Die neue Ludwigsburger Bürgermeisterin Gabriele Nießen erzählt im Interview von ihrer jetzigen Arbeit in Oldenburg – und warum sie sich auf die Zukunft als Stadtplanerin freut.

Ludwigsburg - Nun darf in Ludwigsburg wieder eine Frau auf der Bürgermeisterbank Platz nehmen. Sie wurde am Mittwochabend mit 29 Ratsstimmen gewählt. Sechs stimmten gegen sie, zwei enthielten sich. Gabriele Nießen ist schon auf Wohnungssuche, wird ihr Amt aber erst am 1. März antreten. Für ihre Arbeit als Stadtbaurätin in Oldenburg zieht sie eine positive Bilanz. Auch wenn die Entscheidung des OB Jürgen Krogmann (SPD), sie nicht zur Wiederwahl vorzuschlagen, zu einem unschönen Ende führt.

 

Frau Nießen, warum haben Sie sich für eine Bewerbung in Ludwigsburg entschieden?

Meine Amtszeit in Oldenburg endet im Oktober 2019. In Niedersachsen liegt das Vorschlagsrecht für die Dezernenten beim Oberbürgermeister. Obwohl sich eine Zweidrittelmehrheit im Stadtrat für meine Wiederwahl ausgesprochen hat, hat der OB entschieden, mich nicht erneut vorzuschlagen. Stadtentwicklung verstehe ich aber nicht nur als meinen Beruf, sondern als Berufung. Daher habe ich mich frühzeitig vor Ablauf der Amtszeit umgesehen.

Wie hat Ihr Chef das begründet?

Der OB muss das formal gar nicht begründen. Mir hat er gesagt, er wünsche sich neue Impulse für die Stadtentwicklung. Allerdings gefällt mir die Formulierung in Ihrer Zeitung besser, ich sei das „ökologische Gewissen der Stadt“.

Bedeutet das, dass Sie auch politisch den Grünen nahestehen?

So würde ich es nicht sehen. Ich bin parteilos und habe das in meinem gesamten beruflichen Werdegang als richtig erachtet. Meine Aufgabe ist die fachliche Expertise, die politische Bewertung obliegt dem Gemeinderat. Klar ist für mich, das Stadtentwicklung mit einer Mobilitäts- und Energiewende einhergehen muss, wir planen anders als vor 20 Jahren.

Wie war Ihr Erstkontakt zu Ludwigsburg?

Ich war am 22. Oktober das erste Mal hier, um mich vorzustellen. Mein erster Eindruck war: Ich wechsle vom Klassizismus zum Barock, denn in Oldenburg ist die Bebauung klassizistisch geprägt.

Es wird hier viel über Stickoxid und Feinstaub diskutiert. Wie ist das in Oldenburg?

Was die Werte für Stickoxide angeht, sind sie in beiden Städten ähnlich hoch. Aber es gibt an der Messstelle in Oldenburg keine 70 000 Fahrzeuge wie in Ludwigsburg. Dort wird vor allem die erdgasbetriebene Busflotte erneuert – in Ludwigsburg müssen andere Schritte ergriffen werden. Eine Feinstaubproblematik gibt es in Oldenburg allerdings nicht.

Wie stehen Sie zu Fahrverboten?

Wir müssen erst einmal alle anderen Lösungen diskutieren, dazu will ich mich mit meinen Mitarbeitern zusammensetzen. Es gibt kein so virulentes Thema wie das der Luftreinhaltung, hier sind auch die Entwicklungen in Berlin abzuwarten.

Sie sind seit sieben Jahren Baudezernentin in Oldenburg, mit welchen Erfolgen?

Hier sind die Donnerschwee-Kaserne und der Alte Stadthafen zu nennen. Diese Brachflächen haben wir zu inklusiven Quartieren mit 1300 Wohneinheiten entwickelt. Der Stadtrat hat vorher ein Eckpunktepapier zur Donnerschwee-Kaserne beschlossen – so ist es umgesetzt worden. Es ist unsere Aufgabe als Verwaltung, die Themen verständlich zu beschreiben, wir Planer verfallen oft in eine Fachsprache. Wir müssen deutlicher kommunizieren.

Gab es auch berufliche Misserfolge?

Ja, die gab es. Wir haben etwa vor nicht allzu langer Zeit den Abriss eines kleinen Bootshauses diskutiert, das nicht unter Denkmalschutz stand. Allerdings habe ich die emotionale Verbundenheit der Menschen mit diesem Gebäude unterschätzt. Generationen von Oldenburgern haben in diesem Gebäude einen Heiratsantrag bekommen. Es wurde durch ein neues ersetzt, der Tretbootverleih ist diesen Sommer wieder in Betrieb gegangen.

