Eigentlich sind die Zusammenhänge klar: Salz erhöht den Blutdruck und damit erhöht sich das Risiko für einen Herzinfarkt. Doch diese Wirkung lässt sich in Studien nicht so leicht nachweisen. Nun gibt es neue Nahrung für den Streit unter Experten.

Stuttgart - Der Verführung Salz können selbst Schimpansen kaum widerstehen. Werden ihnen eine Zeit lang salzige Kekse serviert, sind die gesunden Bananen schnell vergessen. Fade Kost bleibt fortan in der Käfigecke liegen, selbst wenn die Tiere hungern müssen. Nur mühevoll gelinge es später, so berichteten Forscher, sie wieder an die alte Nahrung zu gewöhnen. Ihrer Gesundheit tun die Tiere damit keinen Gefallen. Bei vielen Schimpansen schieße der Blutdruck unter der salzreichen Kost nach oben, berichtet der Nieren- und Blutdruckexperte Ulrich Wenzel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.

 

Gilt das auch für den Menschen? Darüber tobt in der Wissenschaft seit fast 50 Jahren eine der „längsten, giftigsten und surrealsten Auseinandersetzungen der Medizin“, wie es das Wissenschaftsmagazin „Science“ beschrieben hat. Auf der einen Seite empfehlen viele Mediziner und nationale Gesundheitsbehörden den westlichen Wohlstandsbürgern, ihren viel zu hohen Salzkonsum endlich herunterzuschrauben und so ihr Bluthochdruck-, Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko deutlich zu senken. Diesem Rat fehle die wissenschaftliche Grundlage, halten andere Experten entgegen.

Auf der Fachtagung der gemeinnützigen American Heart Association in New Orleans hat nun Dariush Mozaffarian von der Harvard-Universität den Salzgegnern neue Munition geliefert. Weltweit fallen jedes Jahr 2,3 Millionen Herzkranke ihrem zu hohen Salzkonsum zum Opfer, hat er errechnet. In Kasachstan, Mauritius und Usbekistan würde mit 14 bis 15 Gramm Salz pro Tag besonders hemmungslos zugeschlagen. In Kenia, Malawi und Ruanda lebe man zumindest in dieser Hinsicht bei einem täglichen Salzkonsum von etwa vier Gramm viel gesünder. Die Tagesration des Durchschnittsdeutschen beträgt laut Experten neun bis zwölf Gramm.

Die Finnen haben ihren Salzkonsum wieder gesenkt

Auch Martin Midekke vom Hypertoniezentrum München hat keine Zweifel: Spätestens seit der sogenannten Intersalt-Studie stehe die ungesunde Wirkung von Salz völlig außer Frage, sagt er. Mitte der 80er Jahre hatten Wissenschaftler in 32 Staaten weltweit den Zusammenhang zwischen Salzaufnahme und Gesundheit bei 10.079 Männern und Frauen untersucht. Japaner aus dem Norden der Inselgruppe, so fanden sie heraus, hatten nicht nur die höchste Salzaufnahme – 20 bis 30 Gramm pro Tag –, sondern auch die höchste Schlaganfallrate. Bei den Yanomami-Indianern im Amazonas-Urwald dagegen, die weniger als ein Gramm Salz pro Tag zu sich nehmen, waren Herzinfarkte und Schlaganfälle fast unbekannt. „Das bei uns geltende Naturgesetz, dass der Blutdruck mit dem Alter ansteigt, scheint bei ihnen außer Kraft gesetzt“, sagt Helmut Gohlke, Präventionsexperte der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Auch sonst zeichnet sich für ihn ein klares Muster in der Studie ab: Je weniger Salz eine Gesellschaft zu sich nimmt, desto niedriger ihre Blutdruckwerte und die Zahl der Opfer von Herz-Kreislauf-Krankheiten.

Das die Rangliste der Länder nicht in Stein gemeißelt ist, zeigt das Beispiel Finnland. Mit einer massiven Aufklärungskampagne und Lebensmittel-Warnaufklebern gelang es dort, die durchschnittliche Salzaufnahme von 14 auf 9 Gramm pro Tag zu senken und den durchschnittlichen Blutdruck (minus zehn Millimeter Quecksilbersäule), das Cholesterin im Blut sowie das Todesrisiko durch Schlaganfall und Infarkt (minus 70 bis 80 Prozent) gleich mit.

