Nach über zehn Jahren Planung und der damit einhergehenden Kostensteigerung muss die Stadt in dieser Woche den Startschuss für ein neues Frauenhaus geben. Geschieht das nicht, platzt die Finanzierung.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Der Traum vom Neuen Autonomen Frauenhaus hat bereits eine Adresse. Und wenn dann auch wirklich alle Pflöcke eingeschlagen sind, soll die auch öffentlich sein. Denn mit diesem neuen Haus will der Verein „Frauen helfen Frauen“ konzeptionelles Neuland betreten. Das neue Frauenhaus soll künftig zwei Standorte haben: einen weiter anonymen mit Schutzwohnungen und einen zweiten Standort, dessen Adresse öffentlich sein soll. Ob es nach mehr als zehn Jahren Planung auch so kommt, entscheidet sich am Mittwoch bei einem Gespräch von Stadtverwaltung und dem Verein „Frauen helfen Frauen“.

 

Dabei klingt alles vielversprechend. Die Stadt Stuttgart hat bereits ein etwa 2000 Quadratmeter großes Grundstück für diesen Zweck reserviert. Die Konzeption steht. Der geplante Neubau am neuen Ort soll ein Haus mit 40 Plätzen für Frauen und Kinder mit separaten kleinen Apartments, den dringend notwendigen Plätzen für Notfallübernachtungen und einem niederschwelligen Beratungsangebot sein. Kein geheimer Ort mehr, sondern ein technisch und durch Personal abgesicherter Ort für Frauen und ihre Kinder soll es sein – mit 24-Stunden-Betreuung, barrierefreiem Zugang, einem niederschwelligen Beratungsangebot und einem neuen Sicherheitskonzept.

Nicht mehr verstecken

Je nach Gefährdung durch ihre Ex-Partner sollen Frauen im zu ihrer Situation passenden Haus – offen oder anonym – untergebracht werden. Die Zeit der Trennung ist für Frauen eine der gefährlichsten Lebensphasen. An jedem dritten Tag endet sie laut Kriminalitätsstatistik für eine Frau tödlich. Im Jahr 2021 sind in Baden-Württemberg 18 Frauen Opfer von Partnerschaftsgewalt geworden.

Die geplante Neuausrichtung des Stuttgarter Frauenhauses mit dem teilweisen Schritt aus der Anonymität wäre damit auch ein deutliches Statement. Das Thema häusliche Gewalt wäre dann mitten in der Gesellschaft präsent. „Denn meistens sind es die Frauen, die weggehen und gezwungen sind, sich zu verstecken“, sagt Melanie Moll vom Stuttgarter Verein „Frauen helfen Frauen“. Sie arbeitet als Diplompädagogin und Sozialarbeiterin im jetzigen Frauenhaus und hat das Konzept für das Frauenhaus der Zukunft zusammen mit ihren Kolleginnen bereits 2013 vorgelegt. Drei weitere Häuser in Baden-Württemberg planen Ähnliches. Am vergangenen Donnerstag hat sich der Ältestenrat des Stadtgremiums mit dem Stand der Planungen beschäftigt.

Frauenhaus: „Es ist fünf vor zwölf“

„Es ist fünf vor zwölf“, sagt Melanie Moll. In den zurückliegenden Jahren haben sie und ihre Kolleginnen, weil sie unverschuldet aus der vorigen über die Stadt an sie vermieteten Immobilie ausziehen mussten und nun in einem Interimdomizil untergekommen sind, drei Bestandsimmobilien für ihr neues Konzept geprüft. Wegen immens hoher Kosten waren diese Pläne nicht realisierbar. Miete und Umbaukosten waren nicht durch die von der Stadt bezahlten Zuschüsse und Tagessätze finanzierbar.

