Von wegen „Halbgötter in Weiß“ – der Patient von heute kommt informiert in die Sprechstunde. Online-Portale helfen ihm bei der Recherche.  

Stuttgart - Sie werden mitunter "Zettelpatienten" genannt: Menschen, die mit schriftlichen Empfehlungen in die Sprechstunde kommen und ihren Arzt mit Therapievorschlägen konfrontieren. Oft sind diese Empfehlungen aus dem Internet ausgedruckt, nicht immer fußen sie auf solider Forschung. Für Ärzte ist das eine neue Situation. "Damit müssen sie leben", sagt Klaus Baier, der Präsident der Bezirksärztekammer Nordwürttemberg.

 

Aus seiner Praxis in Sindelfingen gibt Baier ein typisches Beispiel: Er will einem Patienten ein Antibiotikum verschreiben, weil dessen Mandeln nicht nur entzündet, sondern richtig vereitert sind und das Komplikationen nach sich ziehen kann, wenn nicht entschieden gehandelt wird. Doch der Patient zögert, weil er gelesen hat, dass Antibiotika Durchfall auslösen können.

"Man hat nicht die Zeit, um alle Optionen zu besprechen"

"Dann muss ich dazu Stellung beziehen und ihm erläutern, dass die Nebenwirkungen nicht so schlimm sind wie die Risiken der Mandelentzündung und dass man auch etwas für die Darmflora machen kann", sagt Baier. "Aber wenn der Patient wirklich nicht will, dann suchen wir nach einer anderen Therapie." Nicht immer läuft die Sprechstunde so ab. Jeder fünfte Befragte gab 2010 in einer Umfrage des Wissenschaftlichen Instituts der Techniker Krankenkasse an, nicht in dem Maß in Entscheidungen eingebunden zu sein, wie er es möchte.

Baier macht den Zeitmangel dafür verantwortlich. Ein deutscher Arzt müsse deutlich mehr Patienten ambulant versorgen als die Kollegen im benachbarten Ausland. "Man hat nicht die Zeit, um alle Optionen zu besprechen." Die Barmer-GEK berechnete vor zwei Jahren einen Durchschnitt von acht Minuten pro Patient in der Sprechstunde.

Am Ende sagt der Arzt, was stimmt und was nicht

An diesem Wochenende lädt die Bezirksärztekammer Nordwürttemberg wieder zur jährlichen Fach- und Fortbildungsmesse Medizin nach Stuttgart ein. Schwerpunkt ist die Behandlung von Schmerzen - ein Bereich, in dem es besonders auf das Gespräch ankommt, da sich die Schmerzen womöglich schon verselbstständigt haben und der Patient viel Unterstützung braucht. Das Gespräch mit dem Patienten sei in der Fortbildung zwar kein eigenständiges Thema, berichtet Baier, werde aber in den verschiedensten Seminaren angesprochen.

Doch der Trend vom leidenden Patienten zum anspruchsvollen Verbraucher stellt eine Herausforderung für die Ärzteschaft dar: Vor zehn Jahren waren noch rund 25 Prozent der von der Techniker Krankenkasse Befragten der Ansicht, dass der Arzt allein über die Behandlung entscheide, heute sind es nur noch fünf Prozent. Die Medizinsoziologin Hürrem Tezcan-Güntekin von der Universität Tübingen sieht zwar einen Wandel in der Beziehung von Arzt und Patient, doch nur einen oberflächlichen. 

Die Entwicklung zum mündigen Patienten

Sie hat Ärzte ausführlich befragt und kommt zwar zum Ergebnis, dass die Mediziner es grundsätzlich positiv finden, wenn ihre Patienten gut informiert sind, doch am Ende sortieren die Ärzte in alter Manier aus den Informationen des Patienten die falschen und unbrauchbaren aus. Das Fazit der Soziologin, das sie im Sammelband "Die Arzt-Patient-Beziehung" (Verlag Kohlhammer, Stuttgart) erläutert: "Die Möglichkeiten des Patienten, das ärztliche Handeln zu kontrollieren, sind nur im Ansatz vorhanden."

