Der Fall von Freudenberg löst großes Entsetzen aus. Als Mutter oder Vater fragt man sich: Wie spreche ich mit meinem Kind darüber? Das rät ein Erziehungsexperte.

Freizeit und Unterhaltung: Theresa Schäfer (the)

Eine Zwölfjährige wird erstochen – die mutmaßlichen Täterinnen: Zwei gleichaltrige Mädchen. Der Fall von Freudenberg löst in ganz Deutschland Bestürzung und großes Entsetzen aus. Als Mutter oder Vater fragt man sich: Wie spreche ich mit meinem Kind darüber? Halte ich diese entsetzliche Tat lieber fern? Oder suche ich das Gespräch mit meinem Kind, um Ängste abzubauen und zu versuchen, das Unerklärliche zu erklären?

 

„Wie viel und in welcher Art ich mit meinem Kind über diesen Fall rede, hängt ganz stark vom Alter ab“, findet Ulric Ritzer-Sachs von der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE). „Mit Zwölf-, Dreizehn-, Vierzehnjährigen kann ich offensiver darüber sprechen als mit jüngeren Kindern. Da kann ich auch selbst das Gespräch suchen, die Jugendlichen selbst nach ihrer Meinung und ihren Gefühlen fragen.“ Bei jüngeren Kindern wäre der Sozialpädagoge hingegen zurückhaltender, selbst auf den Fall zu sprechen zu kommen.

Erziehungsexperte: „Auch jüngere Kinder bekommen so etwas schon mit“

Reagieren müssen Eltern aber auf jeden Fall, wenn der Sohn oder die Tochter von sich aus über den Fall der getöteten Luise sprechen wollen. „Auch jüngere Kinder bekommen so etwas schon mit – sie hören davon im Radio, im Fernsehen oder es wird auf dem Pausenhof in der Schule zum Gesprächsthema“, sagt der Erziehungsexperte.

Und wenn das Kind dann fragt? „Je nach Situation kann einen das schon kalt erwischen. Wichtig ist, dass Eltern eine klare Position und Haltung haben. Wenn ich erst noch über meine genauen Worte nachdenken will, kann ich mein Kind auch um ein bisschen Bedenkzeit bitten – aber das Gespräch aussitzen oder vermeiden geht nicht.“ Wenn eine Mutter oder ein Vater sich dann mit seinem Kind zusammensetzt, sollten sie versuchen, die eigene Wut oder Ängste im Griff zu behalten, findet Ritzer-Sachs. „Natürlich ist das ein Fall, der für alle, die mit Kindern zu tun haben, ganz entsetzlich ist. So etwas lässt niemanden kalt. Man sollte als Erwachsener aber dennoch versuchen, nicht zu Polemisieren oder sich von seinen Emotionen übermannen zu lassen.“

Von den Fragen des Kindes leiten lassen

Gut ist, nachzufragen: „Welche Fragen hast du? Was beschäftigt dich?“ Dann sollten Eltern einfühlsam, aber sachlich diese Fragen beantworten. „Dazu ist es nicht nötig, drastische Details zu nennen, die dem Kind im Zweifelsfall dann noch mehr Angst machen.“

Dass die mutmaßlichen Täterinnen nicht strafrechtlich belangt werden können, weil sie strafunmündig sind, könnte auch Kinder beschäftigen und Fragen aufwerfen. Ritzer-Sachs: „Auch dazu sollten Eltern eine Haltung haben. Ich persönlich denke, dass es gut ist, dass in Deutschland die Strafmündigkeit erst mit 14 Jahren anfängt. Meines Erachtens sind Kinder heute nicht reifer als früher – eher im Gegenteil. Sie sind unreifer als vielleicht noch vor einigen Jahrzehnten, wissen aber mehr. Und ich würde meinen Kindern sagen, dass auch Kinder, die eine so schlimme Tat begangen haben, weiterhin eine Chance im Leben haben müssen.“

„Ganz klar ist: So ein Fall kann große Angst machen – Kindern und Eltern. Das ist näher dran und konkreter als vielleicht der Ukrainekrieg, der für uns hier doch sehr abstrakt bleibt“, sagt der Erziehungsberater. Wie Eltern Ängste nehmen können? „Mit guten Argumenten. Man sollte seinem Kind verdeutlichen, dass so etwas sehr, sehr selten vorkommt. Eltern sollten Mut machen.“

„Es hilft nichts, sein Kind in Watte zu packen“

Nach einem solchen Vorfall könnten aber auch manche Eltern ein mulmiges Gefühl bekommen, wenn sie ihr Kind morgens allein zur Schule laufen lassen oder nachmittags zur Flötenstunde. „Doch es hilft nichts, sein Kind in Watte zu packen. Für Kinder ist es wichtig, dass sie immer wieder die Möglichkeit bekommen, sich abzulösen. Den Weg zur Freundin oder zum Gitarrenunterricht alleine zu meistern, ist eine wichtige Entwicklungschance, die wir unseren Kindern nicht nehmen dürfen.“

Und wenn die Ängste bleiben, vielleicht sogar zu schlechten Träumen führen? „Dann sollten Eltern nicht zögern und sich nach professioneller Unterstützung umschauen“, rät Ritzer-Sachs. „Bei den psychologischen Beratungsstellen bekommt man ziemlich schnell Hilfe.“

Zur Person

Ulric Ritzer-Sachs ist Diplom-Sozialpädagoge. Er arbeitet als Koordinator in der Onlineberatung der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE). Die Experten dort beraten Eltern und Jugendliche – online, anonym und kostenlos, rund um die Uhr.