So kam die Idee vom Neubau auf. Jetzt drängt die Zeit, sollen nicht die Stiftungen wieder abspringen, die sich als Bauherrin und Vermieterin an den Frauenhausverein engagieren wollen, und sollen nicht die Zuschüsse verfallen, die das Bundesministerium für Frauen und Familie aus dem Investitionsprogramm gegen Gewalt an Frauen einbringen würde. Denn dafür muss ein Antrag gestellt werden, der eine sichere Finanzierung voraussetze, erklärt Ulrike Barth, die Finanzfrau im Verein.

Noch komplizierter als ohnehin schon wird die Sache, weil der Verein nicht selbst baut. Und bis Ende 2024 müsste zudem für diese Förderung das Bauprojekt umgesetzt und das Haus bezugsfertig sein. Gestellt haben die Frauen die Voranfrage für die Förderung im Jahr 2020. Land und Stadt haben das Vorhaben abgenickt.

Die Zeit läuft davon

Auf die vom Bund und dem Bundesfamilienministerium für 2025 in Aussicht gestellte Neuordnung der Finanzierung können die Stuttgarter Frauen nicht mehr warten. Auch nicht auf die von Ute Leidig (Grüne), Staatssekretärin in baden-württembergischen Sozialministerium, für den Herbst angekündigte Überarbeitung des Aktionsplans gegen Gewalt gegen Frauen. Und sollte ein neues Programm kommen, „müssen wir einen neuen Antrag stellen, und alles geht von vorne los“, sagt Ulrike Barth.

Im Rathaus will sich keines der mit der Planung befassten Referate zum Projekt äußern. Aber intern laufen offensichtlich letzte Abstimmungsgespräche. Die Gemeinderatsfraktionen sind sich in der Dringlichkeit des nun anstehenden letzten Gesprächs einig. Für Ina Schumann (Fraktion PULS) ist die Umsetzung des Konzeptes überfällig. Sie spricht von einem Armutszeugnis, „wenn durch das Zögern der Stadt Stuttgart die Unterstützung der Stiftungen verloren ginge“. Auch die Freien Wähler „sehen den Bedarf als eindeutig gegeben“, sagt Rose von Stein. Man hoffe auf eine baldige Umsetzung. Für die macht sich auch die SPD stark. „Klar ist für uns: Wir brauchen das neue Frauenhaus unbedingt“, sagt Jasmin Meergans (SPD).„Endlich bauen“, sagt auch Laura Halding-Hoppenheit (Die Fraktion). Sie sieht den Ball bei Finanzbürgermeister Thomas Fuhrmann (CDU) liegen. Alexander Kotz (CDU) ist zuversichtlich, dass das Frauenhaus „ mit den avisierten Stiftungsgeldern und Fördergeldern realisiert werden kann“. Auch Christian Köhler (AfD) hofft, dass „die von der Stiftung geforderten Konkretisierungen durch die Stadt zügig erfolgen“.

Kosten sind in der Wartezeit explodiert

Bitter bei all dem ist, dass sich die Kosten in den Jahren des Wartens von knapp zwölf auf über 17 Millionen Euro und auch die Bauzinsen verteuert haben. Nach der Sitzung am 15. Februar, so ist zu hören, will die Stadt den Stiftungen ein Signal geben. Das ist die Deadline, die beide der Stadt gesetzt haben.

Hilfe in Notsituationen

Frauen helfen Frauen
Der Verein „Frauen helfen Frauen“ ist Träger des Autonomen Frauenhauses in Stuttgart. Der Verein besteht seit 45 Jahren. 1983 hat das Frauenhaus seinen Dienst aufgenommen.

Hilfe
Das Hilfstelefon des Vereins ist Montag bis Freitag von 9 bis 12.30 Uhr und von 13.30 bis 16 Uhr zu erreichen. Außerhalb dieser Zeiten ist der Krisen- und Notfalldienst Stuttgart (bis 24 Uhr) unter 01 80 / 5 11 04 44 erreichbar. Die Nummer des bundesweiten Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen lautet 08000 / 11 60 16 07 11. Die Internetseite www.frauenhaus-suche.de hilft bei der Suche nach einem freien Platz in einem Frauenhaus.