem Träger der Heimatmedaille In Sachen Muggeseggele
Jüngst hat er die Heimatmedaille Baden-Württemberg erhalten: Khalil Khalil ist ein Beispiel für gelungene Integration. Was hilft dabei bei mehr als die Sprache – und der Dialekt?
Jüngst hat er die Heimatmedaille Baden-Württemberg erhalten: Khalil Khalil ist ein Beispiel für gelungene Integration. Was hilft dabei bei mehr als die Sprache – und der Dialekt?
Stuttgart - Jüngst hat er die Heimatmedaille Baden-Württemberg erhalten: Khalil Khalil ist ein Beispiel für gelungene Integration. Was hilft dabei bei mehr als die Sprache – und der Dialekt?
Herr Khalil, heißen Sie wirklich Khalil Khalil?
Ja, das ist mein Name. Darum passt es gut, dass ich nach einer zweimonatigen Odyssee durch Deutschland, die mich von Passau nach München, Ulm, Karlsruhe, Sinsheim und Donaueschingen führte, in Baden-Baden landete. Danach konnte ich bei Hamburg-Reisen sagen: ‚Moin, Moin von Khalil Khalil aus Baden-Baden’. Aber zunächst mal war das hier in Deutschland ein ganz schönes Kuddelmuddel.
Sie kennen Wörter wie Kuddelmuddel?
Nun, mittlerweile spreche ich a bissle Deutsch, aber dass meine Kenntnisse schon völlig ausgegoren ist, kann man nicht mit Fug und Recht behaupten. Aber tatsächlich mag ich solche Wörter, ich versuche sie sogar zu retten. Wörter wie famos, fulminant, pittoresk, erquicken, töricht, Mumpitz, huldigen. Ich könnte vielleicht einmal ein Wörterbuch der vom Aussterben bedrohten Wörter schreiben. Mir geht es um die Feinheiten der Sprache. Nehmen wir etwa die Verben flanieren, schlendern, bummeln, torkeln, promenieren, tigern, spazieren gehen – das sind Synonyme, aber doch gibt es feine Bedeutungsunterschiede.
Wow, ich bin verblüfft – wie reagieren andere Mitmenschen auf Ihre Wortwahl?
Mittlerweile sind meine Freunde daran gewöhnt. Auch daran, dass ich sie korrigiere, besonders beim Genitiv und beim Konjunktiv. Ich finde es schade, wenn jemand sagt: ‚Das ist der Anja ihre Tochter’ statt ‚Anjas Tochter’. Oder ‚wegen dem Wetter’ statt ‚wegen des Wetters’ – das halte ich für Larifari.
Und was sagen die dazu, wenn ausgerechnet Sie sie korrigieren?
Manche nehmen es sportlich, aber manchen fällt das eher schwer.
Sie haben innerhalb von fünf Monaten Deutsch gelernt. Inzwischen beherrschen Sie auch noch Dialekte. Was hat Sie dazu gebracht?
Ich flanierte einmal durch Baden-Baden, als eine ältere Dame mir über den Weg lief und mich fragte: ‚Hey Junge, kansch mol des Fahrrad hebe?’ Ich ging zu ihr und habe das Fahrrad hochgehoben. Sie guckte etwas dumm aus der Wäsche, lachte sich kaputt und sagte: ‚Net lupfe, sondern hebe!’ Das heißt im Badischen – und übrigens auch im Schwäbischen – ‚festhalten’. Da sagte ich mir: Jetzt reicht es. Ich muss Badisch lernen.
Was hat sich dadurch für Sie geändert?
Wenn jemand aus der Fremde beginnt, Dialekte zu sprechen, vermittelt ihm das ein gewisses Gefühl der Zugehörigkeit. Er unterscheidet sich nicht mehr mit jedem gesprochenen Wort von den hier schon lange Ansässigen. Dadurch kommt er schneller in Kontakt zu den Einheimischen: Die Überraschung der anderen, von ihm im Dialekt angesprochen zu werden, ergibt zwangsläufig Kommunikation. Und Kommunikation ist ein wichtiger Schritt zur Integration, sie ist des Pudels Kern.
Sie machen eine Ausbildung zum Mediengestalter beim SWR in Stuttgart. Warum nutzen Sie Ihr Sprachtalent nicht für Ihren Beruf?