Weil für die Frühmenschen in der afrikanischen Steppe Salz noch ein überlebenswichtiges Gut gewesen sei, erklärt der Mediziner Martin Midekke, habe die Evolution eine besonders salzhungrige Spezies Homo sapiens gezüchtet. Den herzhaften Versuchungen der modernen Wohlstandsgesellschaft kann er kaum widerstehen. Schon von Kindestagen an wird er an die Überdosis gewöhnt. Fast 75 Prozent aller Fertignahrungsmitteln für Säuglinge und Kleinkinder in den USA enthalten zu viel Natrium, wurde jetzt ebenfalls in New Orleans berichtet. In einer einzigen Fertigmahlzeit für Kleinkinder spürte die Wissenschaftlerin Joyce Maalouf 40 Prozent der für die Altersgruppe empfohlenen Tagesmenge auf. Einmal auf den Geschmack gekommen, fällt es dem Menschen wie den Affen schwer, auf fadere Kost umzustellen.

Ein großer Teil unserer Ration steckt in Brot, Wurst und Käse

Da sich 75 Prozent unser Salzration in Brot, Wurst und anderen vorproduzierten Produkten verstecken, bemerken wir unser Laster ohnehin kaum. Die Folge: weil die Niere die Salzkonzentration in den Gefäßen konstant hält, steigt mit dem Salz im Blut auch die Flüssigkeitsmenge. Gleichzeitig macht das Mineral die Blutgefäße steifer, unflexibler und empfindlicher für manche Hormone. All das treibt den Blutdruck nach oben. Der wiederum macht ab einer bestimmten Grenze Schlaganfälle und Herzinfarkte wahrscheinlicher.

Erstaunlich ist nur, dass sich dieser so medizinisch plausible Zusammenhang nicht in allen Untersuchungen bestätigen lässt. Selbst bei der Intersalt-Studie passten viele Staaten nicht ins Muster. 2011 urteilte die Cochrane Collaboration, gewissermaßen die Zentralbibliothek allen gesicherten medizinischen Wissens, sie halte den Zusammenhang zwischen weniger Salz in der Nahrung und weniger Todesfällen in der Bevölkerung noch nicht für gesichert. Die offiziellen deutschen Therapieprüfer vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Iqwig) gestanden der Salzrestriktion immerhin eine durchschnittliche systolische Blutdruckverringerung von 3,6 bis 8 Millimeter Quecksilbersäule zu. Aber ist das viel?

„Bisherige Studien zeigen einen eindeutigen Trend“, lautet das Fazit von Cornelia Weikert vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam. „Durch weniger Salz im Essen könnte sich mit der Senkung des Blutdrucks auch das Schlaganfall- und Infarktrisiko senken lassen.“ Ein klarer Beweis stehe allerdings noch aus, da sich eine entsprechende Studie, bei der viele Menschen jahrelang auf Salzentzug gehen müssten, nur schwer durchführen lasse. Mehr als fünf Gramm Salz pro Tag, so ihre Empfehlung, sollte der Mensch idealerweise nicht zu sich nehmen. Ulrich Wenzel von der Uniklinik Hamburg geht mit gutem Beispiel voran. Unter acht Gramm, berichtet der Mediziner, sei er nicht gekommen. Und selbst über diesen Verzicht musste er sich mit mehr Senf und Sojasoße hinwegtrösten. Aber es gibt noch Hoffnung: Den eigenen Kindern könne er noch salzlose Pommes mit Steak servieren. „Die essen das noch in einem weg“, sagt er.

Tipps, um Salz zu vermeiden

Alternativen
Selbst kochen statt Fertiggerichte, rät Ernährungsmedizinerin Cornelia Weikert, sei beim Salzsparen die halbe Miete. Allein damit käme man schon gut zurecht. Es gibt allerdings noch andere weniger schmackhafte Maßnahmen: Auch der Verzicht auf Käse (bis zu zwei Gramm Salz pro 100 Gramm Käse), Wurst (2,5 Gramm) und Brot 0,9 Gramm pro Scheibe lohnt sich. Tricks wie die Umstellung von Speise- auf Meeressalz sind dagegen sinnlos, „der Gehalt an Natriumchlorid ist der gleiche“, so die Expertin.

Umstellung
Den eigenen Salzkonsum sollte man nicht zu schnell herunterfahren, denn das kann der Gesundheit schaden. Ein bisschen Salz, ein halbes Gramm pro Tag, gilt zudem als überlebenswichtig. Nicht jeder Mensch reagiert gleich stark auf den Verzicht: Nur bei jedem dritten bis zweiten Bluthochdruckpatienten führt er zu einer Senkung der Werte. Bei Gesunden ist die Quote noch deutlich niedriger – auch das Erbe spielt eine Rolle, wie salzsensibel man ist.