Die Entwicklung zum mündigen Patienten dürfte sich jedoch fortsetzen, denn sie wird von vielen Seiten unterstützt. Das Internet ist dabei nicht die einzige Informationsquelle. In Stuttgart organisiert zum Beispiel das KISS-Büro Kontakt zu zahlreichen Selbsthilfegruppen. Und die Deutsche Krebsgesellschaft richtet alle zwei Jahre eine Patiententagung aus, die Offene Krebskonferenz. Dort stellen Betroffene Detailfragen zu neuen klinischen Studien und besprechen unter sich, wie man mit Medizinern umgeht, die kein Gespür für die Ängste der Patienten an den Tag legen.

Bei kostenpflichtigen Angeboten sollten Patienten aufpassen

Den größten Einfluss dürfte jedoch das Internet haben. Neben reinen Informationsangeboten gibt es auch Bewertungsportale zu Ärzten. Nicht immer werden diese Angebote angenommen: Im Arzt-Navigator der AOK zum Beispiel haben auch zwei Jahre nach dem Start so gut wie keine Stuttgarter Patienten ihre Ärzte beurteilt.

Besonders relevant ist die Information, wenn es um individuelle Gesundheitsleistungen geht, die Patienten selbst bezahlen müssen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hat in dieser Woche das Portal igel-monitor.de ins Leben gerufen, um darüber zu informieren, wie fundiert die einzelnen Angebote wissenschaftlich sind. Dort wird beispielsweise die Bachblütentherapie dargestellt, die inklusive Beratung bis zu 200 Euro kosten kann: Die Blütentropfen dürften wohl keine Nebenwirkungen haben, doch in rund zehn Studien wurde kaum eine Wirkung festgestellt.

Ärzte müssen sich auch wirtschaftlich behaupten

Diese sogenannten Igel-Leistungen mit Nachdruck zu verkaufen, lehnt die Bezirksärztekammer ab. Aber Klaus Baier sieht kein Problem darin, wenn Ärzte Leistungen anbieten, die ihre Patienten verlangen - "zumal sie ihre Praxis in diesem Gesundheitssystem auch wirtschaftlich behaupten müssen". Und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich mancher Patient nach der Igel-Behandlung besser fühlt. Dafür machen Rebecca Waber von der US-amerikanischen Universität MIT und ihr Team eine Variante des Placeboeffekts verantwortlich.

Als Placeboeffekt wird die Wirkung von Scheinmedikamenten bezeichnet, die dem Patienten nur helfen, weil er daran glaubt. Waber und ihre Kollegen wiesen bei 82 Versuchspersonen nach, dass eine angeblich schmerzlindernde Tablette besser wirkte, wenn ihr Preis mit 2,50 Dollar angegeben wurde, als wenn es hieß, sie sei für zehn US-Cent zu haben. Dahinter steckt wohl die Überzeugung vieler Menschen, dass teure Medikamente stärker wirken. Ein gut informierter Patient sollte es besser wissen: Der Preis richtet sich im Markt in erster Linie nach der Zahlungsbereitschaft der Kunden.

Vertrauenswürdige Informationen im Internet

Quellen Medizinische Informationen im Internet sind heikel: Nicht alle Angaben sind gleichermaßen fundiert, man sollte daher vorsichtig sein und alles überprüfen. Das vielleicht wichtigste Kriterium ist, sich möglichst nicht auf eine einzige Quelle zu verlassen. Da es viele Online-Portale gibt, sollte es immer möglich sein, eine wichtige Information von einer unabhängigen Stelle bestätigt zu bekommen.

Herausgeber Es lohnt sich immer ein Blick in das Impressum oder die Rubrik "Wir über uns" der Website. Da die Werbung für Arzneimittel gesetzlich stark eingeschränkt ist, setzen einige Pharmaunternehmen auf Informationen. Diese Angaben können gut sein, doch man sollte die wirtschaftlichen Interessen des Herstellers berücksichtigen. Ein Indiz für seriöse Informationen ist üblicherweise ein unaufgeregter, abwägender Stil.

Qualitätssiegel Die Stiftung Health on the Net prüft medizinische Online-Angebote. Auf der Seite www.hon.ch gibt es eine Suchmaschine für vertrauenswürdige Websites.