Hochwertige und teure Medizintechnik aus Deutschland ist bei Dieben heiß begehrt. Vor allem Endoskopie-Geräte verschwinden in Massen aus den Kliniken. Der Schaden ist immens und die Fahndung nach den international agierenden Tätern verläuft häufig im Sande.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Alles geht schnell, unauffällig und professionell. Die Täter dringen in der Nacht oder am Wochenende ein, wenn es in den Krankenhäuser ruhig ist und stehlen teure Medizintechnik. Tatort sind Kliniken in ganz Deutschland. Die Langfinger wissen, wo und was sie suchen müssen. Vor allem auf hochwertige Medizingeräte Made in Germany haben sie abgesehen.

 

Die Hightech-Produkte lassen sich problemlos in Rucksäcken, Reisetaschen iund Koffern verstauen, wie das Bundeskriminalamt (BKA) ermittelt hat. Besonders beliebt sind laut Landeskriminalamt Schleswig-Holstein Gastroskope, Koloskope, Ultraschallköpfe und Radialscanner – und vor allem Endoskope. Neu kosten diese Geräte für die Spiegelung von Darm, Speiseröhren oder Magen zwischen 10 000 und 160 000 Euro.

„Es wird praktisch auf Bestellung gestohlen“

Die Klinik-Einbrüche lohnen sich wie Beispiele zeigen: 2016 wurden bei einem Coup in der Dill-Klinik im hessischen Dillenburg 18 medizinische Geräte im Wert von 370 000 Euro gestohlen. 2017 erbeuteten Diebe im Malteser Krankenhaus St. Carolus im sächsischen Görlitz ein Ultraschallgerät, Monitore und Untersuchungstürme im Wert von rund 400 000 Euro. Im selben Jahr wurden im Universitätsklinikum Magdeburg neun Bronchoskopen entwendet – Preis: eine halbe Million Euro.

„Es wird praktisch auf Bestellung gestohlen“, erklärt der Sprecher der Polizeidirektion Lahn-Dill, Guido Rehr. „Wir gehen davon aus, dass organisierte Banden gezielt Kliniken und Arztpraxen aufsuchen und nach Vorbestellung die medizinischen Geräte mitnehmen.“

Endoskopie-Geräte sind besonders beliebt

Von Anfang 2014 bis Ende 2017 sind der Schadensabteilung beim Krankenhaus-Versicherungsdienst Ecclesia in Detmold (Nordrhein-Westfalen) 66 Diebstähle von Endoskopie-Geräten gemeldet worden. Deren Köpfe können leicht auf Produkte anderer Hersteller montiert werden. Auch das könnte ihre Beliebtheit als Beute erklären.

Den bislang angerichteten Schaden schätzt das BKA auf mehr als 25 Millionen Euro. Allein beim Versicherungsmakler Ecclesia, der nach eigenen Angaben 70 der der konfessionellen Kliniken und 60 Prozent aller Akutkrankenhäuser bundesweit betreut, wurden von 2009 bis 2018 Schäden in Höhe von 22,8 Millionen Euro infolge von Diebstählen und Einbrüchen gemeldet. Dabei ist für einen Großteil der Gesamtsumme die Welle von Endoskopie-Diebstählen in den Jahren 2015 bis 2017 verantwortlich.

Seit die Polizei hier Fahndungserfolge hatte, seien Schadensfälle und -summe zurückgegangen, heißt es weiter seitens Ecclesia. Im vergangenen Jahr seien 254 Schäden in Höhe von rund 492 000 Euro registriert worden – nach 2017 rund 3,7 Millionen Euro. Der Schwerpunkt der Taten liegt in Nordrhein-Westfalen.

Zwar haben Medizingeräte eine Registriernummer, mit deren Hilfe man Hersteller und Käufer schnell feststellen kann. Dennoch ist es für die Ermittler der Kriminalämter des Bundes (BKA) und der Länder (LKA) überaus schwierig, den Weg der Diebe und ihrer Beute nachzuverfolgen, geschweige denn die Täter dingfest zu machen.

Organisierte, umherreisende Banden

Nach dem bisherigenm Kenntnisstand des BKA in Wiesbaden sind es in der Regel organisierte, umherreisende Banden, welche die Medizintechnik in Osteuropa, Südamerika und arabischen Ländern absetzen. Nach Angaben von Ecclesia sind mindestens elf europäische Länder von den Straftaten betroffen. „Wie unsere Datenauswertung zeigt, gibt es kaum noch regionale Grenzen.“

Was weiß man über die Täter? Dem Versicherer Ecclesia zufolge handelt es sich „ganz offensichtlich um Auftragsdelikte aus Südamerika“. Aber auch osteuropäische Diebesbanden seien am Werk, die gezielt im Auftrag von „Kunden“ aus Osteuropa oder dem arabischen Raum handeln, ergänzt eine Sprecherin der Krankenhausgesellschaft NRW.

