Die Gewalt im Nahen Osten eskaliert: Es sind die schwersten  Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästinensern seit dem Gaza-Krieg vor zwei Jahren. Die internationalen Rufe nach einer Waffenruhe verhallen ungehört.

Die Gewalt im Nahen Osten eskaliert: Es sind die schwersten  Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästinensern seit dem Gaza-Krieg vor zwei Jahren. Die internationalen Rufe nach einer Waffenruhe verhallen ungehört.

 

Tel Aviv/Gaza - Israel und militante Palästinenser im Gazastreifen liefern sich eine immer härtere Schlacht. Die Zahl der Toten bei israelischen Luftangriffen in dem Küstenstreifen stieg am Mittwoch nach Angaben von Sanitätern auf 40.

Es mehrten sich auch Berichte über zivile Opfer, darunter Frauen und Kinder. Bei einem Luftschlag wurde nach palästinensischen Angaben eine fünfköpfige Familie getötet, darunter eine Frau und zwei Kinder.

In der Nähe des SOS-Kinderdorfes in Rafah im Gazastreifen gingen nach Angaben der Organisation 15 israelische Raketen auf Hamas-Camps nieder. Die Kinder des Dorfes seien durch die Detonationen traumatisiert. Aus Sicherheitsgründen dürften sie das Dorf nicht mehr verlassen.

Erstmals seit dem Gaza-Krieg Ende 2012 griffen militante Palästinenser wieder Jerusalem und Tel Aviv mit Raketen an. Dort heulten am Dienstagabend und am Mittwoch die Sirenen. Sogar in der Küstenstadt Chadera knapp 120 Kilometer vom Gazastreifen entfernt schlug ein Geschoss ein. So weit hatten militante Palästinenser nie zuvor eine Rakete geschossen. Es gab sogar unbestätigte Berichte von Einschlägen im Norden des Landes.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte nach einer Beratung mit Militärs: "Wir haben entschieden, die Angriffe auf die Hamas und andere Terrororganisationen in Gaza noch weiter zu verstärken." Die Armee sei "auf alle Möglichkeiten vorbereitet".

EU und USA warnten vor einer weiteren Eskalation der Gewalt und forderten die Konfliktparteien zur Mäßigung auf. Ziel müsse eine Waffenruhe sein. Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern unter US-Vermittlung waren im April gescheitert. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier forderte in der "Bild"-Zeitung eine Koalition der Vernunft im Nahen Osten. Es dürften nicht noch mehr Unschuldige sterben.

Israel will mit der in der Nacht zum Dienstag gestarteten Offensive den ständigen Raketenbeschuss seiner Städte unterbinden. Insgesamt seien rund vier der acht Millionen Menschen in Israel durch Raketen aus dem Gazastreifen bedroht, sagte ein Armeesprecher. Berichte über Opfer in Israel gab es bislang nicht.

Palästinenserführung kommt zu Krisentreffen zusammen

Zum ersten Mal schlug in Chadera nördlich von Tel Aviv eine Rakete ein - die Küstenstadt ist knapp 120 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Dies sei der Raketenangriff mit der bisher größten Reichweite gewesen, sagte eine Armeesprecherin. In der Vergangenheit waren vor allem Orte in einer Entfernung bis 40 Kilometer zum Gazastreifen angegriffen worden.

Die israelische Armee setzte in der Nacht zum Mittwoch ihre massiven Angriffe im Gazastreifen fort. Insgesamt seien 290 Ziele beschossen worden, teilte das Militär mit. Seit Beginn der Militäroperation in der Nacht zuvor hätten Luftwaffe und Marine 560 Ziele angegriffen. Militante Palästinenser im Gazastreifen hätten in diesem Zeitraum 280 Raketen auf Israel abgefeuert. Davon habe die Raketenabwehr rund 50 abgefangen.

Präsident Mahmud Abbas versammelte die Palästinenserführung am Mittwoch zu einem weiteren Krisentreffen. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi sicherte Abbas nach palästinensischen Angaben am Telefon zu, sein Land werde sich für eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas einsetzen. Abbas sprach in einer Fernsehansprache von einer "vorsätzlichen und brutalen israelischen Aggression" im Gazastreifen. Die Arabische Liga forderte den UN-Sicherheitsrat in New York auf, eine Dringlichkeitssitzung wegen der Lage in Nahen Osten einzuberufen.

US-Präsident Barack Obama betonte, dass die USA weiterhin eine Zweistaatenlösung für den einzigen Weg zu dauerhaftem Frieden in Nahost halten. "Die einzige Lösung ist ein demokratischer jüdischer Staat, der in Frieden und Sicherheit lebt, Seite an Seite mit einem existenzfähigen, unabhängigen Palästinenserstaat", schrieb er in einem Beitrag, der am Donnerstag in der Wochenzeitung "Die Zeit" erscheint. Die amerikanische Unterstützung für Israel bezeichnete Obama als nicht verhandelbar.

Der israelische Historiker und Publizist Tom Segev warnte vor einer weiteren Radikalisierung von Israelis und Palästinensern. Schon seit Jahren beobachte er mit wachsender Sorge, "dass es in beiden Gesellschaften sehr legitim geworden ist zu hassen", sagte Segev im Deutschlandradio Kultur. Er sei deshalb hinsichtlich der Chancen für einen Frieden sehr pessimistisch. Viele Israelis sind nach Einschätzung Segevs desillusioniert und entfernen sich von der Politik. "Die warten, dass die palästinensischen Raketen irgendwo anders fallen und gucken Fußball."

Kurz nach den massiven Raketenangriffen auf israelische Städte versammelten sich am Dienstagabend Fußballfans am Strand von Tel Aviv, um das Spiel zwischen Deutschland und Brasilien zu verfolgen. Mehrere Bars entlang der Strandpromenade bieten Public Viewings an.