Der Gewerkschaftsbund in Baden-Württemberg kommt mit der grün-schwarzen Landesregierung nicht klar. Landeschef Martin Kunzmann vermisst die Dialogbereitschaft und das Interesse an Arbeitnehmerbelangen. Zudem rügt er einen „Kniefall“ vor der Wirtschaft.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Gewerkschaftsbund in Baden-Württemberg wirft der Landesregierung ein weitgehendes Desinteresse an Arbeitnehmerthemen vor. „Meine Wahrnehmung ist, dass man eher die Wirtschaft befriedigen will“, sagte der DGB-Landeschef Martin Kunzmann unserer Zeitung. „Wir müssen immer darum kämpfen, dass unsere Positionen Gehör finden bei der Regierung und dabei weitaus härtere Bretter bohren als die Arbeitgeber.“ Für dieses Jahr forderte er von Grün-Schwarz einen nachhaltigen Dialog.

 

Er hätte zwar wie die Chefs der Einzelgewerkschaften einen Zugang zum Regierungsapparat. „Die sind alle schön freundlich, wenn man nach einem Termin fragt.“ Auch sei der DGB an der Fachkräfteallianz oder dem Ausbildungsbündnis beteiligt. Im täglichen Geschäft stünden die Begriffe Arbeitnehmer oder Betriebsräte aber „nicht so im Fokus“. So habe er von Grün-Schwarz noch keinen Plan vernommen, wie man den Flächentarifvertrag stärken wolle.

Haben die Grünen ihre Vergangenheit abgehakt?

Sehr kritisch sieht er auch, dass mit der Novellierung des Tariftreuegesetzes der gesetzliche Mindestlohn jüngst als Untergrenze für Vergaben der öffentlichen Hand festgeschrieben wurde. Dieser dürfe aber nicht der Maßstab sein, so Kunzmann. Vielmehr sollte sich der Vergabelohn an der untersten Entgeltgruppe des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst im Land – aktuell 10,46 Euro – orientieren.

„Selbst wo ein CDU-Ministerpräsident regiert, spielen Arbeitnehmerthemen eher eine Rolle als bei unserer Landesregierung“, verglich Kunzmann mit den Erfahrungen anderer DGB-Landeschefs. Den Grünen hierzulande sei es „nicht mehr wichtig, was sie zusammen mit der SPD gemacht haben“. Diese Kritik vernehme er unter der Hand auch aus den Reihen der Grünen.

Warnung vor Beschneidung des Bildungszeitgesetzes

Dass sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) für eine Reform des Arbeitszeitgesetzes einsetzt, gefällt dem DGB gar nicht, weil damit eine Beseitigung der elfstündigen Ruhephase und des Acht-Stunden-Tages einhergehen könnte. Auch bei dem von Grün-Rot beschlossenen Bildungszeitgesetz, das Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) auf den Prüfstand gestellt hat, mahnt Kunzmann einen intensiveren Blick auf Gewerkschaftsbelange an. „Die Evaluation ist ein klarer Kniefall vor der Wirtschaft.“ Bisher hätten die Grünen und die Ministerin „überhaupt kein Interesse daran, dass die Arbeitnehmer eine politische Bildung bekommen“. Dies könne sich vor dem Hintergrund, dass gut 15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder bei der Bundestagswahl AfD gewählt hätten, als Fehler erweisen.

Strobl statt Kretschmann bei Bezirkskonferenz

Die Bildung ist ohnehin ein Schwerpunktthema. Aus Sicht des DGB-Landeschefs redet die Politik zuwenig darüber, wie die Arbeitnehmer in den Betrieben oder im öffentlichen Dienst qualifiziert werden können, um auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet zu werden. Mit den Folgen des technologischen Wandels in der Industrie, im öffentlichen Dienst, bei Banken oder Versicherungen soll sich im Juni das DGB-Forum befassen. Dabei soll es auch um Gesundheits- und Datenschutz gehen.

Der DGB im Land hat etwa 810 000 Mitglieder. Kunzmann führt den Verband seit einem Jahr. Damals hatte er mit einem 100-Prozent-Ergebnis einen fulminanten Start. Am 27. Januar will er für vier Jahre wiedergewählt werden. Kretschmann war zur Bezirkskonferenz eingeladen, hat aber abgesagt – an seiner Stelle will Vize-Regierungschef nun Thomas Strobl (CDU) ein Grußwort sprechen. Als Einheitsgewerkschafter freue er sich über dessen Zusage, betonte Kunzmann.