Dem BKA zufolge sind die Auftraggeber über das Angebot bestens informiert, da die Diebe als Touristen getarnt einreisen, um gezielt Krankenhäuser auszuspionieren und zu beklauen. Zu den aus mehreren Tätern bestehenden, arbeitsteilig agierenden Gruppen gehören auch teils schwangere Frauen.

Einige kundschaften im Vorfeld die Örtlichkeit und Zeitabläufe in den Kliniken aus. Die Zugangstüren zu den Aufbewahrungsräumen würden „für den späteren Zutritt zum Beispiel mit Klebestreifen“ manipuliert, aufgebrochen oder aufgebohrt, heißt es beim BKA. Danach würden die Täter unerkannt über die Flucht- und Rettungswege oder über den Haupteingang des Krankenhauses entkommen.

Täter werden selten gefasst

Nur selten werden die Täter gefasst – wie 2016 in Frankfurt/Main. Dort ging der Polizei ein Trio aus Kolumbien ins Netz, das in zwei Kliniken der Mainmetropole Endoskope im Wert von 90 000 Euro gestohlen hatte. Die Ermittlungen ergaben, dass Betreiber von „Hinterhofkliniken“ in dem südamerikanischen Land die Auftraggeber waren.

Im März 2018 erhob die Staatsanwaltschaft Trier Anklage gegen zwei Kolumbianer, die in Rheinland-Pfalz Medizingeräte geraubt und in Südamerika verkauft hatten.

Krankenhäuser rüsten auf

Das Problem des organisierten Diebstahls von Medizintechnik ist seit 2014 bekannt. Angesichts der vielen Patienten – allein in NRW sind es rund 4,6 Millionen pro Jahr – und noch mehr Klinikbesucher sei es aber schwierig den Überblick zu behalten, erklärt Lothar Kratz, Sprecher der Krankenhausgesellschaft NRW. Die Krankenhausgesellschaften hätten deshalb Kliniken und Ärzte „in mehreren Rundschreiben in den vergangenen Jahren über Diebstahlsschutz mit Informationen des Versicherers informiert“.

Um sich besser zu schützen, haben viele Kliniken inzwischen aufgerüstet und Videokameras sowie Einbruchmeldeanlagen und Bewegungsmelder installiert. Die Uniklinik Tübingen reagierte auf das Bandenunwesen mit der Anstellung eines Sicherheitsdienstes, wie die Kaufmännische Direktorin Gabriele Sonntag schildert. Tübingen sei verschont geblieben und die Diebe inzwischen gefasst.

Bestohlene Patienten

Ob Geldbörsen, Handys oder private Dokumente – in deutschen Krankenhäusern wird gestohlen, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Diebe nutzen die Anonymität der ausgedehnten Gebäude aus – und die Wehrlosigkeit von Patienten. Die Kliniken haben begrenzte Möglichkeiten, dem Einhalt zu gebieten: Sie müssen den Spagat üben zwischen Offenheit für die Besucher und die Sicherheit ihrer Patienten.

„Krankenhäuser sind große Komplexe mit unkontrolliertem Zugang“, sagt der Sprecher des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, Frank Scheulen. Für Diebe sei es einfach, auf die Stationen zu kommen, Schubläden und Schränke in leeren Zimmern zu durchwühlen. Deshalb sollten Patienten unbedingt Schließfächer nutzen.

Tatort Krankenhaus – auch in Stuttgart

In Baden-Württemberg betrug die Schadenssumme 2017 rund 2,75 Millionen Euro (2013: 1,8 Millionen Euro). Nach Angaben der Stuttgarter Polizei wurden in der Landeshauptstadt 2017 insgesamt 282 Diebstähle in Kliniken und Arztpraxen gemeldet (2016: 383).

Im Klinikum Stuttgart kam es in „der Vergangenheit immer wieder zu kleineren Diebstahlmeldungen“. 2018 seien 30 Fälle gemeldet worden, ein Drittel davon betraf die Mitarbeiter des Klinikums und Klinikeigentum, teilte ein Sprecher des Krankenhauses mit. In 20 Fällen wurden Diebstähle von Patienten gemeldet.