Sie sind die erste Bürgermeisterin in Ludwigsburg, welche Rolle wollen sie in dem Führungsquartett spielen?

Die als gleichwertige Dezernentin. Ich bin von Beruf aus Stadtplanerin, da lernt man, interdisziplinär zu arbeiten. Man muss sich permanent eng absprechen und viel miteinander kommunizieren, und genau das ist auch mein Stil in Oldenburg gewesen.

Der Baubürgermeister Michael Ilk muss viele Aufgaben an Sie abgeben, bis Juli 2019 müssen sie beide zusammen den Bauausschuss leiten, könnte es da Konflikte geben?

Ein neues Dezernat aufzubauen, das war für mich ein Anlass, nach Ludwigsburg zu gehen. Darin sehe ich eine besondere Herausforderung und freue mich darauf. Ich habe Michael Ilk bereits kurz kennengelernt. Wir sind uns einig, dass wir gut zusammenarbeiten können. Zudem kann ich die Entscheidung nachvollziehen, die Verwaltung umzubauen. Mein bisheriges Dezernat ist ähnlich aufgebaut und noch umfangreicher als das von Michael Ilk jetzt – da fehlt oft die Zeit, in die Tiefe zu gehen.

Ein großes Thema in Ludwigsburg ist bezahlbarer Wohnraum – haben Sie Ideen?

Ich gehe fest davon aus, dass die Problemlage noch brisanter ist als in Oldenburg. Ein zentraler Aspekt ist die Bodenfrage: Wie kommt die Kommune an Grund und Boden, um zeitnah ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln? Wir brauchen zum Beispiel beim Vorkaufsrecht der Kommunen für Grundstücke und bei der Förderung Unterstützung von Bund und Land, die Städte können das nicht alleine.

Sie sind selbst auf Wohnungssuche?

Ja, und das ist nicht so einfach. Wenn die Oldenburger über den angespannten Wohnungsmarkt klagen, sage ich ihnen: Gehen sie mal nach Stuttgart oder Ludwigsburg.

Vor Oldenburg haben Sie in Eschwege in Hessen den Bereich Planen und Bauen geleitet. Was nehmen Sie von dort mit?

Das war eine ganz andere Herausforderung, die Bevölkerung ging zurück, die Finanzlage war schlecht. Wir haben es geschafft, einen Bahnhof zu reaktivieren, der 25 Jahre lang brach lag, die Stadthalle zu sanieren, und wir haben die Fußgängerzone neu gestaltet. Ähnlich wie beim Marstall in Ludwigsburg haben wir eine ehemalige Kaufhaus-Immobilie erworben und ein Einkaufszentrum entwickelt.

Viele erhoffen sich Impulse von Ihnen, haben Sie schon neue Ideen für Ludwigsburg?

Das würde ich zunächst gerne mit den Mitarbeitern besprechen. Ich schaue mir auch die Ergebnisse des Stadtentwicklungsprozesses an. Ich will nicht 1000 Ideen von außen aufoktroyieren, sondern erst einmal zuhören. Ich habe Ludwigsburg jedenfalls als innovative, nachhaltige und zukunftsfähige Stadt kennen gelernt – wir können bestimmt gemeinsam viele Ideen entwickeln.

Ein vielfältiger Berufsweg

Werdegang
Geboren ist Gabriele Nießen 1964 in Düsseldorf. Sie hat in Kaiserslautern Raum- und Umweltplanung studiert, ist verheiratet und hat drei Kinder im Alter von 13 bis 18 Jahren. Zunächst hat Nießen als Stadtplanerin in Büros in Bad Homburg und Frankfurt gearbeitet und wurde 1997 Vize-Leiterin des Projektbüros zur Weltausstellung Expo in Hannover. Nach der Elternzeit hat sie die Seelhorster Gärten in Hannover gestaltet und hat auch Vorhaben in Shanghai (China) koordiniert.

Politik Im Jahr 2007 entschied sich Gabriele Nießen, in die Kommunalverwaltung gehen und wurde Fachbereichsleiterin für Planen und Bauen in der Kreisstadt Eschwege in Hessen, dort unterstanden ihr 55 Mitarbeiter. Seit 2011 ist sie Stadtbaurätin in Oldenburg, das entspricht einer Baubürgermeisterin. Sie leitet ein Dezernat mit 655 Kollegen.