Ein Flüchtling aus Ostafrika wird in einer Plattenbausiedlung mit mehreren Messerstichen getötet - von wem und warum ist unklar. Erst spät beginnt die Polizei wegen eines Tötungsdelikts zu ermitteln – und gerät dadurch in Erklärungsnot.

Dresden - Sie werden mit dem Essen auf ihn warten, hatten die Mitbewohner von Khaled Idris Bahray ihm versprochen, als er am Abend noch kurz zum Supermarkt wollte. Ein Laden gleich um die Ecke. Der 20-jährige Eritreer muslimischen Glaubens, ein auf Fotos zerbrechlich wirkender junger Mann, ist an diesem Montagabend nicht mehr in die Männer-Wohngemeinschaft in einem Plattenbau im Dresdner Stadtteil Leubnitz-Neuostra zurückgekommen. Er hat auch auf die Anrufe seiner Mitbewohner nicht reagiert, mobil war er nicht mehr zu erreichen. Die Männer dachten irgendwann, er sei, ohne sich abzumelden, über Nacht zu eritreischen Freunden gegangen. Ein Irrtum.

 

Der Asylbewerber Khaled Idris Bahray ist am Dienstagmorgen um 7.40 Uhr blutüberströmt auf einem Rasenstück im Hof der Wohnanlage gefunden worden, ein Passant hat den Toten entdeckt und die Behörden alarmiert.

Was dann passiert, bringt nicht nur die sozialen Medien in Aufruhr. Die Dresdner Polizei, die nicht vorsichtig ist bei ihrer Wortwahl, urteilt sehr schnell. Man sehe keine „Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“, erklärt Thomas Geithner, der Pressesprecher der Polizeidirektion Dresden, am Dienstag. Man gehe eher davon aus, dass eine Krankheit, ein Suizidversuch oder ein Sturz die Ursache für den Tod sein könnte. Eine Einschätzung, die kurz darauf korrigiert werden muss, sehr zum Unmut vieler Twitter-Nutzer, die längst wild darüber spekulieren, ob die ostdeutsche Polizei im Fall eines toten Ausländers nicht so genau hinschauen wolle.

Grünen-Politiker Beck stellt Strafanzeige gegen Behörden

Für die Staatsanwaltschaft Dresden steht am Mittwoch fest, dass der Eritreer durch mehrere Messerstiche in den Hals- und Brustbereich zu Tode gekommen sei. Mittlerweile ermittelt eine 25-köpfige Mordkommission. Die eritreischen Mitbewohner des Opfers werden befragt, Spürhunde kommen zum Einsatz, auch Videoausnahmen aus öffentlichen Verkehrsmitteln sollen ausgewertet werden, kündigt Oberstaatsanwalt Lorenz Haase an. Die Tatwaffe habe man bisher nicht gefunden.

Grünen-Politiker Volker Beck hat bereits eine Strafanzeige gestellt. Sie richte sich gegen unbekannt wegen möglicher Strafvereitelung im Amt, teilt der innenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion mit. Auf seiner Homepage kritisiert er Ermittlungspannen bei den Behörden, die „rückhaltlos aufgeklärt“ werden müssten. Erst nach der Obduktion habe die Polizei ein  Fremdverschulden eingeräumt und schickte erst 30 Stunden nach der Tat die Spurensicherung an den vermeintlichen Tatort, kritisiert Beck. „Dies wirkt dilettantisch.“

Die Angst unter den Flüchtlingen ist groß

Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) ist schockiert über die Tat und warnt jedoch „vor Spekulationen in die eine oder andere Richtung“. Sie spricht dabei nicht aus, was viele denken: Ist Khaled Idris Bahray getötet worden, weil er ein Ausländer ist?

Die Angst unter den Flüchtlingen in Dresden ist groß, die Eritreer, die mit dem Getöteten zusammengelebt haben, wollen nicht wieder in die Wohnung zurück. Schon vor Wochen waren an der Wohnungstür Hakenkreuze aufgetaucht. „Sie haben Panik, dass auch ihnen etwas zustoßen könnte“, sagt Caritas-Sozialarbeiter Karsten Dietze, der zusammen mit eritreischen Flüchtlingen am Mittwoch auf dem Jorge-Gomondai-Platz um Bahray getrauert hat. „Fremdenfeindliche Übergriffe sind in Dresden leider an der Tagesordnung.“

Den Platz in der Innenstadt haben sie bewusst gewählt. Der 28-jährige Mosambikaner Jorge João Gomondai ist von Rechtsradikalen am 6. April 1991 getötet worden. Er wurde neben der Straßenbahn gefunden. Ob er mit vorgehaltenem Messer gezwungen wurde, aus der Bahn zu springen, wie ein Zeuge aussagte, oder ob er ins Freie stürzte, konnte nie ganz geklärt werden.