Auch wenn es noch gar nicht offiziell verkündet worden ist – die geplante Schließung von 17 ärztlichen Notfallpraxen im Land hat einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Auch Backnang soll betroffen sein – und dort fühlt man sich besonders betrogen.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) will sie erst am Montag offiziell bekannt machen, doch der Aufschrei über ihre Pläne ist schon jetzt groß. Nachdem bereits im Herbst vergangenen Jahres mehrere ärztliche Notfallpraxen im Land geschlossen wurden, darunter auch Schorndorf, sind nun weitere 17 auf der Streichliste – darunter auch Backnang.

 

Rathauschefs schreiben an Gesundheitsminister

Und so zählt natürlich auch der Backnanger Oberbürgermeister Maximilian Friedrich zu jenen 18 Rathauschefs, die sich mit einem Brief an den baden-württembergischen Gesundheitsminister Manfred Lucha gewandt haben, um gegen die Zwangsstilllegung der aus ihrer Sicht gut funktionierenden Einrichtungen in ihren Gemeinden zu protestieren.

Zudem ist in gleicher Sache ein Schreiben an die Rems-Murr-Landtagsabgeordneten ergangen, das von sämtlichen Bürgermeistern der vereinbarten Verwaltungsgemeinschaft Backnang und des oberen Murrtals unterzeichnet ist. Die dringende Bitte: sich für die Erhaltung der Notfallpraxen im Land einzusetzen. Der stellvertretenden KV-Vorsitzenden Doris Reinhardt versuchen selbige in einer weiteren Depesche zu verdeutlichen, was eine Konzentration der ärztlichen Notfallversorgung an einem einzigen Standort für die Bevölkerung eines Flächenlandkreises bedeuten würde.

Der Rems-Murr-Kreistag hatte bereits im Mai einstimmig und fraktionsübergreifend eine Resolution zur ambulanten medizinischen Versorgung und gegen die Schließung von Notfallpraxen im Rems-Murr-Kreis auf den Weg gebracht. Aus Sicht des Landkreises und seiner Rems-Murr-Kliniken werde die dauerhafte Schließung von gleich zwei Notfallpraxen in Schorndorf und Backnang dazu führen, dass die Patientenzahlen in der Notaufnahme der Rems-Murr-Kliniken noch stärker ansteigen werde, hieß es damals. Schon die Schließung der Notfallpraxis am Standort in Schorndorf im vergangenen Jahr belaste aktuell die beiden Notaufnahmen des Rems-Murr-Klinikums in Schorndorf und Winnenden mit bis zu 9500 zusätzlichen Hilfesuchenden.

Landrat Richard Sigel , hier mit Klinik-Geschäftsführer André Mertel (links), befürchtet eine Überbelastung der Klinik-Notaufnahme. Foto: Gottfried Stoppel

Landrat Richard Sigel hat deshalb jetzt noch einmal seinen dringenden Appell bekräftigt, diese Entscheidung zu überdenken. „Es ist nicht nachvollziehbar, dass in Schorndorf ein seit Jahren funktionierender ‚gemeinsamer Tresen’ der Notaufnahme mit der Notfallpraxis vor dem Aus steht, obwohl genau dies von Bundesgesundheitsministerium als Zukunftsmodell propagiert wird“, erklärt Sigel.

Nur eine Notfallpraxis in Winnenden für rund 440 000 Bürgerinnen und Bürger im Rems-Murr-Kreis sei „schlicht zu wenig“. Für die Patienten bedeute dies längere Wartezeiten und längere Wege. Und den Notaufnahmen in Schorndorf und Winnenden drohe zunehmend das Risiko von Überlastungssituationen, so Sigel.

Petition hat fast 40 000 Unterzeichner

Auch aus der Bevölkerung gibt es längst Widerstand. Eine Frau aus Backnang hatte im Frühjahr aus persönlicher Betroffenheit eine Internetpetition gegen die Schließung gestartet, der sich bislang fast 40 000 Menschen angeschlossen haben. Doch offenkundig sind die Einwände ungehört verhallt.

Die Backnanger SPD-Landtagsabgeordnete Simone Kirschbaum spricht nicht nur von einem drohenden, „nie dagewesener Kahlschlag in der ambulanten Versorgung in Baden-Württemberg“. Sie erinnert Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) auch an ein Versprechen, dass den Backnanger Bürgern im Zuge der Schließung des örtlichen Krankenhauses gemacht worden sei – nämlich wenigstens die Vorhaltung einer qualifizierten Notfallversorgung.

Minister Lucha: Ängste geschürt

Lucha hingegen hält es für „bedauerlich, dass in der Debatte nun so viel Unruhe entstanden ist und wider besseres Wissen gezielt Ängste geschürt werden, noch bevor die KVBW überhaupt ihr Konzept im Detail vorgestellt hat“. Derzeit seien rund 1000 Arztsitze im Land nicht besetzt, und in den nächsten zehn Jahren gingen die geburtenstärksten Jahrgänge der Ärzteschaft in den Ruhestand, rechnet Lucha vor. „Das heißt, weniger Ärzte müssen künftig dafür sorgen, dass die medizinische Versorgung im Land gesichert bleibt.“ Deshalb habe sich die Kassenärztliche Vereinigung im Rahmen ihrer Selbstverwaltung dafür entschieden, die Bereitschaftsdienste der Ärzteschaft in Baden-Württemberg neu zu strukturieren und neue Konzepte für die medizinische Versorgung zu erarbeiten. „Das ist, rein formal gesehen, ihr gutes Recht.“