In einem weiteren Prozess um die Gewalt zweier Gruppierungen in der Region geht es um eine folgenschwere Attacke im März 2023: Das Opfer ist querschnittsgelähmt. Wenn es nach den Anwälten ginge, wäre das Verfahren schnell vorbei.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Versuchter Mord, gefährliche und schwere Körperverletzung sowie Strafvereitelung: Die Vorwürfe sind schwer, die am Montag beim Prozessauftakt gegen drei junge Männer im Alter von 20 und 21 Jahren verlesen werden. Und doch wollen ihre Anwälte erreichen, dass das Verfahren eingestellt wird, ehe es richtig in Gang gekommen ist. Es sei während der Untersuchungshaft zu Vorfällen gekommen, die nicht in Ordnung seien, erklärten die Verteidiger. Gemeint sind damit Abhörmaßnahmen in der Justizvollzugsanstalt während der Untersuchungshaft.

 

Die drei sollen einer der beiden gewalttätigen Gruppierungen angehören, die sich in der Region seit mehr als zwei Jahren eine blutige Auseinandersetzung liefern, und zwar der Gruppe Esslingen-Ludwigsburg. Und zwei von ihnen sollen an einer der schwerwiegendsten Tat in der Reihe von Schüssen auf Kontrahenten beteiligt gewesen sein: an dem Angriff auf einen damals 32 Jahre alten Mann in Zuffenhausen im März 2023, der eine führende Rolle innerhalb der Gruppe gespielt haben soll. Mehrere Schüsse trafen das Opfer. Er schwebte in Lebensgefahr und musste mehrfach operiert werden. Seit dem Angriff ist er vom sechsten Wirbel an querschnittsgelähmt. Laut der Staatsanwaltschaft bestehe aktuell keine Aussicht, dass sich das noch mal ändern werde.

Die zwei mutmaßlichen Haupttäter sollen am Abend des 17. März 2023 in Zuffenhausen zum Treffpunkt der gegnerischen Gruppe, einem Lokal an der Burgunderstraße, gegangen sein. Dort hätten sie den Namen des Mannes gerufen. Als er sich umdrehte, habe einer der Angeklagten mehrere Schüsse auf ihn abgegeben. Der erste Schütze sei dann geflüchtet. Aus den Reihen der Zuffenhausener sei dann auch ein Schuss gefallen, trägt der Staatsanwalt vor. Daraufhin habe der zweite mutmaßliche Haupttäter auch geschossen, getroffen worden sei aber niemand mehr. Der dritte Mann im Bunde soll wenige Tage später die Tatwaffe teilweise zerstört und in einem Wald verbuddelt haben – ihm wird die Strafvereitelung vorgeworfen. Wieder einmal ist laut den Ermittelnden eine Art Racheakt gewesen, warum an jenem 17. März 2023 in Zuffenhausen Blut floss und ein Mensch nur knapp dem Tod entkam: Der Mann sei am Morgen in einem anderen Verfahren, in dem es um Schüsse in Esslingen-Mettingen gegangen war, als Zeuge aufgetreten. In Mettingen hatten sich die beiden Gangs im September 2022 eine wilde Schießerei geliefert. 19-mal feuerten sie aufeinander – es grenzt an ein Wunder, dass dabei niemand verletzt wurde. Einer, auf den dabei geschossen wurde, sei der Zwillingsbruder des Mannes, der dann in Zuffenhausen die lebensgefährlichen Schüsse abbekommer hat. Mit dem heute 34-Jährigen trafen die Angreifer eine offenbar wichtige Person innerhalb der Gruppe Zuffenhausen-Göppingen.

Die Angeklagten wurden nicht gleich gefasst. Sie waren auch noch auf freiem Fuß, als in Altbach (Kreis Esslingen) eine Handgranate auf den Friedhof geworfen wurde. Ein junger Mann, der zu ihrer Gruppe Esslingen-Ludwigsburg gehört haben soll, wurde zu Grabe getragen. Die Handgranate verfehlte ihr Ziel, so wurde ein großes Blutbad verhindert. Doch die Angegriffenen stürmten wütend auf den Werfer los und prügelten ihn bewusstlos. Zwei der drei Angeklagten wurden im Sommer wegen dieser Vergeltungsaktion zu Haftstrafen verurteilt. Auch der Handgranatenwerfer sitzt deswegen in Haft.

In ihrem Antrag zur Verfahrenseinstellung berichteten die Anwälte des mutmaßlichen zweiten Schützen, dass er in Haft abgehört worden sei, und aus Sicht der Verteidiger weit über das zulässige Maß hinaus. Es seien „Verfahrensrechte verletzt“ worden, sagte der Rechtsanwalt Markus Bessler. „Unser Mandant hat damit keine Chance mehr auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren“, fügte er hinzu.

Die Gruppierungen liefern sich in der Region seit gut zweieinhalb Jahren ihre Auseinandersetzungen. Immer wieder kommt es dabei auch zum Einsatz von Schusswaffen. Unlängst berichteten der Innenminister Thomas Strobl (CDU) und der LKA-Chef Andreas Stenger im Innenausschuss des Landtags über den Stand der Dinge. Aktuell seien mehr als 80 der Beteiligten in Haft oder Untersuchungshaft. Es sei, auch weil die Ermittelnden führende Köpfe erwischt hätten, etwas ruhiger geworden um die rivalisierenden Gruppen – was der Innenminister aber nicht als Entwarnung werten wolle.