Schiedsrichter wurden im Jahr 2019 über beschimpft, über Fußballplätze gejagt und verprügelt, auch im Kreis Böblingen. Wie groß ist das Problem hier wirklich und wer ist schuld daran?

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Böblingen - Herrenberg wollte ein Zeichen setzen: Als die beiden Fußballteams VfL Herrenberg und Türk SV Herrenberg am 1. Dezember zum Stadt-Derby aufs Spielfeld marschierten, trugen sie gemeinsam ein Banner vor sich her: „Respekt, Fairness und Toleranz für Schiri und Gegenspieler, ohne Wenn und Aber“, stand da. Als Zeichen, dass sie es wirklich ernst meinen, bekam der Referee noch je eine Packung Merci-Schokolade von den Mannschaften überreicht.

 

Es sei ein notwendiges Zeichen gewesen, sagt der VfL-Herrenberg-Spielleiter Guiseppe Costanza. „Wir haben die Aktion gemacht, um den Schiedsrichtern Unterstützung zu bieten“, ergänzt Cihar Aydin vom Türk SV Herrenberg. Diese Unterstützung hatten Schiedsrichter auch nötig, denn sie wurden in diesem Jahr immer wieder zu Gejagten.

Von Berlin bis Böblingen: Referees werden verprügelt

In Münster wurde ein Referee Ende Oktober von einem Spieler bei einem Kreisligaspiel bewusstlos geschlagen. In Berlin und Köln streikten die Referees nach zahlreichen Übergriffen in Amateur- und in Jugendklassen. In Esslingen rastete ein Spieler aus und trat einen Schiedsrichter um. Und auch im Kreis Böblingen machten einige Vorfälle Schlagzeilen.

Drei Spieler des Teams KF Isa Boletini und mehrere Zuschauer hetzten den Schiedsrichter am 21. Oktober in Aidlingen erst über den Platz, dann attackierten sie ihn. Ein Spieler soll ihn mit einer Eckfahne angegriffen haben. Ordner schützten den Referee, bis die Polizei eintraf.

Isa Boletini Sindelfingen fiel in dieser Saison schon öfter auf: In Bondorf gab es im September Ausschreitungen unter den Zuschauern, in Mötzingen wurden drei Spieler innerhalb weniger Minuten ausgeschlossen. Aber auch Spiele ohne die Sindelfinger waren nicht frei von Zwischenfällen: In Affstätt sah sich ein Unparteiischer bedroht, in Mötzingen beendete ein Team das Match, nachdem – diesmal ein Spieler – rassistisch beschimpft worden war. Woher kommt diese körperliche und verbale Gewalt?

Liegt es an den Schiedsrichtern oder den Vereinen?

Der Türk SV Herrenberg trichtere seinen Spielern ein: „Der Sport ist schön, wenn man friedlich ist“, sagt Vorstand Aydin. Er sagt: Nichts rechtfertige Gewalt. Aber auch: „Manche Schiedsrichter machen viele Fehler.“ Manchmal könnten sie Spiele kaputt machen. Die Verbände sollten die Schiedsrichter besser schulen, sagt Aydin, vor allem in der Kreisliga.

„Bis zur Bezirksliga, wo die Schiedsrichter alleine Spiele leiten, ist es für sie natürlich schwieriger“, sagt auch Heiner Baumeister vom Württembergischen Fußballverband (WFV). Dass es in diesen Ligen zu mehr Übergriffen käme, sei aber statistisch nicht haltbar. Auch sieht er die Schiedsrichter ausreichend geschult, etwa durch Patensysteme, jahrelange Coachings und umfangreiche Kurse.

Darüber hinaus sei man der einzige Verband in Deutschland, der eine wissenschaftliche Begleitung hat – die Universität Tübingen machte eine Studie zum Thema Gewalt. Dabei kam raus, dass die Zahl der Tätlichkeiten leicht zurückging.

Weniger Übergriffe, mehr verbale Gewalt

Helmut Dolderer, Bezirksspielleiter im Spielbezirk Böblingen/Calw, sieht die Lage im Landkreis relativ gelassen. „Im Moment sind wir sicher noch ganz am Ende der Skala“, sagt Dolderer. Er lässt ein Aber folgen: Was von Zuschauern an verbaler Gewalt auf den Platz geschleudert werde, sei allerdings nicht mehr zumutbar.

Auch Achim Gack schlägt in diese Kerbe. „Die Qualität der Gewalt hat sich um ein Vielfaches erhöht“, sagt der Unternehmer und Kreisrat aus Herrenberg. Sein Rezept dagegen? „Wir müssen die Akzeptanz und Wertschätzung dieser mutigen Frauen und Männer erhöhen“, sagt Gack, der selbst als Schiedsrichter weit mehr als 1000 Spiele gepfiffen hat. Und aus seiner Sicht ist klar, wer das tun sollte: „Das müssen die Vereine, die Eltern und die Trainer machen.“ Der Schiedsrichter habe nicht die emotionale Sicht des Spielers, sondern eine neutrale, sagt Gack. Er plädiert dafür, Fußball-Jugendlichen diese Herangehensweise und die Aufgaben von Schiedsrichtern in Schulungen beizubringen.

Auch Heiner Baumeister vom WFV sieht die Teams in der Pflicht. „Die Vereine haben die Verpflichtung, eine gewisse Kultur unter den Zuschauern zu schaffen“, sagt Baumeister. „Es gibt Vereine, die das ganz toll gemacht haben. Da dürfen sich andere gerne ein Beispiel an den Herrenbergern nehmen“, sagt Baumeister. Und wenn das alles nicht hilft? Dann werde auffälligen Spielern ein sogenanntes Coolness-Training verordnet, in dem sie lernen mit ihren Emotionen umzugehen.