Immer öfter erleidet das Personal in Krankenhäusern Beleidigungen und sogar tätliche Angriffe. Für Notaufnahmen haben die Kliniken deshalb bereits Sicherheitsdienste eingesetzt.

Stuttgart - Beleidigungen, Knuffe und Schläge gehören für das Personal an Krankenhäusern zum Alltag. „Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein Mitarbeiter in der Psychiatrie, der Intensivstation oder der Notaufnahme von einer Attacke betroffen ist“, sagt Ulrike Fischer, die Pressesprecherin des Klinikums Stuttgart.

 

Rüpelhaftes Verhalten ist nun also auch dort angekommen, wo man eigentlich auf Hilfe setzt. Seit drei Jahren zählt das Klinikum die gemeldeten Übergriffe. Allein sie stiegen von 19 Fällen im Jahr 2013 auf 31 im Jahr 2015. „In diesem Jahr werden es hochgerechnet wohl 40 Fälle sein“, sagt Ulrike Fischer. Die Dunkelziffer sei jedoch wesentlich höher.

Zum Schutz des Personals haben fast alle großen Stuttgarter Kliniken Notknöpfe mit Direktverbindung zur Polizei eingebaut und einen Sicherheitsdienst beauftragt. „Allein die Anwesenheit eines großen und kräftigen Mannes verhindert sehr zuverlässig die Gewaltbereitschaft gegen das oft weibliche Personal“, sagt Fischer.

Verärgerte Patienten

Das Marienhospital im Süden verzeichnet nach Auskunft von Pressesprecher Rainer Kruse „keinen signifikanten Anstieg der Übergriffe in der Notaufnahme“. Aber ähnlich wie am Klinikum lösen oft Betrunkene oder Patienten, die unter Drogeneinfluss stehen, Konfrontationen aus. „Es kommt zu Pöbeleien, Beleidigungen, zu Ausrastern wegen zu langer Wartezeiten“, bestätigt Frank Weberheinz, der Presseprecher des Diakonie-Klinikums Stuttgart. Weberheinz hat Verständnis für den Ärger, den Patienten empfinden, wenn ein anderer Wartender vorgezogen wird: „Ein Laie kann ja nicht beurteilen, wer schneller behandelt werden muss“, sagt er.

Notaufnahmen von Krankenhäusern liegen im Trend: Aus Bequemlichkeit oder aber weil dort das ganze medizinische Repertoire zur Verfügung steht, umgehen mehr und mehr Patienten den Besuch beim Hausarzt (wir berichteten). Das verlängert dort die Wartezeiten. Hinzu kommt, dass „die Anspruchshaltung etlicher Patienten sehr hoch ist“, sagt M. Dominik Alscher, der Geschäftsführende Ärztliche Direktor des Robert-Bosch-Krankenhauses.

Die Klinik analysiert und evaluiert die Gefährdung ihrer Mitarbeiter mit einem Fragebogen, in dem auch nach „Tatort“ und „Tatzeit“ gefragt wird. Die jüngste Erhebung zwischen den Jahren 2015 und 2016 hat 101 Mitarbeiter erfasst und ergeben, dass es innerhalb eines Jahres in Notaufnahme, Chirurgischer Überwachung, Aufnahmestation, Intensivstation, Palliativ- und Bettenstation 15 000 Übergriffe gegeben hatte. Circa 9000 waren verbaler Art, in rund 6000 Fällen ist es zu körperlichen Übergriffen gekommen, vor allem nachts. „Hochgerechnet auf alle Mitarbeiter ist jeder pro Jahr 90 Mal verbal und 60 Mal körperlich attackiert worden“, sagt Alscher. Die Betroffenen hätten in der Mehrzahl Kratzer erlitten, allerdings auch Schläge. „Nicht selten brauchen wird die Polizei.“

Rabiate Fürsorge

Ursache sind nicht nur lange Wartezeiten, sondern öfter auch kulturelle und sprachliche Barrieren. „Diese Patienten fühlen sich gelegentlich schlechter behandelt als Deutsche“, so der Ärztliche Direktor. Wenn eine große Anzahl an Begleitpersonen hinzukomme, sähen diese es als „eine Form der Fürsorge an, eine dringliche Behandlung einzufordern“.

Als Konsequenz aus den steigenden Übergriffszahlen setzt man am Robert-Bosch-Krankenhaus nicht mehr nur allein auf Alarmknöpfe und Wachmänner, sondern zudem auf ein professionelles Deeskalationsmanagement: Das Personal wird in Deeskalation trainiert, und inzwischen seien einige Mitarbeiter der Notaufnahme bereits selbst zum Trainer ausgebildet.

Geht es nach Johannes Nau, ist Deeskalation genau der richtige Weg. Der Diplom-Pflegepädagoge leitet das Evangelische Bildungszentrum für Pflegeberufe in Stuttgart und hat zum Thema Gewalt gegen Personal promoviert. „Kommt ein anderer Patient vorher dran, fühlen sich viele zurückgewiesen und werden aggressiv. In Überforderungssituationen passiert das selbst Wohlerzogenen“, sagt er. In solchen Momenten sei es angesagt, die Leute erzählen zu lassen, „sie wertzuschätzen“. Genau das trainiert er mit seinen Schülern, Deeskalationstraining ist fester Bestandteil des Lehrplans.

Allerdings müssten Institutionen das Ihre tun zum Schutz des Personals: „Das Problem wahrnehmen und den Schutz vor Gewalt zur Chefsache machen.“ Wenn die Beleidigungen zu heftig werden oder in Gewalt ausarten, „dann muss man allerdings ein Stopp-Signal setzen“, sagt Nau.