Eine Podiumsdebatte in Stuttgart hat die fehlende Digitalisierung im Gesundheitssystem beleuchtet. Streng ausgelegter Datenschutz und zu wenig wirtschaftliche Anreize sind Bremsfaktoren.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

„Wenn es keine Ärzte gäbe, dann gäbe es wohl auch keine Faxgeräte mehr“, sagte Achim Wambach, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW zum Auftakt einer von den Mannheimer Wissenschaftlern organisierten Podiumsdiskussion zum Thema „Warum Deutschland mehr Gesundheitsdaten braucht“ in der Stuttgarter BW-Bank.

 

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Er zählte eine Statistik nach der anderen auf, wo Deutschland im Gesundheitswesen das digitale Schlusslicht in Europa ist: Ob bei dem elektronischen Rezept oder den elektronischen Patientendaten, Skandinavien oder selbst Italien sind Deutschland weit enteilt. „Wegen fehlender Digitalisierung werden wir ein Qualitätsproblem bekommen, es geht nicht nur um Effizienzen“, sagte die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer.

Ausweichen bei elektronischer Patientenakte

Doch warum es hakt, das konnte der moderierende StZ-Chefredakteur Joachim Dorfs erleben, als er Johannes Bauernfeind, dem Vorstandsvorsitzenden der AOK Baden-Württemberg, die einfache Frage stellte: „Wann kommt die elektronische Patientenakte?“ Darauf erhielt er nämlich keine einfache Antwort. Bauernfeind erläuterte erst einmal die Problematik nicht genügend erschlossener Daten oder lückenhafter Angaben, weil Patienten einer Aufnahme ihrer Daten jeweils zustimmen müssten. Diese Akte sei eben nicht der Weisheit letzter Schluss, sagte Bauernfeind. Zu umständlich sei schon der Registrierungsprozess. Er habe selber keine, sagte er, als die Moderation das Publikum fragte, wer eine solche Akte habe. Nur eine Handvoll Zuhörer hob die Hand.

Ministerin plädiert für dezentrale Lösungen

Wissenschaftsministerin Bauer verfocht auf dem Podium dezentrale Lösungen, wie sie das Land in verschiedenen Bereichen verfolge: „Wir wollen nicht auf den EU-Datenraum oder das Bundesgesetz warten – wir gehen von unten nach oben.“ Erste Schritte gibt es auch im Bund. So soll 2023 eine beim Bundesinstitut für Arzneimittel angesiedelte zentrale Datenbank an den Start, bei der etwa die bisher von den jeweiligen Krankenkassen getrennt verwalteten Abrechnungsdaten gesammelt werden. Nach strengen Kriterien sollen diese Daten dann für die Wissenschaft freigegeben werden. Doch diese Limitierung sahen ZEW-Chef Hambach und Bauer skeptisch: „Wir sollten den Zugang für die Industrie nicht zu strikt unterbinden“, sagte die Wissenschaftsministerin.

Viel Sand im Getriebe

Es sei eben viel „Sand in Getriebe“, sagten die Teilnehmer unisono. Der hier immer wieder erwähnte Datenschutz sei kein unlösbares Problem, sagte Bauernfeind. Es geht nach Ansicht der Teilnehmer weniger um die Paragrafen an sich als um die oft ängstliche Auslegung derselben. „Wir sollten mehr ermöglichen, statt immer Nein zu sagen“, sagte Wambach. Ein anderer Kernpunkt sei das fehlende wettbewerbliche Interesse. Im Gegensatz zur Wirtschaft, die schon aus Gründen der globalen Konkurrenz digital immer auf der Höhe sein müsse, fehlten in den drei Bereichen, wo Deutschland besonders hinterherhinke, in Verwaltung, Schule und eben dem Gesundheitssystem, entsprechende Anreize.