Ich wollte tatsächlich etwas mit Moderation oder Redaktion machen. Ich bin gern eine Rampensau und würde gern vor der Kamera stehen. Aber da meine Sprache noch nicht ganz ausgereift war, habe ich mich für den technischen Bereich entschieden. Mal schauen, ob ich darüber meinen Traum verwirklichen kann. Eventuell könnte bei der Landesschau BW auf Facebook und bei SWR-Heimat auf Instagram eine Serie erscheinen, in der ich Badisch und Schwäbisch für Anfänger erkläre. Wir haben bereits eine Folge gedreht.
Ähnliche Videos haben Sie bereits bei Youtube eingestellt. Wer schaut sich diese Videos an?
Ich würde mal behaupten, dass sogar eingefleischte Badener oder Schwaben sich die Videos anschauen. Die wissen natürlich, wie man das Wort nutzt und ausspricht, aber die akademische Erklärung fehlt ihnen. Nehmen wir das Wort Muggeseggele. Das ist die scherzhaft gebrauchte kleinste schwäbische Einheit für Zeit, Volumen, Länge und Gewicht. Und es bezieht sich auf das Geschlechtsorgan der Stubenfliege. Aber viele können das nicht erklären.
Badisch oder Schwäbisch: was sind die größten Unterschiede?
Die Unterscheidung, es gebe schöne und schlimme Dialekte, halte ich für Kokolores. Das ist wie mit unterschiedlichem Essen. Es mundet, oder es mundet nicht. Die Wahrnehmung ist immer, je nach Herkunft, subjektiv. Zudem gibt es viele Gemeinsamkeiten.
Das würden die Schwaben und Badener vehement abstreiten . . .
Ich finde das schade, dass immer dieser historische Kampf aufkommt. Etwa das Wort Käpsele: Das gibt es sowohl im Schwäbischen als auch im Badischen. Wir müssen uns auf Gemeinsamkeiten fokussieren, nicht auf Unterschiede. Wenngleich es die natürlich gibt: Im Badischen sagt man ‚Alla guud’, um sich zu verabschieden. Aber alla ohne ‚h’, das ist wichtig für die Muslime. Die wortkargen Schwaben sagen zum Abschied ‚Ade’.
Apropos: Als Sie Abschied nahmen von Syrien, wie sah Ihre persönliche Situation damals aus?
Ich habe Jura studiert und wollte promovieren. Wegen des Krieges hat das nicht geklappt. Ich war schon immer eine Person, die gegen den Strom geschwommen ist. Deshalb habe ich die Entscheidung getroffen, als Nichtschwimmer in einem Schlauchboot nach Europa überzusetzen.
Wie konnten Sie sich den Humor bewahren?
Humor war und ist immer eine meiner Eigenschaften. Mit Humor kann ich vieles verarbeiten. Die Deutschen könnten meiner Meinung nach übrigens durchaus etwas mehr davon vertragen.
Tatsächlich?
Nun, ich habe mich bemüht, den Humor der Deutschen zu verstehen. Ich habe mir Otto Waalkes und Heinz Erhardt und Ostfriesenwitze angeschaut und angehört. Es gibt Dinge, die hier ganz anders sind. Zum Beispiel gibt es in jedem Land verschiedene Zahlungsarten. Etwa bar, mit EC- oder Kreditkarte. In Deutschland kommt noch eine dazu: getrennt, bitte. Am Anfang habe ich einen Kulturschock erlebt, etwa bei Themen wie Mülltrennung, Hunden und Spargel.
Wieso bei Hunden und beim Spargel?
Bei uns schlafen Hunde nicht mit im Bett. Ich habe nichts dagegen, aber es war für mich neu. Es bedarf da tatsächlich eines Paradigmenwechsels – auch so ein schönes Wort. Spargel ist ein typisches deutsches Saisongemüse. Das gibt es in Syrien nicht. Und es mundet mir fabelhaft.
Sie können es nicht lassen, Ihnen macht das Spaß, mit Sprache zu jonglieren, oder?
Ja, ich kann mich da nicht zügeln. Ich sage es am besten mit dem Philosophen Ludwig Wittgenstein: ‚Die Grenzen meiner Welt bedeuten die Grenzen meiner Sprache’.