Hausärztemangel, Notfallpraxis-Schließungen und fehlende Fachkräfte – die medizinische Versorgung im Rems-Murr-Kreis steht vor einer Krise. Ein Sechs-Punkte-Plan soll dem Mangel jetzt entgegen wirken. Ein großes Problem bleibt indes bestehen.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Die medizinische Versorgung im Rems-Murr-Kreis steht vor großen Herausforderungen. Der Hausärztemangel ist bereits deutlich spürbar: Durchschnittlich betreut ein Allgemeinmediziner hier 1950 Menschen – das sind 334 Patienten mehr als im Bundesdurchschnitt. Besonders besorgniserregend ist die Lage in der Kinderheilkunde: 13 der 31 Kommunen im Kreis haben keinen Kinderarzt mehr.

 

Diese Situation dürfte sich weiter verschärfen, da viele ansässige Ärzte kurz vor dem Ruhestand stehen, während geeignete Nachfolger oft fehlen. Der Trend zur Teilzeitarbeit, der Mangel an Medizinstudienplätzen und Fachkräften sowie eine zunehmende Bürokratisierung belasten das Gesundheitssystem zusätzlich.

Erhebliche Versorgungslücke in Backnang

Besonders dramatisch zeigt sich die Versorgungslücke in ländlichen Regionen wie dem Raum Backnang. Dort liegt der Versorgungsgrad bereits bei nur 85 Prozent – Tendenz fallend. Laut Prognosen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) wird dieser Wert in den kommenden Jahren um weitere zehn Prozent sinken. Schon jetzt ist mehr als ein Drittel der Hausärzte in Backnang 60 Jahre oder älter.

„Die Lage ist ernst, und wir müssen handeln“, mahnt der Landrat Richard Sigel. Bereits im Frühjahr 2023 hat der Landkreis reagiert und ein umfassendes Strategiepapier in Auftrag gegeben, um die Versorgungslücke zu schließen. Herausgekommen ist ein Sechs-Punkte-Plan, der auf einer Befragung der Haus- und Kinderärzteschaft basiert und gemeinsam mit der Kommunalen Gesundheitskonferenz (KGK) sowie weiteren Akteuren des Gesundheitswesens entwickelt wurde. Dagmar Behringer, die Leiterin des Kreisgesundheitsamts, hat diesen Plan jetzt im Sozialausschuss des Kreistags skizziert.

Die Gesundheitsamtsleiterin Dagmar Behringer hat den Sechs-Punkte-Plan jetzt im Kreistagsausschuss skizziert. Foto: Frank Rodenhausen

Ein zentraler Baustein ist das Schaffen eines Bildungscampus mit einer Pflegeschule in Winnenden. In enger Kooperation mit den Rems-Murr-Kliniken und der Universitätsklinik Tübingen soll der Campus moderne Lernangebote für Fachkräfte bereitstellen und den Landkreis attraktiver für angehende Mediziner machen. Auch Weiterbildungsverbünde für Allgemeinmediziner sollen helfen, neue Ärzte in die Region zu holen.

Ein weiterer Ansatz ist die Telemedizin. Sie soll ausgebaut werden, um den Bürgern langfristig eine digitale und dennoch persönliche Versorgung zu bieten. Auch die Vernetzung zwischen Ärzten, Kliniken, Gesundheitsämtern und den Beratungsangeboten der Krankenkassen soll verbessert werden, um Synergien zu schaffen und die medizinische Versorgung effizienter zu gestalten.

„Gesundheitspunkte“ als zentrale Anlaufstellen

Ein zentraler Punkt aber ist der Plan zum Aufbau sogenannter Gesundheitspunkte. Laut Angela Rothermel, Chefärztin der Notaufnahme am Klinikum Schorndorf, basiert die Idee auf bereits erprobten Modellen, die in anderen Ländern unter dem Namen „Port“ bekannt sind. Gesundheitspunkte sollen zentrale Anlaufstellen für Patienten werden, gut ausgebildetes medizinisches Fachpersonal soll eine Lotsenfunktion übernehmen: Patienten werden beraten und an die richtige Stelle weitervermittelt, was die Arztpraxen spürbar entlasten könnte.

Dr. Angela Rothermel war federführend an der Konzeption der Gesundheitspunkte beteiligt. Foto: Frank Rodenhausen
angekündigte Schließung der örtlichen Notfallpraxis

Finanzierung ist ein ungelöstes Problem

„Es war uns wichtig, praktikable Lösungen zu entwickeln, auch wenn viele Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene getroffen werden müssen“, sagt der Landrat Sigel. „Die Herausforderungen sind immens, aber wir dürfen nicht tatenlos zusehen.“ Doch trotz vielversprechender Ansätze bleibt ein großes Fragezeichen, das der Finanzierung. Das haben auch mehrere Abgeordnete im Sozialausschuss des Kreistags moniert. Die Gefahr sei, dass der Kreis auf den Kosten sitzen bleibe. „Wir dürfen da das Land und die KV nicht rauslassen“, betonte etwa Jochen Haußmann (FDP). Das Gremium hat der Verwaltung dennoch den Segen gegeben, die vorgeschlagenen Ideen weiter zu verfolgen und im Rahmen der Möglichkeiten umzusetzen.

Künftig nur noch eine Notfallpraxis im gesamten Rems-Murr-Kreis

Zuständigkeit
 Die hausärztlichen Notfallpraxen werden von freiberuflichen Ärzten im Bereitschaftsdienst betreut. Diese kümmern sich um Patienten, die nachts, am Wochenende oder an Feiertagen einen Arzt brauchen und aufgrund ihrer Beschwerden nicht bis zur Sprechstunde ihres Hausarztes warten können.

Schließungen
 Weil immer weniger niedergelassene Ärzte für immer mehr Patienten zuständig sein müssen, hat die Kassenärztliche Vereinigung eine deutliche Reduzierung der Standortzahlen beschlossen. Im Rems-Murr-Kreis soll es künftig nur noch eine Anlaufmöglichkeit geben. Nach Schorndorf steht nun auch Backnang auf der Streichliste.

Kritik
 Große Befürchtungen gibt es wegen langer und schwieriger Anfahrtswege vor allem im ländlichen Raum. Aber auch die Kliniken rechnen mit einem erheblichen Zustrom in ihren nicht dafür ausgerichteten Notfallaufnahmen.