Durch die Abstands- und Hygieneregeln in der Pandemie konnten sich Influenzaviren vergangenen Winter schwer ausbreiten. Trifft es uns dieses Jahr wieder mehr?

Rems-Murr: Eva Schäfer (esc)

Fellbach - Apotheker Peter Kaiser ist im Vorstand der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und beschäftigt sich auch intensiv mit Impfungen. Wir haben uns mit dem Fellbacher Pharmazeuten unterhalten, warum Experten in dieser Saison zu einem Grippeimpfschutz raten.

 

Herr Kaiser, warum empfiehlt das Robert Koch-Institut die Grippeimpfung besonders in dieser Saison?

Im vergangenen Jahr ist die Grippewelle praktisch ausgefallen. Es gab durch den Lockdown sowie die Abstands- und Hygieneregeln in der Coronapandemie so gut wie keine Erkrankungen. Das hat sich übrigens auf alle Kinderkrankheiten wie beispielsweise Erkrankungen durch RS-Viren mit Symptomen wie Schnupfen, trockenen Husten, Niesen und Halsschmerzen ausgewirkt. Es zeigte sich außerdem, dass Apotheken kaum Hustenmittel oder ähnliches verkauften. Da die Menschen keinen Erregern ausgesetzt waren, können die aktuellen Grippeviren auf ein untrainiertes Immunsystem treffen.

Eine Influenza ist etwas ganz anderes als ein Schnupfen

Warum braucht es eine Grippeimpfung?

Nur 20 bis 30 Prozent der Menschen sind gegen Grippe geimpft. Eine Influenza ist etwas ganz anderes als ein Infekt mit einem normalen Schnupfen. Im Jahr sterben etwa 10 000 bis 20 000 Menschen an den Folgen der Virusgrippe. Außerdem kann eine Grippeimpfung dazu beitragen, dass die Krankenhäuser nicht zusätzlich zu den Coronapatienten auch noch viele Menschen mit schweren Grippeverläufen behandeln müssen.

Experten rechnen mit einer früheren Grippehochsaison

Wann startet die Grippesaison?

Laut den Zahlen des RKI ist der Höhepunkt normalerweise meist Ende Januar, Anfang Februar. Allerdings vermuten Experten in diesem Jahr, dass der Höhepunkt der Grippewelle früher einsetzt. Das macht sich bereits bei den RS-Viren bemerkbar, grippale Infekte zeigen sich bereits jetzt verfrüht. Sogenannte Referenz-Praxen liefern Daten an das zentrale Meldezentrum, da ist beispielsweise vor Kurzem ein Ansteckungsherd in Nordbayern festgestellt worden.

Haben die Ärzte und Apotheken schon Impfstoff – und gibt es dieses Jahr mehr als vergangenes Jahr, als es recht knapp war?

Wir haben ausreichend Grippeimpfstoff zurzeit. Er besteht aus vier verschiedenen Stämmen. Die WHO spricht eine Empfehlung aus, gegen welche vier Virenstämme der saisonale Impfstoff wirken soll. Dieser Totimpfstoff, der auf Hühnerembryos gezüchtet wird, wird jedes Jahr neu zusammengesetzt, das ist aufwendig und braucht Vorlauf. Außerdem gibt es dieses Mal einen Seniorenimpfstoff. In dieser Saison erhalten Menschen, die älter als 60 Jahre sind, erstmals einen sogenannten Hochdosis-4-fach-Influenza-Impfstoff. Dieser löst eine höhere Immunantwort als der Standardimpfstoff aus. Er ist aber auch teurer als der Standardimpfstoff. Ein Privatpatient zahlt für den normalen Impfstoff 23,06 Euro, für den hoch dosierten dagegen 51,50 Euro.

Es braucht 14 Tage, bis die Grippeimpfung wirkt

Hat sich bei der Verteilung des Impfstoffes etwas verbessert?

Wenn Hausärzte und Apotheken beim Impfstoff in Vorleistung gehen, haben sie ein großes Risiko und machen keinen Gewinn. Impfdosen, die nicht verwendet werden, werden weggeworfen und verfallen. Daher haben wir im vergangenen Jahr ein Tauschportal der Apothekerkammer eingerichtet, in dem Apotheken mit zu viel Impfstoff denen mit einem Mangel helfen konnten.

Wann ist der beste Zeitpunkt für die Grippeimpfung?

Zu beachten ist, dass es 14 Tage braucht, bis die Schutzwirkung eintritt. Ich denke, sich in diesem Jahr etwas früher impfen zu lassen, macht Sinn, so grob etwa in zwei Wochen.

Eine Boosterimpfung und Grippeimpfung sind gleichzeitig möglich

Manche Ältere erhalten eine dritte Coronaimpfung. Kann man sich parallel gegen Grippe impfen lassen oder wäre das für das Immunsystem zu belastend?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat ausdrücklich bestätigt, dass die Impfung zusammen mit einer dritten Boosterimpfung erfolgen kann. Ich bin ein großer Freund der Stiko und der Gesundheitsämter, sie arbeiten ohne wirtschaftliches Interesse, es sind freie Institutionen. Was das Landratsamt mit der Cosan-App auf die Beine gestellt hat, ist bemerkenswert. Das Programm wurde den Apotheken zur Verfügung gestellt, um die Coronatestzentren im Auftrag des Gesundheitsamtes zu betreiben. Angesichts der steigenden Inzidenz werden die Testzentren wieder eine steigende Rolle einnehmen.