Politiker blasen zur Jagd auf die privaten Krankenversicherungen. Bürden die Privaten ihre Probleme der Solidargemeinschaft auf?

Stuttgart - Der Ton wird schärfer, und er will nicht passen zur seriösen Gesundheitsbranche. „Üble Entgleisungen“, „dreiste Spekulation“ und ein „Schlechtreden“ seiner Branche wirft der Direktor des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV), Volker Leienbach, seinem Kollegen Jürgen Graalmann vom AOK-Bundesverband vor. Der Anlass war eine von der AOK bei McKinsey in Auftrag gegebene Studie. Sie fand heraus, dass die Privatkassen nicht genügend für die Zukunft gerüstet seien. Ihnen fehlten jedes Jahr 24 Milliarden Euro. Denn sie hätten die steigende Lebenserwartung, den medizinischen Fortschritt und die niedrigen Zinsen auf dem Kapitalmarkt – wo die Privaten ihre Rückstellungen parken – nicht genügend berücksichtigt. Um dies aufzufangen müsse die Prämie für jeden der neun Millionen Privatversicherten im Jahr um 2700 Euro ansteigen.

 

Bei den Privatkassen verbittet man sich die Einmischung, spricht von einem „völlig benebelten Orakel“ der AOK und rechnet mit spitzer Feder zurück: Würde man die Entwicklung der letzten 40 Jahre hochrechnen, würde der AOK-Höchstbeitrag im Jahr 2052 bei 67 000 Euro liegen. Im Übrigen hätten die Privaten 150 Milliarden Euro kapitalgedeckte Vorsorge, und sie seien „nachhaltig und generationengerecht“ finanziert. Die verbalen Scharmützel sind ein Beleg für die Nervosität in der Branche. Bei den Privatkassen spricht man seit Anfang 2011 von einer „deutlichen Stimmungsmache gegen uns“. In den Medien nehmen die Schilderungen von in Not geratenen Privatpatienten, die mit einer 50-prozentigen Beitragserhöhung konfrontiert sind, zu. Selbst das wirtschaftsfreundliche „Handelsblatt“ brachte eine zehnseitige Story über den „Aufstieg und Fall der PKV“.

Selbst in der CDU wächst die Kritik an den Privatkassen

Wenn sich am Dienstag 250 Delegierte beim Ärztetag in Nürnberg einfinden, dann geht es um die Zukunft des seit 1949 historisch gewachsenen dualen Gesundheitswesens in Deutschland – ein weltweit einzigartiges System. Unter den Rednern wird der Mann mit der Fliege sein – der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, der für die Bürgerversicherung eintritt und keinen Sinn sieht in „zwei getrennten Krankenversicherungsmärkten, die nach unterschiedlichen Regeln funktionieren“. Aber es wird auch Jens Spahn auftreten, der Gesundheitsexperte der CDU, die lange als Lobbygruppe der Privatkassen galt, aber vorsichtig auf Distanz geht. Spahn sprach in der „Welt“ von „teilweise existenziellen Problemen“ der privaten Krankenkassen. Stetig steigende Kosten führten zu stetig steigenden Beiträgen. Dass die privaten Versicherer „fast jede Rechnung bezahlen müssten“, nutze ein Teil „der Ärzte und Kliniken, aber auch der Versicherten aus“. Spahn sieht die Notwendigkeit, als Gesetzgeber einzugreifen: Schon jetzt profitierten die Privaten von den gesetzlichen Arzneirabatten, und die Politik habe Wucher in Privatkliniken unterbinden müssen. Auch kommt von den Privaten der Wunsch, mit Ärzten und Zahnärzten direkt über Preise und Rabatte verhandeln zu dürfen, bis jetzt sind sie reine „Kostenerstatter“. Auch bei dem Thema wäre der Gesetzgeber gefragt.

Selbst in der PKV wächst die Sorge um die eigene Zukunft. Beklagt werden Missstände in Einzelfällen. Sie betreffen beispielsweise hohe Provisionszahlungen bis zu 18 Monatsbeiträgen an Vertreter. Allein 2010 sind 2,6 Milliarden Euro an Provisionen gezahlt worden. Es sei „nicht alles richtig gemacht worden“, sagt Uwe Laue, der Chef des Marktführers Debeka. „Die Exzesse bei den Provisionen für Vermittler sind ein Beispiel.“ Ein anderes Beispiel sind die „Dumpingtarife“, mit denen junge Leute gelockt werden, die dann plötzlich und stark angehoben werden. Der Versicherer Central hat eine Billigpolice wieder vom Markt genommen, die DKV will dies noch tun.

Ungewisse Zukunft

So alt wie das duale Gesundheitssystem ist der Streit zwischen GKV und PKV. Mit Unverständnis wird im GKV-Lager registriert, dass sich ausgerechnet in wohlhabenden Regionen wie dem Starnberger See die größte Fachärztedichte befindet, weil sich dort die Privatklientel dränge, nicht aber, weil dort der größte Bedarf besteht. Eine faire Gesundheitsversorgung sieht anders aus. Oder es wird festgestellt, dass ein hochqualifizierter Chirurg lieber eine einfache Leisten-OP bei einem Privatpatienten durchführt, als bei einem gesetzlich Versicherten eine komplizierte OP vorzunehmen, die nur er machen könne. Die Privaten versicherten Junge, Besserverdienende und Beamte, heißt es im GKV-Lager. Man selbst müsse Hartz-4-Empfänger und mittellose Rentner aufnehmen, trage die ganze Last.

„Man sollte die gesetzlichen Krankenkassen auf eine breitere Basis stellen“, sagt beispielsweise Harald Müller, Landesgeschäftsführer der Barmer GEK in Stuttgart. Möglich wäre es, dass die PKV sich auf die Beamten und Zusatzleistungen konzentriere. AOK-Bundeschef Graalmann ist es egal, wie sich die Privaten aufstellen: „Auf keinen Fall werden wir zulassen, das die Probleme der Privaten am Ende der Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten aufgebürdet werden.“ Die Sorge besteht, dass mittellose Privatpatienten im Alter reumütig zur GKV zurückwollen.