Nachdem ein Schüler eine Lehrerin bedroht hat, kündigt der Bildungsminister Sanktionen an – auch für alle Eltern, die die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen.

Korrespondenten: Stefan Brändle (brä)

Paris - Emmanuel Macron findet für den Vorfall nur ein Wort: „inakzeptabel“. Der französische Präsident meint damit ein Video, das einen Schüler aus dem Pariser Vorort Créteil in Henkerspose zeigt. Der 15-Jährige hält in seinem Lycée Édouard-Branly vor der ganzen Klasse minutenlang eine Schusswaffe an die Schläfe der Lehrerin. Lachend verlangt er von ihr, dass sie ihn als „anwesend“ eintrage, obwohl er zu spät in den Unterricht gekommen war.

 

Die bedrohte Lehrerin sitzt auf einem Stuhl vor einem Computer und bewegt sich nicht. Ein zweiter Schüler schiebt sich ins Bild und macht mehrere Stinkefinger. Dann endlich bricht das unerträgliche Video ab. Kurz darauf über die sozialen Medien veröffentlicht, löste die Filmsequenz im Nu einen landesweiten Entrüstungssturm aus. Dass sich die verwendete Pistole als Attrappe herausstellte, änderte nichts an der brutalen Wirkung der Videobilder. Die Lehrerin, die von Augenzeugen als schüchtern und „abgestumpft“ geschildert wird, informierte die Schulleitung erst Stunden später, um Klage einzureichen.

Bildungsminister Blanquer ist schockiert

Der Schüler stellte sich darauf selbst der Polizei, die ihn in Untersuchungshaft nahm. Er erklärte, er habe nur „Spaß“ machen und die Lehrerin nicht einschüchtern wollen. Seine Eltern erklärten am Montag, die Sache werde „aufgebauscht“. Der Schüler wurde vom Unterricht suspendiert. Im November kommt er vor das Jugendgericht. Wenn er sich dort wie erwartet wegen „schwerer Gewaltausübung“ verantworten muss, drohen ihm als Minderjährigem dreieinhalb Jahre Haft. Die Autoren des Videos waren vorerst nicht zu ermitteln.

Bildungsminister Jean-Michel Blanquer zeigte sich schockiert. Die betroffene Mittelschule von Créteil liege nicht einmal in einer „schwierigen“ Banlieue-Zone. An den Mittelschulen Frankreichs würden insgesamt täglich 442 Gewaltakte registriert. Experten erklärten, verbale und auch körperliche Gewalt beeinflussten zunehmend den Schulalltag. Da sei es sekundär, ob die so stoische Reaktion der Lehrerin dem Schock- oder einem Gewöhnungseffekt zuzuschreiben sei. Macron beauftragte seine Regierung, gegen die Schulgewalt „alle Maßnahmen“ zu ergreifen. Blanquer versprach, er werde an den Mittelschulen „wieder Ordnung und Autorität“ herstellen. Deshalb treffe er sich mit dem Innen- und Polizeiminister Christophe Castaner.

Kommt jetzt das Handyverbot auch an den Lycées?

Seit ein paar Monaten kommt es gerade auch vor den Schulen zu Schlägereien verfeindeter Banden. Ein Zwölfjähriger war dabei im Oktober umgekommen. Der als konservativ geltende Erziehungsminister will auch die Eltern stärker zur Verantwortung ziehen: Wenn sie die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen, sollen sie selber sanktioniert werden. In Frankreich kommt es immer wieder vor, dass Väter und Mütter gegen die Lehrer ausfällig oder gar tätlich werden. Blanquer fühlt sich durch den Vorfall auch bestärkt in seinem Vorgehen gegen Handys an Mittelschulen. Mobiltelefone sind in Frankreich seit diesem Herbst an den Grundschulen sowie am Collège untersagt. An den Lycées, die Schüler zwischen 15 und 18 Jahren besuchen, bleiben Verbote den Rektoren überlassen. Falls die Tat in Créteil gezielt begangen wurde, um gefilmt und verbreitet zu werden, werde man dagegen „entschlossen vorgehen“.