In normalen Untersuchungen scheinen sie gesund zu sein, doch Forscher aus Stuttgart und Jena haben Anzeichen für Krankheiten gefunden: Übergewichtige Kinder haben oft Probleme mit Blutzucker, Blutfett und Cholesterin. Die Forscher fordern zusätzliche Tests.

Stuttgart - Hänseleien sind sie gewohnt, und dass sie im Sport oftmals keine besonders gute Figur machen, ebenfalls. Dicksein nagt aber nicht nur am Selbstbewusstsein von Kindern, es kann auch krank machen. Lange gingen Forscher davon aus, dass sich das Leiden in jungen Jahren viel mehr auf der psychischen und weniger auf der körperlich messbaren Ebene bemerkbar macht.

 

Eine neue Studie der Universitäten Jena und Hohenheim zeigt nun jedoch: bereits drei Viertel aller übergewichtigen Kinder im Alter zwischen fünf und acht Jahren zeigen Symptome von gewichtsbedingten Stoffwechselstörungen – obwohl Mediziner bisher davon ausgingen, dass diese Kinder körperlich gesund sind. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Acta Paediatrica“, und sie könnten in der Fachwelt für Gesprächsstoff sorgen.

Denn trotz der Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt blieben die Erkrankungen meist unentdeckt und würden daher nicht behandelt, warnt die Ernährungswissenschaftlerin Ina Bergheim von der Uni Jena. Für die Studie hat sie mit ihren Kollegen 100 fünf bis acht Jahre alte   Mädchen und Jungen mit Übergewicht sowie 51 normalgewichtige Grundschulkinder untersucht. Neben Größe und Gewicht erfassten die Forscher den Blutdruck und verschiedene Laborparameter der Kinder, darunter Blutzuckerwerte sowie den Cholesterol- und den Triglycerid-Spiegel.

„Das gesunde dicke Kind gibt es praktisch nicht“

Das Ergebnis: bei 73 Prozent der übergewichtigen Kinder stellten sie auffällige Werte beim Blutzucker, Blutfett oder Cholesterin fest. Die Kinder zeigten dabei mindestens in einem Stoffwechselparameter Auffälligkeiten, manche sogar in bis zu fünf. Besonders auffallend ist Bergheim zufolge, dass die Kinder bis dato als gesund gegolten hätten. „Das gesunde dicke Kind gibt es unseren Ergebnissen zufolge also praktisch nicht“, sagt Ina Bergheim.

Damit treten die Folgen des Übergewichts nicht erst im Erwachsenenalter, sondern schon viel früher auf. Bergheim zufolge hätten einige Kinder bereits deutliche Anzeichen von Diabetes gehabt. Doch nicht übermäßiges oder ungesundes Essen trage die Hauptschuld am Dicksein der Kleinen, es liege vielmehr am Bewegungsmangel der Grundschulkinder. So haben die meisten Probanden gemessen an ihrer körperlichen Bewegung nur etwa 150 bis 200 Kilokalorien pro Tag zu viel zu sich genommen. „Das ist gerade mal ein halber Schokoriegel. Aber mit der Zeit baut sich so Übergewicht auf“, sagt die Ernährungsexpertin. Besonders Mädchen mit höherem Body-Mass-Index sind Bergheim zufolge gefährdet, metabolische Auffälligkeiten zu zeigen, da sie mit dem Eintritt in die Grundschulen vermehrt auch in der Freizeit sitzende Tätigkeiten ausüben wie Basteln oder Lesen. „Sobald die Kinder in die Schule kommen, verändert das ihr Bewegungsprofil: Sie sitzen plötzlich sehr lange und bewegen sich weniger als zuvor.“ Das gilt der Expertin zufolge aber nicht nur für übergewichtige Kinder. Wie die Studie zeigt, weist auch jedes siebte normalgewichtige Kind unentdeckte Auffälligkeiten im Stoffwechsel auf, die Einfluss auf spätere Erkrankungen nehmen könnten.

„Eltern sollten auf ausreichend Bewegung achten“

„Während für Jungen das Risiko für Stoffwechselstörungen erst mit starkem Übergewicht deutlich ansteigt, beginnt es für gleichaltrige Mädchen bereits im Grenzbereich von Normal- und Übergewicht“, sagt Bergheim. Die Expertin beklagt, dass es in Deutschland zu wenig Vorsorge für Kinder gebe – obwohl die empfohlenen Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und Säuglinge etabliert sind. „Bei diesen Untersuchungen stehen die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder im Vordergrund. Blutuntersuchungen, wie wir sie durchgeführt haben, werden nicht gemacht.“ In der Folge wird bei den üblichen Routinekontrollen kaum nach Hinweisen auf Stoffwechselerkrankungen gesucht.

Panik unter den Eltern will die Forscherin jedoch vermeiden: Die Daten stammten aus einer kleinen Studie, die verifiziert werden müsse. „Man sollte nicht davon ausgehen, dass ein übergewichtiges Kind immer krank ist. Aber Eltern sollten dann besonders auf eine ausgewogene Ernährung und auf ausreichend Bewegung achten, um zu verhindern, dass das Übergewicht weiter steigt“, sagt Bergheim.

Kinder schauen sich das Bewegungs- und Essverhalten bei den Eltern ab. Diese legen den Grundstein für die späteren Gewichtsprobleme ihrer Kinder oftmals bereits im Säuglingsalter, wenn sie auf jedes Schreien mit dem Geben der Flasche oder mit Stillen reagieren. Auch wenn wohlmeinende Tanten oder Großeltern davon überzeugt sind, dass der knuffige Babyspeck kaum schaden wird, sollten Kinder, die zur Schule kommen, nicht zu viel überflüssiges Körpergewicht mit sich herumschleppen.

Ein Interview zur Frage, wie Eltern auf diese Erkenntnisse reagieren sollten, finden Sie hier.