Männlichkeit bedeutet, ein Mann mit Baby im Tragetuch zu sein. Oder ein schlank gebauter Typ, der ein enges Spaghettiträger-Top trägt. Männlichkeit bedeutet zu weinen, auch vor Kollegen und Freunden. Und echte Kerle verschwinden um 13 Uhr vom Arbeitsplatz, um die Kinder von der Kita abzuholen.
Ihnen kommen diese Sätze komisch vor, ein bisschen weniger weich und muskulöser stellen Sie sich richtige Männer doch vor? Willkommen im Club der sexistischen Denkmuster. Aber würden Sie deswegen Gewalt gegen Frauen gutheißen?
Überraschend ist höchstens, dass sich bei Jüngeren nichts ändert
Etwa ein Drittel der Männer gab in einer Umfrage der Organisation Plan International an, gegenüber Frauen handgreiflich geworden zu sein. Und etwa gleich viele der Befragten – alle zwischen 18 und 35 Jahre alt – finden es akzeptabel, wenn einem im Streit mit der Partnerin die Hand ausrutscht. Insgesamt zeige sich, dass viele junge Männer in Deutschland eine „ziemlich traditionelle“ Vorstellung von Männlichkeit und Rollenbildern hätten, heißt es weiter. Diese Erhebung hat jüngst für Schlagzeilen gesorgt.
Diese Umfrage ist nicht unumstritten, manche werfen ihr methodische Schwächen etwa in der Auswahl der Befragten vor, und da ist durchaus etwas dran. Aber der Grundtenor dieses Ergebnisses findet sich auch in anderen Zahlen. Mehr als 143 000 Menschen erlebten allein im Jahr 2021 laut Zahlen des Bundesinnenministeriums Gewalt in Partnerschaften, und 80 Prozent davon waren Frauen. Ein Drittel der Männer hat ein klar antifeministisches Weltbild, heißt es zudem in der Leipziger Autoritarimus-Studie für das Jahr 2022. Und vor allem: Ein Drittel der Frauen hat nach Angaben des Bundesfamilienministeriums schon mal physische oder sexualisierte Gewalt erlebt. Es ist nicht überraschend, dass es dafür ein Drittel gewaltbereiter Männer braucht – unerwartet ist höchstens, dass sich das auch in den jüngeren Generationen nicht ändert. Tatsächlich ist ein anderer Teil der Wahrheit allerdings auch, dass es Männern nicht in allen Lebensbereichen besser geht als Frauen. Zwei Drittel der Suizide werden von Männern begangen. Depressionen bleiben bei ihnen öfter unerkannt, sie sind öfter von Sucht betroffen, sie gehen seltener zum Arzt und sterben früher. Und sie üben öfter Gewalt aus.
Auch Frauen spiegeln gewisse Erwartungen an Männlichkeit
All das macht Männer nicht ausschließlich zu Tätern, sondern eben auch zu Opfern: ihrer Sozialisation, ihrer Vorstellung von Männlichkeit, die es notwendig macht, immer stark zu sein, keine Gefühle zu zeigen, sich ständig durchzusetzen und nebenbei die Kohle für die Familie zu verdienen. Männer müssen diese Vorstellungen nicht gut finden, aber sie spielen in ihrem Alltag eine Rolle. Es setzt sie unter Druck, das zu verteidigen, was als männlich empfunden wird, statt sich um die Kinder zu kümmern. Auch Frauen spiegeln ihnen diese Erwartung an Männlichkeit.
Es entsteht ein toxisches Gemisch, das droht, hochzugehen
Und gleichzeitig werde es für Frauen dann besonders gefährlich, wenn sie an dieser Ordnung kratzten, mehr verdienten oder gebildeter seien als Männer, sagt etwa Katja Grieger vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Das bedeutet auch: Starre Rollenbilder, die Menschen aufgrund ihres Geschlechts in ein festes Muster pressen, führen natürlich nicht direkt zu Gewalt. Aber sie sind in unser aller Köpfen verankert – und sorgen für ein toxisches Gemisch, das hochzugehen droht, wenn der richtige Zündfunke kommt.
Das alles soll keine Entschuldigung für Männer sein, die Gewalt gutheißen – oder sie gar ausüben. Die Verantwortung dafür liegt immer bei den Tätern. Aber es sollte eine Anregung sein, über unsere Vorstellung von Männlichkeit nachzudenken. Damit Männlichkeit irgendwann auch bedeutet, ein Mann mit Baby im Tragetuch zu sein.