Gesprächsformat in Böblingen Mit Offenheit gegen fundamentalistische Narrative

Jana Highholder auf diesem Aidlinger Pfingstjugendtreffen: Sie ist das Gesicht der evangelikalen „Christfluencerinnen“. Foto: Eibner-Pressefoto

In Böblingen diskutieren Podcaster von „Hossa-Talk“ sowie Pfarrer und Sektenexperte Fabian Maysenhölder über strittige Bibelstellen und die Macht christlicher Influencer.

Böblingen: Martin Dudenhöffer (dud)

Wie umgehen mit problematischen Bibelstellen? Was setzt man evangelikalen Influencerinnen und Influencern entgegen, die auf Social Media ihre teils strittige Sicht auf Glaube und Gesellschaft kundtun? Und wozu braucht man überhaupt noch Kirche? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich zuletzt bei einer Live-Podcast-Show die Hoster von „Hossa Talk“, Jay Friedrichs und Gofi Müller, zusammen mit dem Böblinger Pfarrer und Sektenkenner Fabian Maysenhölder.

 
Fabian Maysenhölder betreibt auch den Sekten-Podcast „secta“. Foto: Sandy Dinkelacker/Eibner Pressefoto

Mithilfe von QR-Codes konnten die Zuschauer Fragen stellen und so Einfluss auf die Debatte nehmen. Gerade deshalb kamen wohl auch Inhalte auf den Tisch, die nicht in jeder Kirchengemeinde gerne gesehen würden, ist sich Fabian Maysenhölder sicher: „Es sollte keine Denkverbote geben. Das sollte uns jenen christlichen Kreisen unterschieden, in denen ein starkes Schwarz-Weiß-Denken vorherrscht.“

Ob es um kontroverse Bibelzitate („Das Weib schweige in der Gemeinde“) ging oder die Inhalte von reichweitenstarken evangelikalen Influencern wie Jana Highholder, die dieses Jahr beim Aidlinger Pfingstjugendtreffen auftrat – immer wieder führt es zu der Frage zurück: Wie wörtlich sollte man die Bibel auslegen?

Bibel wurde je nach Epoche immer wieder anders gelesen

Fabian Maysenhölder erläutert: „Die Bibel ist in der Interpretation immer je nach Epoche anders gelesen worden. Ihre Wahrheiten sollten deshalb an die Zeit, in der man lebt, angepasst werden.“ Beim Live-Podcast in Böblingen war der Tenor daher: „Die Bibel ist kein fertiges Regelbuch, sondern ein vielstimmiger Diskursraum – manchmal sperrig, aber gerade darin wertvoll.“

Gerade im letzten Punkt scheint es große Diskrepanzen zwischen Vertretern der Evangelischen Landeskirche auf der einen und einigen evangelikalen Akteuren wie der freikirchlich geprägten Highholder auf der anderen Seite zu geben.

Während die 27-Jährige die Kirche wegen ihrer zunehmenden gesellschaftlichen Toleranz dem Verfall geweiht sieht, befürwortet der Böblinger Pfarrer Fabian Maysenhölder die Perspektive der evangelischen Kirche auf progressive gesellschaftliche Entwicklungen – und zwar aus einem einfachen Grund, wie Maysenhölder erklärt: „Es gibt nur eine Leitlinie und das ist die christliche Nächstenliebe. Die gilt für alle Menschen, egal welche Herkunft oder sexuelle Orientierung. Das ist für mich auch keine Beliebigkeit, sondern das Folgen einer klaren Haltung, die Menschen gegenüber offen eingestellt ist.“

In den USA ist durch die enge Verzahnung zwischen dem Trump-Lager und evangelikaler Kreise keine Trennlinie zwischen Politik und Glaube mehr sichtbar. Auch in Deutschland verschwimmt diese, wenn man sieht, wie stark die Vernetzung zwischen evangelikaler und politisch neurechter Gruppen mittlerweile ist. Das beobachtet auch Fabian Maysenhölder: „Wenn man sieht, welche Werte Influencer wie ‚der Ketzer der Neuzeit’ vertreten, sind die parteipolitischen Sympathien deutlich.“

Dabei gehe es weniger um vermeintlich christliche oder speziell Jesus zuzuschreibende Werte, sondern um deren ethische Grundsätze wie das Frauenbild, Sexualmoral oder geschlechtliche Identifikation. „Über eines der größten Streitthemen dieser Leute, die Homosexualität, ist von Jesus nichts überliefert. Die Annahme, dass Jesus etwas gegen bestimmte soziale Gruppen hätte, ist durch nichts in der Bibel belegbar“, sagt Maysenhölder.

Kirche soll sich einmischen und ihre Stimme erheben

Dass Kirche unpolitisch sein sollte, daran glaubt Maysenhölder dennoch nicht: „Wenn ich Werte vertrete, dann reichen die immer auch in das Gesellschaftliche und Politische hinein. Deshalb ist das untrennbar.“ In der Praxis bedeute das, auch in umstrittenen Debatten wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt Stellung zu beziehen. Trotz der Komplexität des jahrzehntealten Konflikts sieht der Pfarrer auch hier einen Weg. „Wir hatten das beim Live-Talk auch angesprochen: Wenn man Empathie als unteilbar ansieht, kann man sich beiden Gruppen gegenüber empathisch zeigen“, ist der Böblinger überzeugt.

Der Pfarrer der Christusgemeinde hat sich auf die Fahne geschrieben, den wirkmächtigen Christfluencern aus Social Media etwas entgegenzusetzen, das einerseits Diskussionen und Debatten zulässt, andererseits auch christliche Leitlinien deutlich macht. „Es ist richtig, dass die Welt komplexer geworden ist und die Menschen gerade in Social Media gut erreicht werden können. Das birgt aber Gefahren der Radikalisierung und der Fundamentalisierung. Einfache Antworten helfen nicht weiter. Niemand kann Heilversprechen geben“, betont der Böblinger Pfarrer.

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